Habt ihr auch einen Ort, zu dem ihr euch wegträumt, wenn euch alles zu viel wird? Die Arbeit türmt sich auf dem Schreibtisch – jetzt tatsächlich nicht mehr in Papierform, sondern als wahre Flut im Maileingang – und das Telefon klingelt durch, während Kollegen versuchen, mich über Teams zu erreichen. Eine Deadline nach der anderen ploppt auf, und etliche Aufgaben tragen das Label ´Bis vorgestern erledigen´. Der Blick nach draußen bringt auch keine Stimmungsaufhellung, denn da ist nur Grau zu sehen. Grauer Himmel und Nieselregen, Temperaturen kurz über oder unter dem Gefrierpunkt.
Das sind die Momente, wo ich mich in Gedanken aufmache nach Le Carbet, einem kleinen Ort an der karibischen Nordküste von Martinique. Über eine rumpelige Piste zieht es mich in Richtung Strand, zum Petibonum. Wenn ich ein Stammlokal auf Martinique habe, dann ist es dieses: das Reich von Guy Ferdinand, auch bekannt als ´Chef Hot Pants´.
Le Carbet
In Le Carbet betritt man historischen Grund, denn hier ging am 15. Juni 1502 Christopher Columbus bei seiner vierten und letzten Reise an Land, auf der Suche nach Indien. Im Jahr 1635 begann hier die Kolonisierung Martiniques mit der Ankunft von Pierre Belain d´Esnambuc. Sehenswert ist das Interpretationszentrum Paul Gauguin. Was kaum jemand weiß: Gauguin suchte Inspiration auf Martinique, am Strand Anse Turin, bevor er nach Tahiti weiterzog und dort die Gemälde schuf, für die er heute weltberühmt ist. Während fünf Monaten lebte er 1887 in einer Strandhütte. Le Carbet liegt einige Kilometer südlich von Saint Pierre, der früheren Inselhauptstadt, die durch den Ausbruch der Montagne Pelée komplett zerstört wurde.
Le Petitbonum
Es ist, als ob ich in meinem Stammlokal, meiner Stammkneipe ankomme. Vertrautes Gelände, quasi mein Wohnzimmer auf Martinique. Das Petitbonum ist Strandbar und Restaurant in einem, ausgestattet mit einer wohl sortierten ´Bar à Rhum´ – und Gastgeber Guy Ferdinand ist der ungekrönte Rumpapst der Insel.
Chef Hot Pants: Guy Ferdinand
Wenn es um das Thema Rum auf Martinique geht, dann kommt man an Guy Ferdinand nicht vorbei. Er ist ein exzentrisches Insel-Orginal und zeigt genau den richtigen Grad an Verrücktheit, den es braucht, um gut durch´s Leben zu kommen. Dabei ist er ein Energiebündel, das ständig neue Ideen hervorbringt, um Martinique touristisch voranzubringen. #LaMartiniqueAvance – so lautet sein Slogan.
Guy hatte tatsächlich unter diesem Slogan auch politische Ambitionen. Er ist der festen Überzeugung, dass Martinique zahlreiche Trümpfe hat, diese nur richtig ausspielen muss. Der Ausflug in die Politik währte nicht lange, aber auch einem einfachen Grund: die Veränderung braucht zu lange. Und viel Geduld hat Guy wohl nicht…
Ti Punch?
Aber genug vom Grill, der Chef lotst uns zur improvisierten Bar am Strand. Guy will uns zeigen, wie ein formvollendeter Ti Punch zubereitet wird. Rhum agricole, Rohrzucker und ein Spalt Limette. Jeder macht seine Mischung selber, ganz nach seinem Geschmack. Ich suche mir mit meinem Glas einen Platz im Schatten.
Und der Ti Punch wirkt: wir schaffen es augenblicklich zu entschleunigen und die Dinge gelassener anzugehen….
Das süße Nichtstun macht hungrig? Kein Problem! Guy kennt ja Gott und die Welt und lässt von einem jungen Anbieter aus dem Ort Sushi direkt an den Strand liefern… Diesen Service kann natürlich auch jeder in Anspruch nehmen, der in der Umgebung eine Ferienwohnung genommen hat.
Kulinarische Genüsse
Im Strandlokal tobt das Leben. Es ist Sonntag und alle Tische sind besetzt; das Personal flitzt hin und her. Guy hatte den Grill angeworfen und ein Lamm drehte hier seine Runden, denn das Motto des Tages lautet: Mechoui Party!
Feinste karibische Speisen werden in Guys Restaurant serviert, natürlich viel Fisch und Meeresfrüchte. Ein Genuss, für Magen und Auge!
