Langsam hat es System: die großartigsten Dinge entdecke ich, indem ich vollkommen unvorbereitet irgendwohin fahre und dann vor Ort entdecke, wo ich eigentlich gelandet bin und wie perfekt der Zeitpunkt meiner Reise passt. So ging es mir mit Rostock. Ich wollte mir diese Hafenstadt, von deren mächtigen Backsteinbauten ich schon so viel gehört hatte, endlich einmal ansehen – zugleich mein allererster Besuch in Mecklenburg-Vorpommern. Das tiefe Blau der Ostsee lockt mich natürlich immer, dazu die Aussicht auf eine frische Brise und Möwengeschrei. Und die Kunsthalle stand auf meinem Programm, weil ich von ihrer Bedeutung als einzigem Neubau eines Kunstmuseums der DDR gelesen hatte. Ich war neugierig auf die Architektur – mehr nicht, hatte keine Erwartungen an die ausgestellten Werke. Und dann empfangen mich gleich am Bahnhof in Rostock knallig bunte Werbeplakate: Udo Lindenberg – ´Malerei, Musik & große Show´. In der Kunsthalle Rostock. Wow – meine Neugierde ist geweckt.
Auch wenn die Musik von Wolfgang Niedecken und BAP mir alleine sprachlich und geografisch immer sehr viel näher war: Die Musik von Udo Lindenberg begleitet mich schon mein ganzes Leben lang. Wie lange steht Udo Lindenberg schon auf der Bühne? Titel wie Mein Ding, Horizont oder der Sonderzug nach Pankow sind Klassiker. Deutsche Texte, oftmals pure Sprachpoesie. Und natürlich die unverkennbare Figur – Hut, lange und zottelige Haare, die charakteristische Lippe. Der Schrecken der Generation meiner Großeltern.
Wie alles begann
Gleich zu Beginn der Ausstellung muss ich ein Vorurteil beerdigen. Ich bringe Udo Lindenberg immer mit Hamburg in Verbindung und war der festen Überzeugung, er sei auch Hamburger. Pustekuchen – er ist 1946 im westfälischen Gronau geboren, in einer Kleinstadt, wo sein Vater einen Installateurbetrieb führt, den er gegen seinen Willen, aber ganz im Sinne der Familientraditionen übernehmen musste. Udos Mutter kümmert sich um die Buchhaltung und zieht die Kinder groß. Kein leichtes Unterfangen in der Nachkriegszeit.
Der große Bruder Erich weckt in Udo Lindenberg die Begeisterung für Musik. Er bringt Jazzplatten aus den Niederlanden mit nach Hause. Und der kleine Udo trommelt auf allem herum, was ihm in die Finger kommt. Und dann, im zarten Alter von neun Jahren, beschließt er, ein Star zu werden – ganz wie Louis Armstrong, dessen Konzert in Enschede ihn tief beeindruckt hatte. Und ganz Gronau denkt: der Junge ist verrückt.
Die nächste Station ist dann Düsseldorf, und die Ausbildung in einem Grand Hotel. Nebenjob: Jazzdrummer. Er spielt in verschiedenen Formationen – mit Klaus Doldinger und Peter Herbolzheimer, aber der Platz hinter dem Schlagzeug wird ihm langsam zu eng und die Rampensau bricht durch. 1971 erscheint sein erstes eigenes Album, ´Lindenberg´, in englischer Sprache und floppt. Udo Lindenberg erkennt, dass er sich nur in seiner Muttersprache richtig ausdrücken kann. 1972 verknüpft er Rockmusik mit deutschen Texten und kann mit Hoch im Norden in Norddeutschland einen ersten Hit landen. Was für ein Meilenstein! Und der Titel erklärt auch, warum alle Welt Udo für einen Norddeutschen hält…
Das Panikorchester und die Andrea Doria
Im August 1973 gründet Udo Lindenberg das Panikorchester und der Durchbruch gelingt mit dem Album Alles klar auf der Andrea Doria. „Bei Onkel Pö spielt ne Rentnerband seit 20 Jahren Dixieland.“ – Ich glaube, dieses Stück ist meine allererste Erinnerung an die Musik von Udo Lindenberg. 1973 – wurde ich gerade eingeschult. Wie schön, diesen Titel heute, nach langen Jahren nochmal zu hören! So manche Textzeile aus den Liedern von Udo Lindenberg ist zum geflügelten Wort geworden, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.
