Bordeaux – Die Stadt in drei Museen

Im Musée Mer Marine, BordeauxIm Musée Mer Marine, Bordeaux

Besucht ihr euch auch so gerne Museen? Immer, wenn eine Reise ansteht, schaue ich mir an, welche Museen es in dieser Stadt gibt. Und egal, wie klein und unbedeutend die Stadt auch scheinen mag – es gibt immer mindestens ein Museum, das den Besuch lohnt. Tolle Häuser habe ich so bei meinen Besuchen in Göttingen, Marburg oder Kiel erkundet. Und auch in Frankreich habe ich wunderbare Entdeckungen gemacht – im Château de Syam oder im Granet XX in Aix-en-Provence etwa.

In Bordeaux war ich hin- und hergerissen. Die Auswahl an Museen ist schlicht zu groß, und meine Zeit in der Stadt war leider begrenzt. Entschieden habe ich letztendlich für drei Häuser, die mir typisch für die Geschichte von Bordeaux als Hafenstadt und als Stadt des Weins und des Handels erscheinen. Und was soll ich euch sagen? Es war eine überaus spannende Reise!

Ein Tempel für den Wein: Die Cité du Vin

Das schon von seiner Architektur auffälligste Museum ist die Cité du vin. Ich habe schon so manches kleine Weinmuseum gesehen, in dem hauptsächlich Fässer, Weinpressen und sonstige Gerätschaften ausgestellt sind. Dieser Bau ist schon von Weitem sichtbar und die Architektur lässt zunächst rätseln. Ein bauchiger Bau, der dann in die Höhe geht? Die Lösung ist ganz einfach: die Architekten des Pariser Büros XTU und der britischen Museumsdesigner von Casson Mann wollten den Moment festhalten, in dem der Wein im Glas geschwenkt wird. Wer weiß, vielleicht ist diese Idee ja bei einem guten Glas Wein entstanden…

Aufregende Architektur der Cité du Vin

Aufregende Architektur der Cité du Vin

Ob man sich über das Wasser, mit der Tram oder zu Fuß über die Kais nähert – der Bau beeindruckt schon allein durch seine Dimensionen und seine Lage direkt am Ufer der Garonne. Im Mai 2016 wurde die Cité du Vin nach nur drei Jahren Bauzeit eingeweiht. 13.500 Quadratmeter Fläche verteilen sich auf acht Stockwerke, und ich vermute, die Architekten waren froh und erleichtert, dass all die vielen Panele aus Glas, Metall und Aluminium letztendlich zusammenpassten und die wuchtigen Kurven bilden, die den Bau charakterisieren.

Die ständige Ausstellung lädt zu einer Entdeckung der Kultur des Weins mit allen Sinnen. Sie kann multimedial entdeckt werden und auch Fotografen kommen voll auf ihre Kosten. Insgesamt 18 Themenbereiche rund um die Kultur des Weins können erkundet werden. So gibt es einen Bereich, der dem Terroir gewidmet ist. Zehn Winzer berichten von den Besonderheiten ihres Bodens. Aus Deutschland kann man einen Winzer von der Mosel erleben.

Terroir: Ein Winzer berichtet vom Weinbau an der Mosel

Terroir: Ein Winzer berichtet vom Weinbau an der Mosel

Spannend auch die animierte Darstellung eines Rebstocks, mit Boden, Pflanze und Wurzel. Man kann einen Winzer durch sein Jahr begleiten und lernt dabei die typischen Arbeiten auf dem Weinberg oder im Keller kennen. Es geht dabei nicht nur um französischen oder europäischen Wein – auch die Weinkultur im alten Ägypten und in Rom wird betrachtet.

Faszination Rebstock - animierte Darstellung zu Boden und Pflanze

Faszination Rebstock – animierte Darstellung zu Boden und Pflanze

Alle Sinne sind dann bei einer olfaktorischen Reise durch die Welt der Weiß- und Rotweine angesprochen. Wie sieht der perfekte Weinservice aus? Das kann man an einer Bildschirmwand entdecken. Oder an einer Banketttafel Platz nehmen, um sich inmitten einer Lichtprojektion wiederzufinden.

Champagner, edel inszeniert

Champagner, edel inszeniert

Es ist ganz klar: in der Cité du Vin kann man sich verlieren. Will man alles sehen und erleben, dann braucht man locker einen ganzen Tag. Und nach erfolgreich absolviertem Parcours erwartet die Besucher ja noch die Verkostung im Belvedere, im 8. Stock. Hier kann man sich einen Wein aus einer ständig wechselnden Auswahl aussuchen und dann mit Blick auf die Garonne genießen.

