Wer eine Reise nach Wien plant und sich dabei auch einige Museen anschauen will, der kommt an der Albertina nicht vorbei.
Die Albertina liegt nur wenige Schritte von der Wiener Staatsoper entfernt – zentraler geht es kaum. Sie ist nach ihrem Erbauer, Herzog Albert von Sachsen-Teschen, einem Schwiegersohn von Kaiserin Maria Theresia, benannt und birgt die größte graphische Sammlung der Welt – sagenhafte 60.000 Zeichnungen und Aquarelle sowie 1,5 Millionen Druckgrafiken aus den letzten 600 Jahren Kunstgeschichte. Daneben warten rund 500 Werke der Klassischen Moderne und Wechselausstellungen mit Werken der ganz Großen der Kunstgeschichte auf die Besucher und Besucherinnen. Natürlich kann nicht all diese Pracht zeitgleich gezeigt werden, aber man sollte sich auf jeden Fall nur gut ausgeruht auf die Entdeckungsreise machen.
Wechselvolle Geschichte der Albertina
Die Albertina hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich, und es ist noch gar nicht so lange her, dass die Sammlung in vollständig renoviertem Rahmen dem Publikum zugänglich gemacht werden konnte.
Der Name wurde im Jahr 1870 durch den Generalinspektor der Grafiksammlung geprägt – ´La Collection Albertina´, während die Sammlung selbst schon im Jahr 1826 begründet wurde. Die imposante Architektur des herzoglichen Palais auf der Augustinerhöhe und die Sammlung bildeten damals eine untrennbare Einheit. Historische Reisebücher rühmen jedoch vorrangig die prachtvolle Architektur, während die Werke der Sammlung eher in einem Nebensatz erwähnt wurden.
Die Wertigkeit änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg. Österreich wurde zur Republik, der letzte habsburgische Besitzer enteignet und die Überreste der Donaumonarchie sollten aus dem Straßenbild getilgt werden. Die Sammlung selbst hatte keine Verbindung zur Donaumonarchie, konnte also für die kulturpolitischen Zwecke des Staates eingesetzt wurden.
Für überzeugte Anhänger der Adelstraditionen muss es ein schwieriger Moment gewesen sein: das Innere des Palais wurde zerlegt und verschiedenen staatlichen Institutionen zur Nutzung überlassen. Das einheitliche Erscheinungsbild ging in dieser Phase unwiderruflich verloren. Nach dem Zweiten Weltkrieg schloss man vollends mit der habsburgischen Vergangenheit ab und eliminierte die historische Fassadengliederung und alle Symbole der früheren adligen Macht.
In den 1950er Jahren wurde die Grafische Sammlung wiedereröffnet, allerdings in vollkommen unattraktiver Hülle. Das noble ´Palais Albertina´ war zum hässlichen Entlein geworden. Um das Jahr 2000 besann man sich der alten Pracht. Das Museum bekam eine neue Direktion, die alles daransetzte, die alte Einheit zwischen prachtvoller Sammlung und repräsentativer Hüller wieder herzustellen. Die habsburgischen Prunkräume wurden restauriert, ebenso wie das Gebäude und die Fassade die ursprüngliche Pracht zurückerhielten. Heutige Besucher können erneut eine Symbiose aus altem habsburgischem Palais und wertvoller Sammlung erleben. Mich hat der unglaubliche Facettenreichtum der Albertina beeindruckt. Den Besucher erwartet eine unglaubliche Vielfalt an Sinneneindrücken.
Der Schrecken des Krieges
Meinen Einstieg ist die Albertina bildet eine unglaublich beeindruckende Gegenüberstellung der Werke Goyas mit denen des ukrainischen Fotografen Mykhaylo Palinchak. Von wegen, Ausstellungsmacher leben in ihrem Elfenbeinturm und sind tief in der Vergangenheit verhaftet! Aktueller kann eine Ausstellung kaum sein – eröffnet am 24. Mai 2022 und damit genau drei Monate nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine.
Der 1746 geborene Francisco de Goya gilt als der bedeutendste spanische Maler am Beginn der Moderne. Anfangs mit spätbarocken Elementen, später dann mit einem schonungslosen Realismus – die Desastres de la Guerra hat wohl jeder von uns im Kunstunterricht behandelt. Goya kritisiert anlässlich des Spanienfeldzugs Napoleons die Grausamkeiten des Krieges. Dem Betrachter bleibt nichts erspart: Morden, Foltern, Schändungen, Hungersnöte. Die Sinnlosigkeit des Krieges spricht aus all den Darstellungen der schmerzverzerrten Gesichter.