Onkel Pö war ein Szene-Jazzlokal in Hamburg und zugleich Brutstätte der Kreativität. Unterschiedlichste Musiker trafen sich zu Sessions, und man begegnete Menschen aus der Schallplattenindustrie und vom Rundfunk. Mitte der 1970er Jahre sprach man dann von der Hamburger Szene und dem damit verbundenen New Orleans- und Dixieland-Revival.
Vermutlich kann sich heute kaum noch jemand vorstellen, was das Besondere an dieser Musik war. Damals hatte gute und etwas schwungvollere Musik immer englische Texte. Ganz schlecht für ein I-Dötzchen ohne größere Fremdsprachenkenntnisse. Und wer will sich schon von zuckersüßer Schlagermusik berieseln lassen? Und die Lindenberg-Texte lohnen das genaue Hinhören.
Widerstand gegen das DDR-Regime – Gitarren statt Knarren
Auch der Sonderzug nach Pankow ist ist der Ausstellung zu sehen – zumindest als Modell. Seit den 1970er Jahren hatte Udo Lindenberg sich um eine Auftrittsmöglichkeit in der DDR bemüht. Und 1983 nahm dann der Sonderzug Fahrt auf – flapsig-frech, was natürlich bei der DDR-Führung gar nicht gut ankommt. Den Text sah man als Beleidigung an, da er den Generalsekretär diffamiere, aber dennoch wird der Titel in den Diskotheken gespielt. Udo Lindenberg schlägt versöhnliche Töne an und schreibt Honecker einen persönlichen Brief. Kurz darauf kommt dann eine Einladung der DDR-Jugendorganisation.
Unglaublich sind die alten Fotos von Udo Lindenberg anlässlich seines Auftritts bei der FDJ-Veranstaltung im Palast der Republik, am 25. Oktober 1983. Im Publikum sitzen nicht Udos Fans, sondern sorgfältig ausgewählte, linientreue FDJler. Es sollte das einzige Konzert vor dem Mauerfall bleiben und wurde genauestens von der Stasi beobachtet und dokumentiert. Es ist die Zeit der Diskussionen um den NATO-Doppelbeschluss und die Furcht vor der Stationierung von Atomwaffen treibt auch in der BRD die Menschen auf die Straße. Aufregende Zeiten in dem Jahr, in dem ich die Oberstufe erreichte. Im Januar 1984 platzte dann das Konzert von BAP – die Kölsche Band durfte Deshalv spill mer he nicht spielen.
Ich muss mir klarmachen, dass viele junge Menschen das geteilte Deutschland gar nicht mehr erlebt haben. Für meinen Jahrgang gehörte damals eine Klassenfahrt in das geteilte Berlin mit einem Tag Ostberlin zum ganz normalen Programm – inklusive des mulmigen Gefühls bei den Grenzkontrollen angesichts der schwer bewaffneten DDR-Grenzsoldaten. Mein Souvenir von damals: eine Milva-Schallplatte – es gab quasi keine andere Möglichkeit, den Zwangsumtausch in DDR-Währung auszugeben. Gibt es eigentlich heute überhaupt noch Rock- oder Popmusik mit einer politischen Botschaft?
Ein historisches Foto ist in der Ausstellung zu sehen: Udo Lindenberg überreicht SED-Generalsekretär Erich Honecker bei dessen Besuch in Wuppertal 1987 eine – nach Aussage des Künstlers nicht ganz billige Gitarre – mit der Aufschrift ´Gitarren statt Knarren´. Das Foto ist damals um die Welt gegangen und Udo Lindenberg verarbeitet die Szene später zu einem ganz eigenen Werk.
