Ich habe mein Herz an Aix-en-Provence verloren, diese unglaublich elegante und zugleich quirlige Stadt in der Provence, nicht weit von Marseille entfernt. Falls ihr Aix schon besucht habt und Kunst mögt, dann kennt ihr sicher auch die überaus reiche Sammlung des Musée Granet. Das Museum zählt zu den ältesten in Frankreich und die Ausstellung deckt viele Jahrhunderte ab. Nun aber hat das Musée Granet einen Ableger, der es in sich hat.
Abseits des Trubels
Das Granet XXe liegt etwas abseits des Trubels der Boulevards und der Altstadtstraßen. Mein Blick ist vollkommen gefangen vom Idyll des kleinen Vorplatzes, so dass ich nur mit einem eleganten Schwung einer tierischen Tretmine ausweichen kann. Manche Hundebesitzer haben überhaupt keinen Respekt vor der Kunst!
Die Fassade der einstigen Kapelle ist schlicht gehalten, aber wenn man sich auf dem kleinen Plätzchen umschaut, wird sofort deutlich, was den Besucher im Granet XXe erwartet.
Picasso, so weit das Auge reicht
Meist mache ich in Museen einen schnellen Orientierungsrundgang, um mir einen Überblick zu verschaffen und anschließend die Zeit für den Besuch gescheit einzuteilen. Mit dieser Strategie gelange ich sofort in den Chor der früheren Kapelle und auch ins Herzstück des Museums: Picasso, so weit das Auge reicht!
Es ist unfassbar, wie viele Werke von Picasso hier an den Wänden hängen, ohne größere Absperrungen, die die Besucher auf Abstand halten, und glücklicherweise auch ohne größere Menschenmassen, die den Blick auf die Werke versperren. Und ein Sakralraum ist tatsächlich perfekt geeignet, um die Werke gebührend in Szene zu setzen.
Im Granet XXe werden die Werke der Stiftung Jean und Suzanne Planque ausgestellt. Jean Planque und Picasso lernten sich im Jahre 1960 kennen. Damals wollte Planque Picasso ein Gemälde von Cézanne verkaufen, aber der hatte kein Interesse – dennoch wurde aus dieser ersten Begegnung der Beginn einer langen Freundschaft. Aber, und das kann ich heute genießen: 15 Werke Picassos erwarb Planque im Laufe der Zeit für seine eigene Sammlung.
Wer war Jean Planque?
Jean Planque wurde im Jahr 1910 als einziger Junge in einer Familie mit sechs Kindern im Schweizer Kanton Waadt geboren. Er arbeitet zunächst bei einer Versicherungsgesellschaft und hält ein Aquarell von Paul Klee für das Werk eines Kindes. Aber seine Wahrnehmung ändert sich, er versucht sich selber als Maler und stolpert zunächst vollkommen ahnungslos in die Welt der modernen Kunst. Er reist nach Puyloubier, wo er auf den Spuren von Paul Cézanne, dessen Kunst er bewundert, wandelt.
Sein Leben nimmt eine Wendung, als er beginnt, aus dem Hobby einen Beruf zu machen und für die renommierte Galerie Beyeler zu arbeiten. 18 Jahre lang ist Planque als Kunsteinkäufer für Beyeler in Paris tätig. Er macht die Bekanntschaft zahlreicher Künstler und wird selber zum Sammler. Sein Zugang ist dabei herrlich unakademisch, denn er kauft, was ihm gefällt, ohne selber über große finanzielle Mittel zu verfügen.
Planques Frau Suzanne stirbt 1995 und im Januar 1997 gründet Jean Planque die ´Fondation Jean et Suzanne Planque´. Deren erklärtes Ziel ist es, die Privatsammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, damit ein breites Publikum sich an den Werken erfreuen kann, so wie das Ehepaar Planque es zu Lebzeiten tat. Jean Planque stirbt 1998 bei einem Verkehrsunfall. Seine Stiftung lebt weiter und es wird zunächst ein Inventar der Werke erstellt. Die Hinterlassenschaft der Planques ist heute in Aix-en-Provence zu sehen.
Die Kapelle der Weißen Büßer
Auf den drei Etagen der Kapelle der Weißen Büßer ist die Privatsammlung von Jean und Suzanne Planque zu sehen. Die wichtigsten Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts sind hier zu bewundern, vom Kubismus bis zur Art Brut.
Die Bruderschaft der Weißen Büßer entstand im Jahre 1563 und verfolgte vorrangig wohltätige Zwecke. 1654 begann nach Plänen des Architeckten Pierre Pavillon der Bau einer neuen Kapelle, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts beendet war.
Mit der Französischen Revolution verschwand die Bruderschaft von der Bildfläche und die Kapelle wurde zum Lager für die Armee umfunktioniert. Die Stadt Aix ist Besitzer der Kapelle und stellte sie zunächst 1817 der neu gegründeten Bruderschaft zur Verfügung, bis hier ein Ableger des Musée d´Aix, heute: Musée Granet, untergebracht wird. Auch Paul Cézanne war hier zu Besuch, wie ein Brief an Emile Zola aus dem Jahr 1866 bezeugt.