Dass die Menschheit nichts dazugelernt hat, zeigen die eindrucksvollen Fotografien von Mykhaylo Palinchak. Er wurde 1985 geboren und ist Fotograf wie sein Vater. Seine Fotos nehmen mich mit auf eine Reise durch verschiedene Regionen der Ukraine – ein zerstörtes Land. Die Aufnahmen vom Leid der ukrainischen Bevölkerung sind herzzerreißend und eine einzige Anklage.
Tony Cragg
Dem britischen Künstler Tony Cragg ist aktuell eine Ausstellung mit dem Titel ´Sculpture: Body and Soul´ gewidmet. Unheimlich beeindruckend ist die Präsenz der Skulpturen im Raum. Die Ausstellung ist in einer Pfeilerhalle zu sehen und sofort entsteht ein Dialog zwischen Architektur und Kunst.
Tony Cragg geht es um die sinnlichen Qualitäten der verwendeten Materialien. Seine Skulpturen haben Rhythmus, sind gefaltet und geschichtet, und man hat das Gefühl, Materie wird zu Energie. Ich lerne, dass sich Tony Cragg schon als Kind für die Natur und die Geologie interessierte – für die unter der Oberfläche verborgenen Strukturen. Cragg erkundet die Gesetzmäßigkeiten des Universums im Zusammenspiel mit dem Faktor Zeit. Es gibt das Sichtbare und das Verborgene, das Material als Möglichkeit. Volumen, Formen, Struktur und auch Leere – ich kann mich kaum losreißen, denn jede neue Perspektive birgt neue Faszination.
Eins ist mir klar geworden: ich muss bald unbedingt einmal nach Wuppertal und mit den Skulpturenpark ´Waldfrieden´ ansehen. Tony Cragg kaufte 2006 ein verwildertes Gelände und machte daraus ein Naturrefugium. In seinem Studio sind 20 fest angestellte Handwerker und Techniker beschäftigt, die an der Umsetzung von Craggs Ideen arbeiten.
Die Werke Tony Craggs sind in der Albertina noch bis zum 6. November 2022 zu sehen.
Die habsburgischen Prunkräume
Eine vollkommen andere Welt erreiche ich, als ich über das prunkvolle Treppenhaus in den oberen Stock gelange. Die habsburgischen Prunkräume katapultieren mich rund 200 Jahr zurück in die Vergangenheit. Hier ist alles üppig, und an Farbe und kostbaren Materialien wurde wahrlich nicht gespart.
Im Jahr 1999 begannen die umfangreichen Umbau- und Renovierungsmaßnahmen der Albertina. Äußerlich wurde die Betonfassade der 1950er Jahre durch eine Rekonstruktion der Fassade, so wie sie im Jahr 1865 war, ersetzt. Im Inneren rekonstruierte man die Prunkräume von 1822. In früheren Jahren übermalte Dekorationen wurden freigelegt und wieder sichtbar gemacht und die kostbaren Intarsienböden konserviert. Stoffe für die Wandbespannungen wurden nach historischem Vorbild neu gewebt. Und wie könnte es anders sein? Die Rekonstruktion der Kristallleuchter wurde durch die Firma Swarovski gefördert.
Ich laufe durch eine Flucht an Räumen, alle in unterschiedlichen Farben gehalten. Es gibt sogar ein Albertina-Gold – eine eigens für das Palais gemischte, kühl und elegant wirkende Goldlegierung aus 23 Karat reinem Gold und einem Karat Silber und Kupfer.
In den vergangenen Jahren konnten einige Möbelstücke, die zur ursprünglichen Einrichtung der Albertina gehörten, auf dem internationalen Kunstmarkt und aus Privatbesitz erworben werden. Wie konnte man wissen, dass die Möbelstücke einst zur Einrichtung gehörten? Die Wiener Möbelfabrik Joseph Danhauser konnte Entwurfszeichnungen aus dem Jahr 1822 zur Verfügung stellen, und aus späteren Jahren gab es Versteigerungskataloge.