Eine lange Musikkarriere
Es ist unglaublich, den langen Weg zu sehen und nachzuvollziehen, den Udo Lindenberg in seiner Karriere als Musiker zurückgelegt hat. Fotos aus den allerersten Jahren wirken wie aus der Zeit gefallen und muten fast klassisch an.
Und die Figur Udo Lindenberg wird zum einzigartigen Gesamtkunstwerk.
Wunderbar in der Ausstellung: es gibt eine Jukebox in Form eines Tisches, an der die Ausstellungsbesucher sich ihren Lieblingssong aussuchen und laut abspielen können. Laute Musik in den heiligen Hallen der Kunst – ein ganz großartiges Erlebnis! Nicht nur, dass ich meine eigenen Lieblingstitel herauskramen kann – ich denke auch bei manch anderem Titel ´Ach, das hab ich auch lange nicht mehr gehört´…
Aus dem Jahr 1986 stammt zum Beispiel das wunderbare Hinterm Horizont – damals habe ich gerade Abitur gemacht. Es heißt, Udo Lindenberg habe den Song am Timmendorfer Strand für seine langjährige Weggefährtin Gabi Blitz geschrieben, die an einer Überdosis Drogen verstorben war.
Gegen Nazis und Rassismus
Politische und gesellschaftliche Themen liegen Udo Lindenberg am Herzen und werden immer wieder zu Kunst. Musikalisch in Sie brauchen keinen Führer oder auf der Leinwand. Ein brandaktuelles Thema.
Die ganz große Show
Die Ausstellung in Rostock bietet an vielen Stellen ganz unterschiedliche Möglichkeiten, in die Welt von Udo Lindenberg einzutauchen. Die ganz große Show darf dabei natürlich nicht fehlen, und so ist ein Modell des Bühnenbilds der Show Udopium aus dem Jahr 2022 zu sehen. Das Bühnenbild entwarf Friederike Krauch und das Modell ist eine Leihgabe des Showlabors der epicto.
Und in regelmäßigen Abständen ist hier auch tatsächlich Showtime. Udo-Fans sammeln sich…
Udo erfindet sich neu – Komet
Es gab sicherlich einiges Auf und Ab im Leben von Udo Lindenberg, aber das Schöne ist: er ist nicht kleinzukriegen und erfindet sich und seine Kunst immer wieder neu. Ich hatte Komet im Radio gehört und mir gedacht, wie gut diese beiden Stimmen unglaublich gut harmonieren. In der Ausstellung sehe ich erstmals das Video, das er mit Apache 207 – im richtigen Leben Volkan Yaman – drehte. Mit dem Titel erreicht Udo Lindenberg erstmals in seiner mittlerweile 54jährigen Karriere die Spitze der Single-Charts.
Udo bezeichnet das Video als Zeichen für die gegenseitige Hochachtung vor der Kunst des anderen, für die Verbindung von Deutschrock und Hip-Hop. „Komet – ein Song über die Unvergänglichkeit, über den Fußabdruck, den wir hinterlassen.“ Selbstironisch und mit der Weisheit des Alters.
Udo Lindenberg als Maler
1980 kommt es zu einer denkwürdigen Begegnung mit Joseph Beuys. Udo Lindenberg beginnt zu zeichnen, wagt sich ab 1995 auch an die Malerei. Vielleicht wirkt hier auch der Einfluss seines Bruders Erich mit, der selbst Maler ist und als Dozent an der Akademie der Bildenden Künste in München lehrte.
Die in der Kunsthalle ausgestellten Werke sind ganz unverkennbar Werke von Udo Lindenberg. Wie herrlich bekloppt ist denn bitte die Idee, Likörelle zu malen? Udo Lindenberg hat sich seine Idee, Aquarelle mit farbigem Alkohol zu malen, sogar patentieren lassen. Daneben gibt es auch Werke auf Papier oder Leinwand. Hier ist unverkennbar jemand am Werk, der viel Spaß an dem hat, was er tut und sein Ding durchzieht, sein Schaffen als Gesamtkunstwerk betrachtet. Ich muss mir unwillkürlich vorstellen, dass Udo leicht angeschickert auf seinem Hocker vor der Leinwand sitzt, in der einen Hand ein Gläschen Hochprozentiges, in der anderen den mit Likör getränkten Pinsel.
