Wien, das sind doch zur Stadt gewordene Klischees, oder? Wiener Schmäh, diese ganz besondere Art der Umgangsform, der Singsang der Sprache und das „Küss die Hand, gnädige Frau“. Kaiserin Sisi und das ganze mit ihrer Person verbundene Brimborium. Die legendären Kaffeehäuser als ganz besonderer Lebensraum, Wiener Melange, Sachertorte und Wiener Schnitzel für die Genießer. Daneben habe ich das Bild der Fiaker am Stephansdom vor meinem inneren Auge, und ich denke an den Hang zur Morbidität, den man Wien immer nachsagt. Auch Siegmund Freud und die Anfänge der Psychoanalyse kommen mir in den Sinn. Mit der Wiener Literatur tue ich mich bis heute schwer und weiß gar nicht so recht, warum. Doch was ist dran an all diesen Klischees? Es wird Zeit für einen Besuch in Wien!
Meine liebste Art, eine Stadt zu entdecken, das ist zu Fuß. In Wien liegt da ein Spaziergang über die Ringstraße nahe. Der Reiseführer, den ich mir ausgesucht hatte, beschreibt Wien als eine Torte mit Schokokern. Ein leckeres Bild! Das historische Zentrum ist das Herzstück der Stadt. Darum sind wie Tortenstücke der erste bis neunte Bezirk angeordnet. Und dann folgen die Außenbezirke 10 bis 23. Der Stephansdom bildet quasi die Kerze auf der Torte…
Der Ringstraßen-Walk
Die Ringstraße führt rund um die innere Stadt von Wien, vorbei an prachtvollen Bauten des Barock und der Gründerzeit. Die Wiener Staatsoper, Museen, Theater, die Universität und renommierte Hotels – alles liegt nah beieinander. Auf der Ringstraße bekommt man ein Gefühl für die einstige Größe Wiens und ahnt, was heute Scharen von Touristen aus aller Welt in die Stadt lockt.
Die Wiener selbst bezeichnen die Ringstraße ganz unbescheiden als den schönsten Boulevard der Welt. Er entstand ab den 1860er Jahren, als durch die Schleifung der Stadtmauer plötzlich viel Platz zur Verfügung stand. Auf 5,4 Kilometern kann man jetzt einen Gang durch die Kunstgeschichte unternehmen.
Wiener Moderne: die Postsparkasse
Ich starte meine Tour an der Postsparkasse. Das Gebäude der Österreichischen Postsparkasse ist ein architektonisches Prachtexemplar der Wiener Moderne. Es entstand zwischen 1904 und 1912 und galt einst als eines der modernsten Gebäude der Zeit. Der visionäre Architekt war Otto Wagner, der zugleich als Stadtplaner das Gesicht der Stadt entscheidend prägte. Er verwendete rostfreies Aluminium – ein Novum der Zeit – und baute in Stahlbetonbauweise. Seine Devise: Architektur muss den Menschen dienen. Otto Wagner liebte das Spiel mit Details: die Fassade zeigt Marmorplatten und aluminiumverkleidete Eisenbolzen, durch die das Gebäude an eine Schatztruhe erinnert. Soll heißen: hier ist dein Geld sicher!
Kunstgewerbe: das Museum für angewandte Kunst
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite macht mich einige Schritte weiter ein prächtiger Museumsbau neugierig. Im Museum für angewandte Kunst kann man das europäische Kunstgewerbe vom Mittelalter bis zur Gegenwart bestaunen. Die reich verzierte Ziegelfassade im Stil der italienischen Renaissance ist ein Werk des Architekten Heinrich von Ferstel.
Der Walzerkönig im Stadtpark
„Blumen für Herz und Seele“ – mit diesem Slogan wirbt ein Blumenstand. Direkt dahinter sehe ich verlockendes Grün. Hier beginnt der Stadtpark, die grüne Lunge der Großstadt und eine Oase der Ruhe in der Stadt. Kaiser Franz Joseph gab in den 1860er Jahren die Anweisung, einen Park im englischen Stil anzulegen. Verschlungene Wege, Teiche und Brunnen gibt es, und auch enorm viele Sitzgelegenheiten. Das habe ich tatsächlich noch nirgendwo anders gesehen: aneinandergereihte Stühle säumen die Wege. Der Stadtpark ist mit einer Größe von 65.000 Quadratmetern der größte Park an der Ringstraße und zugleich die erste öffentliche Parkanlage Wiens. Ursprünglich lag sie vor den Toren der Stadt – und jetzt mittendrin.
