Zurück zu den Wurzeln: der Tourismuscampus der Jade-Hochschule

3 Tage am Meer3 Tage am Meer

Der Tourismuscampus ist zurück! Und frei nach AnnenMayKantereit mache ich mich auf den Weg nach Wilhelmshaven, um mir 3 Tage am (Watten-) Meer zu gönnen, meine kleine Auszeit, bevor der Winter kommt.

Tourismuscampus?

2018 richtete die Jade-Hochschule in Wilhelmshaven den Tourismuscampus erstmals aus, und nach einer zweiten Ausgabe im September 2019 folgte dann die Corona-bedingte Zwangspause. Jetzt also die Auferstehung, und das Familientreffen kann wieder stattfinden! Viele bekannte Gesichter sind da, andere werden aus den verschiedensten Gründen vermisst, und viele Barcampneulinge.

In der Jade-Hochschule

In der Jade-Hochschule

Warum gerade die Jade-Hochschule? Ganz einfach, weil hier seit gut 20 Jahren in touristischen Studiengängen ausgebildet wird. Lernen in einer der touristisch spannendsten Regionen Deutschlands, nämlich Ostfriesland – das hat was. Mittlerweile gibt es auch einen Studiengang  ´Internationalen Tourismusmanagement´ mit Auslandsjahr in Frankreich. Der Tourismuscampus ruft nun die Touristiker zurück in Hörsaal und Seminarräume, zu einem Austausch auf Augenhöhe über aktuelle Themen der Branche oder auch darüber hinaus. Eine einmalige Gelegenheit für Professoren, Studierende und Praktiker miteinander ins Gespräch zu kommen. Ich mag diese Momente immer sehr, wenn ich mein Silo und den recht engen Korridor der Pressearbeit verlassen kann, um ganz neue Impulse aufzunehmen. Die Planung, worüber gesprochen wird, entsteht nach der Vorstellungsrunde innerhalb weniger Minuten vor Ort. Der einzige Wermutstropfen: ich muss mich immer zwischen mehreren spannenden Sessions entscheiden und die Zeit reicht nie aus, um ein Thema wirklich abschließend zu diskutieren. Zum Glück gibt es Pausen, denn da wird mindestens so intensiv diskutiert.

Der Sessionplan des Tourismuscampus, 1. Tag

Der Sessionplan des Tourismuscampus, 1. Tag

Generation Z, Fachkräfte finden und binden

Die Arbeitswelt befindet sich gerade in einem grundlegenden Wandel, mit einigen enormen Herausforderungen für die Unternehmen wie für die nicht mehr ganz so jungen Mitarbeitenden. Meine erste Session: Die Generation Z drängt auf den Arbeitsmarkt. New Work fordert Old Work heraus. Doch was will die Generation Z eigentlich? Die Session beschreibt vor allem den Status Quo mit einer Generation, die quasi immer auf dem Absprung ist. Es klingt recht ernüchternd, denn wie soll man in Betrieben konstruktiv zusammenarbeiten, wenn die jüngeren Mitarbeitenden sich kreativ austoben, aber nicht unbedingt Verantwortung übernehmen wollen? Die Generation Z will sich nicht für die Arbeit aufreiben, sondern pocht mit Vehemenz auf die Work-Life-Balance, will womöglich in Teilzeit arbeiten. Für Arbeitgeber bedeutet das: sich Zeit nehmen, Zuhören, Wertschätzung schenken, Begleiten… Klar, wer wünscht sich nicht, von seinem Arbeitgeber auch als Person wahr- und ernstgenommen zu werden? Nur: wer macht konkret die Arbeit? Die Zahl der Studierenden ist groß und es fehlen schlicht diejenigen, die ganz praktisch an der Basis die Arbeit erledigen.

Allerbestens versorgt dank der Sponsoren

Allerbestens versorgt dank der Sponsoren

Auch die zweite und dritte Session befassen sich mit dem Thema, wie man Fachkräfte finden und dann auch langfristig ans Unternehmen binden kann. Ein Paradigmenwechsel, denn mittlerweile müssen Unternehmen sich beim Bewerber vorstellen. Touristische Berufe gelten dabei als wenig attraktiv, mit viel Arbeit für wenig Geld. Eine Empfehlung lautet also, jede Gelegenheit zu nutzen, um früh schon Schüler und Schülerinnen die Möglichkeiten, die eine Arbeit im Tourismus bietet, aufzuzeigen und sie für die Branche zu begeistern. Lehrern fehlt schlicht der Überblick über die Vielfalt der Ausbildungsberufe. Wichtig ist, als Unternehmen authentisch zu bleiben. Wenn man flache Hierarchien versprochen hat, diese aber nicht lebt, dann ist der frisch eingestellte Mitarbeiter vielleicht auch ganz schnell wieder weg. Eine weitere Erkenntnis: man muss nicht den qualifiziertesten Mitarbeiter suchen, sondern den, der am besten zum Team passt. Hilfreich kann auch sein, den Kontakt zu Mitarbeitenden, die das Unternehmen verlassen haben, zu halten – wer weiß, ob sie tatsächlich glücklicher sind auf ihrer neuen Stelle.