In der Marienkirche
2.000 Quadratmeter groß ist die Ausstellung in der Kunsthalle Rostock, aber dieser Platz reicht noch nicht aus. Die Marienkirche ist selbst ein Kunstwerk der Backsteingotik, und genau hier sind einige Monumentalwerke von Udo Lindenberg zum Thema der 10 Gebote im Altarraum zu sehen.
Was nehme ich mit?
Bislang war ich nur einmal von lauter Musik begleitet durch ein Museum gegangen – damals im MuPop, dem Musée des Musiques Populaires, in Montluçon, in der Auvergne, war es die Musik von Daft Punk, die mächtig für Stimmung sorgte. Ein Museum einmal nicht eingetaucht in ehrfürchtige Stille zu erleben, ist unheimlich erfrischend. Bei meinem Ausstellungsbesuch waren erkennbar viele Udo-Fans dort, die sich in die Betrachtung der Devotionalien vertiefen konnten und sich zielsicher ihren Lieblingssong an der Jukebox aussuchten. Udos Malerei ist frisch, fast kindlich und respektlos – herrlich unkonventionell und unakademisch. Und ich möchte auch gar nicht wissen, ob die Werke im Alkohol- oder Drogenrausch entstanden sind. Es macht Spaß, sie in Kombination mit alten Fotos anzusehen. Was für ein enorm produktives Künstlerleben!
Wieder zuhause, krame ich mir alte Songs aus oder schaue mir Videos an: Durch die schweren Zeiten, Wozu sind Kriege da oder Mein Ding – Eintauchen ins Udoversum…
Neugierig geworden?
Die Ausstellung ´Udo Lindenberg – Malerei, Musik & Große Show´ ist in der Kunsthalle Rostock noch bis zum 29. Oktober 2023 zu sehen. Eigentlich sollte Ende August Schluss sein, aber wegen des großen Erfolges wurde die Schau verlängert. Geöffnet ist von 11 bis 18 Uhr, von Dienstag bis Sonntag. Mein Tipp: plant ausreichend Zeit für den Besuch ein, denn man kann sich unheimlich schnell verlieren. Und die Stärkung im Café, im wunderschönen Museumsgarten, nicht vergessen!
Die Ausstellung wird begleitet von einem umfangreichen Programm mit Vorträgen, Lesungen, Partys und Filmvorführungen.
Die Ausstellung in der Marienkirche ist bis zum 27. August 2023 zu sehen. Der Besuch der Kirche ist kostenpflichtig von 10 bis 17 Uhr 45, von Montag bis Samstag. An Sonn- und Feiertagen ist der Eintritt zwischen 11 und 15 Uhr frei.
Udo Lindenberg hat natürlich auch eine Website – mit vielen Informationen zu Musik und Kunst.
Hallo Monika,
Danke für den hervorragenden Artikel über deine ad-hoc-Reise. Das hat bei mir viele Erinnerungen ausgelöst, denn auch bei mir lag Udo und das Panikorchester oft auf dem Plattenteller und viele seiner Texte haben sich mir eingeprägt. Wenn ich mal den Tatort einschalte, wo er bei Doldinger für die Titelmusik trommelte, habe ich automatisch sein Bild vor Augen.
Obwohl ich immer verfolgt habe, wenn etwas über Udos Aktivitäten in TV oder Presse auftauchte, dachte auch ich immer, er sei ein gebürtiger Hamburger – wieder was dazugelernt.
Rostock ist von mir aus sehr weit weg, aber durch deinen Beitrag habe ich zumindest ein bisschen was von dieser interessanten Ausstellung mitbekommen.
Liebe Grüße nach… wo immer du auch gerade herumreist
Robert