Vom Wetterhäuschen in der Mitte des Parks blickt man auf den Kursalon, in dem einst die Gebrüder Strauß ihre größten Erfolge feierten. Heute wird das Gebäude als Eventlocation genutzt. Und die vergoldete Statue von Johann Strauß Sohn im Stadtpark als Geige spielender Walzerkönig stellt die perfekte Fotokulisse dar. Mehr Kitsch geht kaum! Obwohl es noch recht früh am Tag ist, strömen Touristen herbei, auch viele Asiaten, um hier ihre Selfies zu machen. Kopien der Statue stehen unter anderem in Japan und in China. Die Statue gehört mit Sicherheit zu den meistfotografierten Spots in Wien.
170 Walzer komponierte Sohnemann Strauß, darunter auch den berühmten Donauwalzer – ein Weltstar seiner Zeit. Auch einigen anderen Künstlern wird im Stadtpark ein Denkmal gesetzt. Ein wunderbarer Ort, der zu einer Pause einlädt.
Das Akademische Gymnasium
Kaum bin ich wieder auf der Ringstraße, lockt mich ein imposantes Gebäude ab vom Weg in eine Seitenstraße. Am Beethovenplatz ragt die neugotische Fassade des Akademischen Gymnasiums in die Höhe. Was für ein prachtvoller Anblick! Schon der Treppenaufgang lässt ahnen, dass es sich um ein Haus mit Geschichte handelt. Tatsächlich ist das Akademische Gymnasium das älteste in Wien und das zweitälteste der fünf Akademischen Gymnasien in Österreich, gegründet 1553.
Ich laufe um das Gebäude herum und kann mich kaum sattsehen an den Gedenktafeln, die an die früheren Schüler erinnern. Sie lesen sich wie ein Who is Who der europäischen Geistes- und Wissenschaftsgeschichte.
Wiener Exzentrik: Palais Erzherzog Ludwig Viktor
Für den jüngsten Bruder von Kaiser Franz Joseph wurde ab 1863 das Palais Erzherzog Ludwig Viktor errichtet. Der trug den Spitznamen Luziwuzi und war eine schillernde Erscheinung am Hof: seine Homosexualität war ein offenes Geheimnis, aber sein Rang erlaubt ihm, seine Neigungen offen auszuleben; er hatte eine Vorliebe für Frauenkleider, eine Zunge wie eine Giftschlange und liebe das Drama. Passend, dass sein elegantes Palais im Stile der italienischen Renaissance heute als Spielstätte des Burgtheaters genutzt wird. An der Fassade sieht man sechs, je 2,5 Meter hohe männliche Statuen. Auch sehr passend: 1996 zog hier die erste Regenbogenparade vorbei.
Albertina modern
Weiter geht es zur Albertina modern, dem Ort für zeitgenössische Kunst in Wien schlechthin. Seit 2020 gibt es diese Dependance der weltberühmten Albertina, nur wenige Gehminuten vom Stammhaus entfernt. Die Basis des Museums bildet die Sammlung Essl, die wichtigste Sammlung österreichischer Kunst nach 1945. Und daneben gibt es im Erdgeschoss und Untergeschoss alles, was das Herz von Kunstfreaks erfreut: moderne, postmoderne und zeitgenössische Kunst – Anselm Kiefer, Georg Baselitz, Markus Lüpertz. Zum Zeitpunkt meines Besuchs in Wien war eine aufregende Retrospektive der Werke von Ai Weiwei zu sehen.