Man kann natürlich auch Wein mit nach Hause nehmen. Im Weinkeller Latitude 20 stehen 14.000 Weine aus mehr als 70 Anbaugebieten weltweit zum Kauf.

Phänomenale Weinauswahl

Phänomenale Weinauswahl

Die Cité du Vin versteht sich als Ort der Begegnung und des Austauschs, und so gibt es nicht nur verschiedene Restaurants, sondern auch ein breites Angebot an Workshops und Verkostungen. Und eine Bibliothek, für die stillen Momente. Ganz wichtig: das wirkliche Leben wartet vor den Toren der Stadt! Die Weinbaugebiete des Médoc, St. Emilion, Graves & Co. sind nur einen Katzensprung entfernt.

Der Mensch und das Meer: Musée Mer Marine

Das Stadtviertel Bassin à flots ist ganz von der maritimen Vergangenheit Bordeaux´ geprägt. Und hier, am historischen Hafen der Stadt, in einer Straße mit dem wunderbaren Namen Rue des Etrangers (Straße der Fremden) liegt das 2019 eröffnete Musée Mer Marine – nur zehn Gehminuten von der Cité du Vin entfernt.

Der Bau ist so wuchtig, dass ich ihn nicht auf ein Foto bannen kann. Olivier Brochet, der für so manches französische Museum verantwortlich zeichnet, entwarf die Pläne. Man sieht von außen nicht, dass es sich um sieben Ebenen mit einer Gesamtfläche von 13.800 Quadratmetern handelt. Aber das Museum hat es in sich! Es geht um den Menschen und seine Beziehung zum Meer, aber im ganz weiten Sinn und typisch französisch gedacht – mit wunderbaren Exkursen in die Kunst, Musik und Literatur.

Das Marinemuseum ist die Herzensangelegenheit von Norbert Fradin, dem der Erhalt des maritimen Erbes der Stadt und generell des kulturellen Erbes Frankreichs am Herzen liegt. Er stammt aus eher einfachen Verhältnissen – der Vater war Maurer – und beweist ein glückliches Händchen beim An- und Weiterverkauf von Immobilien. Die Kultur ist sein Herzensthema und er liebt alte Steine, renoviert Schlösser. Für das MMM öffnete er seine Schatzschatulle und überließ unzählige Objekte aus seiner Privatsammlung dem Museum.

Ein Schiffsmodell ist schöner als das andere!

Ein Schiffsmodell ist schöner als das andere!

Ein Himmel voller Schiffe!

Ein Himmel voller Schiffe!

Schon der erste Blick in die ständige Sammlung begeistert mich vollkommen: Unzählige Schiffsmodelle schweben hier in der Luft zwischen den Ebenen. Ich kann mich kaum sattsehen an dieser Pracht.

Ein Blick in die Dauerausstellung

Ein Blick in die Dauerausstellung

Faszinierende Präzisionsarbeit

Faszinierende Präzisionsarbeit

Der Rundgang durch die Sammlung zeigt den Menschen in seiner Beziehung zum Meer. Es geht um den Wunsch, das Meer zu erobern und sich die Schätze des Meeres nutzbar zu machen. Es geht um Aberglauben und auch die wachsende Sorge, das Meer als Lebensraum zu erhalten.

Piraten oder Korsaren?

Piraten oder Korsaren?

Napoléon - die Silhouette ist unverkennbar

Napoléon – die Silhouette ist unverkennbar

Die Geschichte der Navigation wird durch die großen Seefahrer und ihre berühmten Schiffe erzählt. Wissenschaftliche Expeditionen oder Seeschlachten, Navigationstechnik und ihre Darstellung in der Kunst – die Präsentation all dieser Schätze in ´Zeitinseln´ erscheint mir sehr gelungen.

Baumeister Vauban

Baumeister Vauban

Hermione - das legendäre Schiff von La Fayette

Hermione – das legendäre Schiff von La Fayette

In der obersten Ebene kommt dann der Blick des Künstlers hinzu. Hier treffe ich zum Beispiel den schottischen Autor Robert Louis Stevenson, der nicht nur mit Eselin Modestine durch das Zentralmassiv wanderte, sondern auch mehrere Reisen in die Südsee unternahm. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er auf Samoa.