Hat man Mitarbeitende gefunden, dann besteht die Herausforderung darin, sie im Unternehmen zu halten. Ein gutes Onboarding kann viel ausmachen, um Loyalität aufzubauen. Wertschätzung heißt das Zauberwort, das mittlerweile sogar in der Ausbildungsverordnung verankert ist. Wichtig ist, den Mensch im Mitarbeiter zu sehen, seine Lebensumstände und ganz persönlichen Herausforderungen zu kennen – natürlich ohne ihn mit detektivischen Fähigkeiten auszuspionieren. Regelmäßige Feedbackrunden sind überaus nützlich, wenn denn die angesprochenen Probleme auch angegangen werden. Und: Feedback gilt für beide Seiten und auch der Chef oder die Chefin muss sich Kritik stellen. Überhaupt: Farbe bekennen, offen und transparent kommunizieren, dabei immer verlässlich bleiben. Und dann die Kür: von der Arbeitsakzeptanz zur Arbeitsfreude gelangen…

Entspannte Atmosphäre

Entspannte Atmosphäre

Nachhaltigkeit und Spiritualität

Der dritte Barcamptag ist oftmals eine kleine Herausforderung, zum Einen, weil schon so viele Ideen auf mich eingeprasselt sind, die erst einmal geordnet und verarbeitet werden wollen, zum Anderen, weil die langen Abende mir in den Knochen stecken. Tatsächlich hatte ich mir dem Gedanken gespielt, zumindest eine Session zu schwänzen und mir ein kleines touristisches Programm zu gönnen, evtl. nach Hooksiel zu fahren oder von Horumersiel aus auf´s Wattenmeer zu gucken. Der leichte Nieselregen durchkreuzt diese Pläne – zum Glück! Die Runde der Barcamper ist zwar kleiner, die Sessions sind dafür aber umso spannender.

Nachhaltigkeit und Spiritualität – was für ein spannendes Thema! Ich war mit komplett falschen Erwartungen in die Session gegangen, aber es entwickelt sich eine überaus spannende, fast philosophische Diskussion. Der Sessiongeber Enno Schmoll führt uns in einen kleinen Raum, der mit überaus bequemen Ledersesseln ausgestattet war – die ideale Umgebung, um fast in der Atmosphäre eines eleganten englischen Clubs den Gedanken freien Lauf zu lassen. Ausgangspunkt der Diskussion ist Max Weber mit seiner protestantischen Arbeitsethik und dem Gedanken, dass sich der Mensch die Welt zum Untertan machen solle, arbeiten, um ein gottgefälliges Leben zu führen. Ich fühle mich sofort an meine Studienzeit als Nebenfach-Soziologe erinnert, als wir Max Webers Texte genüsslich zerpflückten und analysierten. Und dann beginnt die Gedankenreise zur Lebensform von Jägern und Sammlern, von Nomaden und zum Schamanismus. Die Frage, ob dieses Leben nachhaltiger ist, kommt auf. Wir hören von den kleinen Fluchten, etwa einfach auf´s Meer zu schauen oder mit Tomaten zu sprechen, um sich wieder zu erden. Konsum ist keine Lösung, auch wenn die Werbung versucht, uns das Gegenteil zu suggerieren. Schnell wird klar, dass auch die Religion ausgedient hat und kein Wertegerüste mehr vermitteln, keinen Halt geben kann. Und am Ende lerne ich ein neues Wort: ´Mitwelt´. Sprache kann Denken beeinflussen – das hat uns die Diskussion ums Gendern bewusst gemacht. Der Begriff ´Umwelt´ suggeriert, dass der Mensch das Zentrum bildet, und um ihn herum die Welt quasi nach seinen Vorstellungen angeordnet ist. Der Begriff ´Mitwelt´ hingegen zeigt den Menschen als Teil eines großen Netzwerkes und reduziert damit seine Bedeutung. Der Mensch kann zwar enorm viel Schaden anrichten, ist aber nur ein Rädchen im System Natur. Ganz klar, die Erde würde aufatmen, gäbe es weniger von uns… Der vielleicht beste Wattführer der Welt, Joke Pouliart, erzählt von einer Übung, mit der er auch die rabaukigsten Schulklassen zur Ruhe bringt. Er lässt sie im Kreis Aufstellung nehmen und dann einige Schritte zurücktreten, dann noch ein paar Schritte, bis keine Verständigung mehr möglich ist. Und dann heißt es: Umdrehen und in die Weite des Wattenmeeres blicken. Eine schöne Vorstellung, oder? Joke interpretiert auch den Titel des ´Welterbes´ so, dass wir alle die Verpflichtung haben, dieses Erbe anzunehmen, aber auch zu bewahren.