Das prunkvolle Treppenhaus sieht genau so aus, wie zur Zeit des Ringstraßenbaus. Wenn man die Treppe hochläuft, dann gelangt man in die Räume der Künstlerhausvereinigung. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es die Vereinigung, die damals den Bau des Hauses über eine frühe Form des Crowdfundings finanzierte.
Übrigens, im Nachbarhaus ist der Musikverein beheimatet. Ein Tempel für die klassische Musik, in dem die Wiener Philharmoniker jedes Jahr ihr Neujahrskonzert spielen. Sind die Straßenschilder nicht absolut entzückend? Als ob die Zeit stillsteht….
Auf der anderen Straßenseite lockt ein wahres Jugendstiljuwel: der Otto Wagner Pavillon am Karlsplatz zeigt heute eine Ausstellung zu Leben und Werk des Baukünstlers der Wiener Moderne, Otto Wagner, – früher war es eine Stadtbahnstation. Die prägende Farbe trägt den Namen RAL6011 – dieses Resedagrün wird auch als Otto-Wagner-Grün bezeichnet.
An der Wiener Staatsoper
Wenn ihr noch nie von Wien gehört hättet – die Wiener Staatsoper wäre euch wahrscheinlich dennoch ein Begriff, alleine durch Herbert von Karajan, der hier eine gefühlte Ewigkeit den Taktstock schwang. Das Opernhaus wurde 1869 eröffnet, 1945 bei einem Bombenangriff weitgehend zerstört und schließlich 1955 wiedereröffnet. Heute findet hier jährlich der berühmte Opernball statt, bei dem die Schönen, die Reichen und die ganz schön Reichen sich selbst feiern – ein Medienspektakel sondergleichen. Die Staatsoper gilt im Selbstverständnis der Wiener als Zeichen der neuerstandenen Zweiten Republik.
Kunst mit Wow-Effekt: die Heidi Horten Collection
Der Hanuschhof war früher Verwaltungsgebäude, später dann Reitschule. Seit dem Sommer 2022 kann man hier eine aufregende Kunstsammlung bestaunen: die Heidi Horten Collection zeigt die Privatsammlung einer schillernden Milliardärin. 1.500 Quadratmeter Ausstellungsfläche auf drei scheinbar schwebenden Ebenen lassen Besucher in den Werken der Kunst der Jahrhundertwende, der klassischen Moderne und zeitgenössischen Kunst schwelgen.
Kleine Pause im Burggarten
Neben dem Stadtpark gibt es eine weitere grüne Oase direkt im historischen Zentrum von Wien, den Burggarten. Er ist zudem perfekt gelegen zwischen der Albertina und der Heidi Horten Collection, bietet sich also für eine Verschnaufpause nach dem Kunstgenuss an.
Ein großer Teich, der Herkulesbrunnen und die einzige Kaiser-Franz-Joseph-Statue in ganz Wien – all das lasse ich links liegen, denn mich zieht es zum Palmenhaus mit seinen filigranen Jugendstilelementen. Ich suche mir einen schattigen Platz auf der Terrasse und schaue auf das Treiben im Park. So lässt sich das Leben aushalten!
Am Maria Theresien Denkmal
Weiter geht es zu einer gewichtigen Regentin. Das Maria Theresien Denkmal ist das wichtigste Denkmal, das in Wien an die Habsburgermonarchie erinnert. Maria Theresia war die erste weibliche Habsburgerregentin und sorgte als wichtige Vertreterin eines aufgeklärten Absolutismus für wichtige Reformen wie die Einführung der allgemeinen Schulpflicht. Die allegorischen Figuren zu ihren Füßen stehen für Gerechtigkeit, Stärke, Milde und Weisheit, daneben finden sich Figuren aus Kunst und Wissenschaft. Maria Theresia steht übrigens genau zwischen Kunst- und Naturhistorischem Museum – zwei spiegelbildlich angelegten Monumentalbauten.
Das Museumsquartier Wien
Nirgends ist übrigens die Museumsdichte so hoch wie hier. Wenn man die Ringstraße im Rücken hat, dann schaut man auf eine langgezogene sandsteinfarbene Fassade – das Museumsquartier Wien. Ein Open Air-Treffpunkt für Wiener und Besucher der Stadt. Hier locken das Leopoldmuseum, das Museum Moderner Kunst, das Architekturzentrum, der Kunsthalle und weitere Museen.