Ein Ausflug in die Literatur mit Robert Louis Stevenson

Ein Ausflug in die Literatur mit Robert Louis Stevenson

Auch ein Exkurs in die Musik ist möglich. Ich wusste von Jacque Brels Begeisterung für die Marquesas, und als ich die Zeilen über Renaud lese, muss ich an meinen Französischunterricht denken, damals am Gymnasium… Mit Renauds Musik habe ich Französisch gelernt.

Die Sänger und die Sehnsucht nach dem Meer

Die Sänger und die Sehnsucht nach dem Meer

Großartig der Ausstellungsbereich Art Therapy, mit den Werken von Pascal Obispo, der in Bordeaux aufwuchs. Obispo ist eigentlich Sänger und Musikproduzent, gibt aber hier den Lindenberg. Rund 60 seiner Werke als bildender Künstler sind zu sehen – ein wahrer Farbrausch.

Pascal Obispo - Kunst als Therapie

Pascal Obispo – Kunst als Therapie

Erst 2018 griff Obispo erstmals zum Pinsel. Sein Wunsch war, persönlichen Dramen zu entkommen – die Musik reichte nicht aus. Ich würde vielleicht etwas flapsig sagen: persönliche Dramen sind vielleicht gar nicht so schlimm, wenn solche Werke dabei herauskommen. Die Herausforderung ist jedenfalls bravourös gemeistert.

 

Die Wechselausstellung befasst sich mit dem Thema ´Planet or Plastic?´ und dreht sich um die  übermäßigen Nutzung von Plastik und die schädlichen Auswirkungen auf die Weltmeere. Sie wurde in Kooperation mit National Geographic erarbeitet.

Ein Mythos: die Titanic

Ein Mythos: die Titanic

Boxenstopp: Die Halles de Bacalan

An dieser Stelle muss ich kurz die Welt der Museen verlassen. Das Musée Mer Marine hat tatsächlich ein gravierendes Manko: es gibt kein Museumscafé. Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie man ein Museum ohne die Möglichkeit zur Einkehr planen kann. Gerade weil es verschiedene Ausstellungsbereiche gibt, böte es sich ja an, den Besichtigungsparcours für eine kleine Stärkung zu unterbrechen.

Les Halles Bacalan, Bordeaux

Les Halles Bacalan, Bordeaux

In diesem Fall ist es jedoch nicht wirklich tragisch, denn ganz in der Nähe sowohl des Musée Mer Marine als auch der Cité du Vin finden sich die Halles de Bacalan. Die Markthalle wurde 2017 eröffnet und ist eine einzige Einladung zum Genuss. Die Marktstände bieten frische regionale Produkte zum Kauf und zugleich kann man eine Kleinigkeit essen oder ein Glas trinken. Mein Eindruck: es herrscht eine tolle, lockere Stimmung.

Alte Mauern für zeitgenössische Kunst: Capc

Wein, See und Handel – das sind die großen Themen in der Geschichte Bordeaux. Das Thema Handel wird in meinen Augen ganz hervorragend durch ein Museum mit dem etwas sperrigen Namen Capc – Musée d´art contemporain, ursprünglich Centre d´arts plastiques contemporains – repräsentiert.

Das Museum befindet sich an der Grenze zum Quartier des Chartrons, nicht weit von der Garonne entfernt, und wirkt von außen eher abweisend, groß und düster. Das liegt an der ursprünglichen Bestimmung des Baus als Zolllager für Kolonialwaren. Der wuchtige Bau entstand in den Jahren 1822 bis 1824 als Entrepôt Lainé. Seine Funktion war, die eingelagerten Waren von Licht und allerlei Begehrlichkeiten zu schützen. Das Äußere ist nüchtern, das Innere funktional gehalten. 1960 gab es Überlegungen, den Bau abzureißen, denn es gab schlicht keine Verwendung mehr für die alten Mauern. 1973 wurde der Bau dann jedoch unter Denkmalschutz gestellt und zugleich ein Ort des kreativen Schaffens. Was für ein Glück! Seit 1984 ist er Museum und 2023 feiert er 50. Geburtstag.

Faszinierendes Blau: Kapwani Kiwanga, Reteneu

Faszinierendes Blau: Kapwani Kiwanga, Reteneu

Sobald man das Erdgeschoss betritt, hat man das Gefühl, in einer romanischen Basilika zu stehen, mit Anspielungen an arabische Karawansereien. Der Raum und die Mauerbögen werden großartig in Szene gesetzt durch die aktuelle Installation von Kapwani Kiwanga. Ein magisches Blau, dessen Leichtigkeit und Fluidität auf das im Gebäude und in der Stadt omnipräsente Wasser anspielen, erhellt das zentrale Schiff. Ich weiß gar nicht, wie oft ich um diese Installation herum und durch sie hindurch gelaufen bin. Jede neue Perspektive ist auf ihre eigene Art faszinierend.