Francesco Clemente
Raus aus dem Prunk, rein in die Kunst. Francesco Clemente ist ein italienisch-amerikanischer Künstler. Eine Sonderausstellung zeigt seine Selbstbetrachtungen, die oftmals Mythen und Geschichten sichtbar machen. Anlass für die Ausstellung ist die Übernahme der Sammlung Jablonka durch die Albertina. Bis zum 30. Oktober 2022 kann man die Clemente-Ausstellung anschauen.
Die Sammlung Batliner
Eine wahre Pracht ist die Sammlung Batliner mit den Werken der Klassischen Moderne. Von Monet bis Picasso, hier sind sie alle vertreten. Das Sammlerehepaar Rita und Herbert Batliner baute die Sammlung in den 1960er Jahren auf. Heute ist sie als Dauerleihgabe der Kernbestand der ständigen Sammlung der Albertina. Im Jahr 2000 stiftete Herbert Batliner der Albertina die Propter-Homines-Halle, in der heute alle großen Sonderausstellungen stattfinden.
Die Künstler des Impressionismus und Postimpressionismus bilden den Ausgangspunkt der Sammlung – Degas, Signac, Cézanne, Toulouse-Lautrec und Gauguin.
Der Gang durch die Räume der Albertina ist eine Reise durch die Kunstgeschichte, und ein Meisterwerk folgt auf das andere. Weiter geht es mit dem Expressionismus und Künstlergruppen wie der Brücke und dem Blauen Reiter.
Aber auch die russische Avantgarde ist zu sehen – Gontscharowa, Malewitsch und Chagall. Ich fühle mich sofort an das Museum Ludwig in Köln erinnert.
Auch das faszinierende Werk Pablo Picassos ist umfassend vertreten. Von den kubistischen Anfängen über Druckgrafiken bis hin zum experimentellen Spätwerk.
Und dann: die schmalen Skulpturen von Alberto Giacometti, mit einer traumgleichen Szenerie von André Delvaux. Ich möchte hier eigentlich nie wieder weg.
In den letzten Jahren interessierten die Sammler sich vorwiegend für die Kunst der Gegenwart. So sind die Werke von Georg Baselitz und Anselm Kiefer heute in der Albertina zu sehen. Es ist schlicht unmöglich, die Fülle der Werke in einem Blogbeitrag darzustellen. Würde ich in Wien leben, ich hätte ganz sicher eine Jahreskarte, um immer wieder bei meinen Lieblingswerken vorbeischauen zu können.
Mehr wissen?
Falls ihr neugierig geworden seid, dann schaut doch einmal auf der Website der Albertina vorbei! Hier wählt ihr zunächst aus, für welches der beiden Museen ihr euch interessiert, und erfahrt dann alles über die aktuellen Ausstellungen und möglichen Führungen. Die Albertina ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, Mittwoch und Freitag bis 21 Uhr. Mit dem Do & Co. gibt es auch ein Restaurant in der Albertina.
Eine Kaffeepause?
Nach meinem Besuch der Albertina brauchte ich dringend Koffein. Mich zog die Brasserie des Palmenhauses im Stadtgarten, direkt neben der Albertina, magisch an. Die Terrasse ist für mich der perfekte Ort, den Kunstgenuss Revue passieren zu lassen und dabei ein leckeres Stückchen Kuchen zu genießen.
Wo übernachten?
Wenn ihr eine Unterkunft in unmittelbarer Nähe von Albertina und Albertina Modern, aber auch der Heidi Horten Collection sucht, dann schaut euch einmal das Motel One Wien Staatsoper an! Klar, es ist ein Kettenhotel, aber man weiß halt auch ganz genau, was einen erwartet. Die Zimmer sind recht klein, aber ruhig, und das Frühstück hat die gewährte Qualität. Und man kann in einem schönen Innenhof den Sommer genießen. Vom Hotel aus lässt sich die gesamte innere Stadt zu Fuß erkunden.
Offenlegung
Im Vorfeld meiner Reise hatte ich Daniel Benyes von der Presseabteilung der Albertina kontaktiert, um ihn um eine Fotoerlaubnis zu bitten. Dieser Bitte ist er nachgekommen und hat mir obendrein eine Eintrittskarte für den Besuch der Albertina zur Verfügung gestellt. Dafür danke ich sehr! Die beschriebenen Eindrücke sind meine eigenen. Und ich komme bestimmt wieder!