Manchmal braucht es eine Weile, bis die Barcampideen sich sortiert haben, und mir kommt tatsächlich an nächsten Tag erst der Gedanke an Michel Tournier, über den ich in grauer Vorzeit meine Magisterarbeit schrieb. Sein Vendredi ou les limbes du Pacifique (ins Deutsche nur unzureichend übersetzt mit Freitag oder im Schoss des Pazifik) schlägt genau diese Richtung ein. Es gibt ja eine beeindruckende Reihe von Robinsonaden, und Michel Tournier verpackt seine Kritik am kapitalistischen System in die Form eines Romans, der auf verschiedenen Ebenen – von philosophischer Abhandlung bis zum Abenteuerroman – gelesen werden kann und auch – durch die Kinderbuchversion – verschiedene Zielgruppen anspricht. Letztendlich geht es um Naturverbundenheit und die Sehnsucht nach dem, was man gerade nicht hat. 1968 veröffentlichte Tournier sein Werk – vielleicht lässt sich der Bogen zur Hippiekultur schlagen, die ja auch unser Denken und Handeln nachhaltig verändert hat. Unsere Session schließt mit der Frage, wie viele Menschen ihr Wertesystem ändern müssen, um tatsächlich eine gesamtgesellschaftliche Veränderung zu erreichen. Ich weiß nicht, ob ich an dieser Stelle meinen gewohnten Optimismus bewahren kann…

Enorme Themenvielfalt

Es ist unmöglich, einem Barcamp gerecht zu werden, und ich habe nur wenige, besonders inspirierende Sessions herausgepickt, um einen Eindruck vom Tourismuscampus zu vermitteln. Wir haben auch über den Konflikt zwischen Quantität und Qualität aus Sicht einer Destination, die sich irgendwie finanzieren muss, gesprochen. Oder über das Thema Gesundheit im Lebensraum Arbeitswelt. Weitere Sessions drehten sich um barrierefreies Reisen oder auch die Frage, was das Management von Seglern lernen kann. Da geht gleich das Kopfkino los, oder? Und das Schöne: man lernt in jeder einzelnen Session etwas dazu.

Neugierig geworden?

Informationen über den Tourismuscampus, über das diesjährige Programm und die Sponsoren, gibt es auf der Website der Jade-Hochschule. Der Hashtag des Barcamps lautet #tcwhv22 und Eindrücke der Veranstaltung finden sich in den verschiedensten Netzwerken wieder. Auch Wilhelmshaven lohnt die Reise, denn zu jedem Barcamp gehört natürlich auch ein touristisches Rahmenprogramm. Erste Eindrücke dieser jungen Hafenstadt finden sich auf dem Blog des Städteverbandes der About Cities. Wer den Radius etwas weiter ziehen will: die Seite von Ostfriesland Tourismus liefert garantiert Inspiration. Schaut gerne auch einmal hier vorbei.

Am Südstrand in Wilhelmshaven

Am Südstrand in Wilhelmshaven

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2 Kommentare

  1. Dörte Behrmann

    Moin liebe Monika,
    da habe ich ja mal wieder etwas verpasst – herzlichenn Dank für das Teilen deiner Eindrücke, Erfahrungen und Learnings. Barcamps gehören anscheinend nach wie vor zum Inspirierendsten, was die Berufswelt bietet.
    Herzlich, Dörte aus Bremerhaven

    • Liebe Dörte,

      vielleicht treffen wir uns ja im kommenden Jahr zur nächsten Ausgabe!? Ich weiß gar nicht woran es liegt, aber in Norddeutschland sind die Barcamps und auch andere Veranstaltungen immer besonders gelungen – vielleicht braucht es einfach viel frischen Wind von der Nordsee, um den Kopf ordentlich durchzupusten?

      Viele Grüße
      Monika

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