Wenn Architektur und Kunst verschmelzen

Wenn Architektur und Kunst verschmelzen

Alte Mauern, perfekt inszeniert

Alte Mauern, perfekt inszeniert

Das Gebäude erstreckt sich über drei Etagen, und so verdreifacht sich dieser Genuss durch die oberen Galerien. Allein dieses Werk lohnt den Besuch im Capc.

Perspektivwechsel in den oberen Etagen

Perspektivwechsel in den oberen Etagen

Aber es gibt noch weitere aufregende Ausstellungen zu sehen. Bei Amour Systémique geht es um Gitter in all in Formen. Der Künstler Sung Tieu wurde eingeladen, sich Gedanken zum Thema zu machen. Herausgekommen ist eine sehr sehenswerte Schau rund um die Ambivalenz des Gitters, um Trennung und Ordnung.

Amour Systémique - Blick in die Ausstellung

Amour Systémique – Blick in die Ausstellung

Eine weitere Ausstellung ist dem Autodidakten Jean Sabrier gewidmet – Ce qu´on ne voit pas. Ok, man sieht natürlich doch etwas, nämlich reichlich rätselhafte Objekte. Aber man muss Kunst auch gar nicht immer verstehen. Hier ist es vor allem auch das Zusammenwirken von Architektur und Kunst, das den ganz besonderen Genuss beschert.

 

Spannend auch ein Bereich im zweiten Stock, in dem es um bewegte Bilder geht. Hier ist auch ein kleiner Film aus Deutschland zu sehen. Ich habe zudem einen unglaublich charmanten Aufseher getroffen, der für das Museum brennt und seine Begeisterung auch mit Besuchern teilt. Davon könnte es in meinen Augen sehr viel mehr geben! Es macht einfach einen Unterschied.

MigraTouriSpace - in der Abteilung für bewegte Bilder

MigraTouriSpace – in der Abteilung für bewegte Bilder

Auch der Besuch auf dem obersten Stockwerk lohnt, denn hier im Außenbereich kann man nicht nur bei schönen Wetter einen tollen Ausblick über Bordeaux genießen. Es gibt auch weitere Kunstwerke und das Museumscafé, in dem Designerin Andrée Putman Hand angelegt hat.

Richard Long, Ligne d´ardoise - auf der Dachterrasse des Capc

Richard Long, Ligne d´ardoise – auf der Dachterrasse des Capc

Gerade, als ich denke, ich habe jetzt alle Säle des Museums erkundet, stoße ich auf eine weitere Ausstellung, Antéfur. Sie befasst sich auf sehr humorvolle Art und Weise mit dem modernen Menschen und seinem liebsten Spielzeug. 

Vorne: Judith Hopf, phone user 2

Vorne: Judith Hopf, phone user 2

Agnes Scherer, Coeurs simples

Agnes Scherer, Coeurs simples

Was für ein unglaublich vielfältiges und inspirierendes Museum! Ich komme garantiert wieder. Auch Bordeaux wird mich wiedersehen und dann nehme ich mir all die anderen Museen vor, für die bei diesem Besuch keine Zeit war…

Neugierig geworden?

Falls ihr mehr über Bordeaux oder die Museen wissen wollt, dann schaut doch einmal auf der Website von Bordeaux Tourisme vorbei. Informationen über die städtischen Museen gibt es hier. Und natürlich bieten auch die Seiten des Départements Gironde und der Region Nouvelle-Aquitaine eine Fülle von Anregungen.

Offenlegung

Ich durfte für meinen Arbeitgeber Atout France eine Pressereise nach Bordeaux begleiten, und der Besuch der Cité du Vin war Bestandteil des offiziellen Programms. Das Musée Mer Marine und das Capc habe ich auf eigene Initiative und Kosten besucht. Die beschriebenen Eindrücke sind meine eigenen.

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2 Kommentare

  1. Cité du Vin: „Wer weiß, vielleicht ist diese Idee ja bei einem guten Glas Wein entstanden…“
    Oder auch nach mehreren Gläsern 😉

    Egal: Bordeaux ist eine tolle Stadt!

    Wie immer, ein Artikel, der Lust auf mehr macht.

    • Lieber Robert,
      absolut! Und es gibt noch so viel zu entdecken. Mal sehen, vielleicht klappt es im nächsten Sommer nochmal.

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