Die Kapelle erlebt eine wechselvolle Geschichte, wird sogar zum Kongresszentrum, bis dann 2013 die Sammlung des Ehepaar Planque ihr Zuhause findet.
Ein Architekturjuwel für die Sammlung Planque
Rund 300 Werke umfasst die Sammlung der Planques, vom den Impressionisten und Postimpressionisten (Cézanne, Monet, van Gogh und Degas) bis hin zu den prägenden Künstlerfiguren des 20. Jahrhunderts: Picasso, Bracque, Léger und Dubuffet. Und auch Werke von Jean Planque selbst sind zu sehen. Die 700 Quadratmeter Ausstellungsfläche sind über drei Etagen verteilt.
„J´ai mieux aimé les tableaux que la vie.“ Jean Planque
Der große Reiz des Granet XXe liegt nicht nur in der aufregenden Kunstsammlung, sondern auch in der Architektur. Wenn man die Etagen hinaufsteigt, dann kann man die Kapelle aus immer neuen Blickwinkeln betrachten. Und die Konbination aus alten Steinen und moderner Kunst ist unglaublich faszinierend.
Ich sehe rot: Claude Garache
Ich bin vollkommen fasziniert von den Kunstwerken im Erdgeschoss, hebe aber doch irgendwann den Blick, um den gesamten Raum der Kapelle zu erfassen.
Im zweiten Obergeschoss leuchtet es rot, und hier gibt es das Werk von Claude Garache zu entdecken. Der Name dieses 1930 in Paris geborenen Künstlers war mir bislang vollkommen unbekannt. Sein Thema ist der weibliche Körper und seine einzige Farbe ist das Rot. Faszinierend!
Für Garache ist jeder Akt eine Frage – zur Schönheit der Frau, zum Gleichgewicht der Formen und zum Gewicht des Körpers, vollendet mit vibrierendem Licht.
Kosta Alex´ Mann mit Hut
Eine weitere Entdeckung für mich ist der amerikanische Künstler Kosta Alex, 1925 geboren. In seinem Frühwerk finden sich symbolische Skulpturen in einer surrealistischen Kulisse. Berühmt geworden ist er dank seiner Serie des Mannes mit Hut. Die Idee stammt nach Aussage des Künstlers aus dem Jahr 1939, und zwischen 1951 und 1969 entstehen ganze 49 Männer mit Hut. Und im Granet XXe hat der Mann mit Hut Nummer 40 aus dem Jahr 1963 einen ganz wunderbaren Blick in den Innenraum der Kapelle.
Jean Planque lernt Kosta Alex um das Jahr 1958 / 1959 kennen, weil er dessen Dienste als Schreiner benötigt. Erst einige Monate später wird ihm klar, dass Alex Künstler ist. Es entsteht eine lebenslange Freundschaft und natürlich kauft er einige Werke an.
Auch die Echappée Belle zeigt eine überbordende Fröhlichkeit, bei aller Einfachheit der Linien und perfekter Materialbeherrschung.
Weiter geht es zum Man from the Kalahari…
Dubuffet und Art Brut
Jean Planques Begegnung mit Jean Dubuffet ist nach seiner Aussage eine der fruchtbarsten seines ganzen Lebens, da dieser ihn lehrt, die Kunst mit einem neuen Blick zu entdecken. Planque ist zu sehr in der klassichen Kunst verhaftet, als dass er Dubuffets Weg zur Art Brut mitgehen könnte. Gleichwohl kauft er seine Werke und fördert ihn nach Möglichkeit.
Mein Fazit: das Granet XXe bietet einen überaus spannenden Rundgang durch die Kunst der Moderne, vom Bekannten zum Unbekannten. Ein Museumscafé gibt es hier leider nicht, aber das ist auch nicht weiter schlimm. Nach dem Besuch geht es hinaus in die Gassen von Aix-en-Provence, und auf einer Terrasse kann ich bei einem Kaffee oder einem Glas Rosé über das Erlebte nachdenken.
Neugierig geworden?
Wenn ihr neugierig geworden seid, dann schaut euch auf der Website des Musée Granet um – hier gibt es auch umfassende Informationen über das Granet XXe. Wollt ihr mehr über die einzelnen ausgestellten Künstler wissen, dann seid ihr auf der Seite der Fondation Planque genau richtig.
Offenlegung
Ich durfte das Granet XXe im Rahmen einer Pressereise entdecken, zu der Provence-Alpes-Côte d´Azur Tourisme, Bouches-du-Rhône-Tourisme und das Office de Tourisme d´Aix-en-Provence eingeladen hatten; ich durfte eine Gruppe von Journalisten begleiten. Angereist sind wir ganz nachhaltig mit der Bahn. Die beschriebenen Eindrücke sind meine eigenen.