Guy erklärtes Ziel ist es, Martinique von seiner besten Seite zu präsentieren, und er möchte auch die beste Schokolade der Insel auf den Tisch bringen. So wuselt auch der Chef der Chocolaterie Frères Lauzéa zwischen den Tischen herum. Ich wundere mich ein klein wenig, dass die Crème de la Crème der Insel so geballt an einem Sonntag hier anzutreffen. Das Dessert jedenfalls, ein Fondant au Chocolat, ist mit seiner Schokolade zubereitet und genau so, wie es sein soll: außen fest und innen noch flüssig. Köstlich!
Ich gebe zu: ich beobachten unheimlich gerne den Arbeitsbetrieb in Restaurants. Hier kann ich tatsächlich auch meine Wurzeln in der Hotellerie nicht leugnen. Funktionieren die Arbeitsabläufe? Wie ist die Stimmung im Team, wird respektvoll kommuniziert oder werden Mitarbeiter zusammengestaucht, wenn etwas nicht wie gewünscht läuft?
Guy ist nicht der Chef, der als strahlender Stern über allem leuchtet und nur repräsentiert, sondern er sieht alles, gibt Anweisungen und packt mit an. Man sieht, dass er auch im Hochbetrieb sein Restaurant und sein Team im Griff hat. Zugleich hat er immer Zeit für einen Schwatz.
Kleine Rumverkostung?
Wenn man das Glück hat, mit Guy eine Rumverkostung machen zu dürfen, kann man unheimlich viel über dieses wunderbare Produkt Rum lernen. Ich hatte vor meiner ersten Reise nach Martinique tatsächlich nie Rum getrunken. Den guten ´Pott´ kenne ich nur aus der Werbung und auch Tee mit Rum ist nicht meins.
Guy macht sich einen Spaß daraus, eine Verkostung mit einem Rum von einer Nachbarinsel zu beginnen. Es kratzt und beißt auf der Zunge und im Hals – wahrlich kein angenehmes Geschmackserlebnis. Aber damit ist Guy sofort bei seinem Thema, denn er kann eins zeigen: der Rum aus Martinique ist der beste der Welt und der einzige mit AOC-Label für eine geschützte Herkunftsbezeichnung.
Unfassbar, wie unterschiedlich Rums schmecken können! Nach verschiedenen Sorten weißem Rum geht es weiter mit dem braunen Rum. Ich wundere mich im Stillen, dass die Rumverkostung bei der Hitze auf Martinique nicht zu größeren Ausfallerscheinungen führt. In unseren Breiten würde man bei 30°C vielleicht ein kühles Kölsch trinken, aber nichts Hochprozentiges. Aber man wächst ja an seinen Aufgaben…
Die Füße im Wasser
Was gibt es Schöneres, als am Strand dem Rauschen der Wellen zu lauschen und den Blick auf das Meer zu genießen? Der Strand bei Le Carbet ist grau-schwarz – eine Erinnerung an den Vulkanausbruch im Jahr 1902.
Man kann Strandliegen mieten oder sich seinen Lieblingsflecken am Strand mit einem Badetuch markieren. Platz ist großzügig vorhanden. Wir suchen uns ein gemütliches Eckchen und haben endlich die Muße, über Fragen unseres Metiers zu diskutieren – von den Learnings aus den vergangenne Influencerkooperationen hin zu zukünftigen Projekten. Und immer wieder die Frage, wie unterschiedlich unsere Länder doch sind; bei allen Gemeinsamkeiten werden die Unterschiede gerade in einer Krisensituation deutlich sichtbar. Wichtig ist: immer im Gespräch bleiben. Das machen wir, bis auf die Momente, wo wir einfach auf das Meer blicken.
Guy meint es gut mit uns: Open Bar am Strand – wir können all die guten Tropfen verkosten… Was für eine Herausforderung!
Mir haben es die Flaschen alleine von ihrer Optik her angetan! Eine schöner als die andere. Deshalb auch diese Bilderflut…
Langsam werden die Schatten am Strand länger. Wir blicken glücklich und zufrieden auf einen genussvollen Tag voller Nichtstun zurück. Und ich freue mich schon auf den nächsten Besuch in meinem Stammlokal auf Martinique…
Offenlegung
Ich hatte das große Glück, mehrere Male Gast im ´Petibonum´ zu sein, als ich deutsche Journalisten und Blogger begleitete, die vom Comité Martiniquais du Tourisme eingeladen worden waren, die Highlights der Insel zu entdecken. Guy und seinem ganzen Team danke ich für den immer herzlichen Empfang. Die beschriebenen Eindrücke sind meine eigenen.
Das ist einer der schlimmsten Beiträge, den ich in der letzten Zeit lesen musste! Wie kann man da noch an den Job denken – bei soviel Verlockung???
…aber man kann ja TRÄUMEN!