Das politische Herz Wiens: Parlament und Rathaus
Frisch aufpoliert ist das österreichische Parlament, das eine mehrjährige Generalsanierung hinter sich hat. Ein paar Schritte weiter gelange ich zu einem Gebäude in neogotischem Stil. Im Rathaus wird regiert, davor wird regelmäßig tüchtig gefeiert. Auf dem großen Platz vor dem Rathaus sind Bühnen und Fressbuden aufgebaut. Ich drehe ab, um zu einer weiteren Sehenswürdigkeit Wiens zu laufen.
Am Stephansdom
Der Stephansdom ist das wichtigste gotische Bauwerk Österreichs und zugleich Wahrzeichen Wiens. Man sieht ganz deutlich, dass hier das touristische Herz der Stadt schlägt, und Unmengen an Touristen sind im Inneren des Doms unterwegs.
Barocke Pracht: die Jesuitenkirche
Noch besser als der Stephansdom gefällt mir die Jesuitenkirche, auch bekannt als Universitätskirche. Obwohl sie im ersten Wiener Bezirk liegt, sind hier am späten Nachmittag kaum Menschen unterwegs. Wie schön, all die barocke Pracht in aller Ruhe anschauen zu können!
Im Café Engländer
Wenn ich schon in Wien bin, dann muss ich auch unbedingt ein Wiener Schnitzel essen, oder? Wir landen im Café Engländer, das sehr zentral gelegen ist, aber dennoch ruhig und vollkommen unaufgeregt in einer kleinen Seitenstraße liegt. Die Terrasse gefällt uns sofort und wir strecken nach all den Kilometern, die wir heute gelaufen sind, die Füße unter dem Tisch aus. Und das Wiener Schnitzel erst! Ich gebe es zu, ich esse gerne Fleisch, nicht jeden Tag, aber gerne. Das Wiener Schnitzel (und kein ´Schnitzel nach Wiener Art´!) ist hauchdünn geklopft und in einer goldbraunen Panade zart gebraten. Es kommt wellig auf dem Teller daher und wird begleitet von Kartoffel- und Feldsalat – hier: Erdäpfel- und Vogerlsalat genannt. Eine absolute Köstlichkeit!
Neugierig geworden?
Falls ihr mehr über Wien wissen wollt, dann schaut euch doch auf der Website des Tourismusverbands um. Hier findet sich eine Fülle an Informationen zu den Sehenswürdigkeiten und möglichen Touren und auch der Hinweis auf ivie, die Wien-App, die mich auf meinen Spaziergängen durch die Stadt begleitet hat. Die App bietet neben Kartenmaterial Texte und auch Audiodateien für ein umfassendes Wienerlebnis. Einzig die Zeitangabe von zwei Stunden für die 14 Stationen des Walks hat überhaupt nicht gestimmt – zumindest nicht, wenn man wie ich etliche Fotos macht und immer mal wieder durch die Seitenstraßen mäandert.
Auch der Blick in den Pressebereich der Website des Tourismusverbandes hat mich begeistert. Nicht nur, dass er frei zugänglich ist – hier finden sich Basistexte zu allen wichtigen Themen, und das nicht nur in Deutsch, sondern auch in den wichtigsten Fremdsprachen. Ein ganz dickes Lob dafür!
Ich bin auch ein großer Fan von Reiseführern und habe mir ganz kurz vor der Abreise den schmalen Wien-Band aus der Reihe der Marco Polo-Reiseführer gekauft. Kompakte Infos auf wenigen Seiten, mit herausnehmbaren Stadtplan, und ideal, um in Handtasche oder Rucksack mitgenommen zu werden.
Das ist einer der schönsten Beiträge über Wien! Mein Wienherz sagt Danke..
Was für ein Lob aus berufenem Munde – danke dafür, liebe Gudrun! Ich komme ganz sicher wieder nach Wien. Es gibt ja auch noch einige Museen, die ich mir anschauen muss.