Wienbesucher haben die Qual der Wahl. Es gibt so viele Museen in der Stadt, dass man sich unbedingt im Vorfeld der Reise überlegen sollte, welche Ausstellungen man sich anschauen will. Für mich als Wien-Neuling war klar, dass es vor allem die weltberühmten Klassiker werden sollten, also die Albertina und die Albertina Modern. Daneben gab es jedoch eine spannende Neueröffnung, die mein Interesse weckte: die Heidi Horten Collection.
Die Geschichte des Hauses
Die Lage des Museums könnte zentraler kaum sein. Der Bau bildet zusammen mit der Staatsoper und der Albertina ein Dreieck im ersten Wiener Bezirk. Das Grundstück hat eine bewegte Geschichte: einst fand sich hier ein römisches Gräberfeld, dann Stadtbefestigungen während der Belagerungen durch die Türken und schließlich standen hier Bauten der Habsburgerzeit. Einst befand sich hier ein Kanzleigebäude des Erzherzogs. Das Gebäude, das heute als Museum erstrahlt, war Sitz der Verwaltung und wurde ganz schnöde als Garage genutzt. Das Architekturbüro next ENTERprise drehte dann nach einer Ausschreibung den gesamten Häuserblock einmal auf links und macht ihn in nur 20 Monaten Bauzeit zu einem Ort für die Kunst, der im Sommer 2022 eröffnet wurde.
Der Vorplatz ist als Ort des Verweilens gestaltet. Der Eingangsbereich zum Museum entstand, indem an der Nordwestseite des Gebäudes quasi ein Eck herausgeschnitten wurde, und vor allem: das Gebäude wurde komplett entkernt und neu gestaltet. Über dem Atrium scheinen zwei gegeneinander versetzte Plateaus zu schweben. Besucher bewegen sich über mehrere Treppen zwischen den Ebenen und könnten auch in mehrere kleine Kabinette entschwinden, wobei sich immer wieder neue Blickwinkel und Perspektiven ergeben.
Wer ist Heidi Horten?
Im Erdgeschoss des Museums ist gleich zu erkennen, wem die Besucher das Museum zu verdanken haben: ein großformatiges Portrait von Heidi Horten schmückt eine der Wände. Heidi Horten, geborene Jelinek, verwitwete Horten, geschiedene Charmat, zuletzt in dritter Ehe mit Anton Goess verheiratet, war Kaufhauserbin, Milliardärin, Mäzenin und Kunstsammlerin.
Der Name ihres ersten Mannes wird wohl vor allem deutschen Besuchern vertraut sein: Helmut Horten, einst Lehrling bei Leonhard Tietz in Düsseldorf, profitierte von der Verdrängung deutscher Juden aus dem Wirtschaftsleben nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten und konnte einige Kaufhäuser weit unter dem Marktwert erwerben und so den Grundstein seines Imperiums legen. Die Briten nahmen ihn nach dem Zweiten Weltkrieg zwar in Haft, aber er kam schnell wieder in Freiheit und auf die Füße – unter anderem, indem er Waren verkaufte, die er in einem Bergwerksschacht versteckt hatte. Er wurde zu einem Teil des Wirtschaftswunders der 1950er Jahre und wandelte sein Unternehmen 1970 in die Horten AG um. Mit seinem Tod wurde seine Frau Alleinerbin. Ein schwieriges Erbe.
Heidi Horten teilte mit ihrem ersten Mann die Liebe zur Kunst. Gemeinsam legten die beiden in den 1970er Jahren den Grundstein für eine umfangreiche Kunstsammlung. Mehrere Hundert Gemälde, Skulpturen und Grafiken geben einen Überblick über die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts – von der Kunst der Jahrhundertwende über die Klassische Moderne bis hin zur zeitgenössischen Kunst. Heidi Horten lebte inmitten der Kunst; sie stirbt am 12. Juni 2022, wenige Tage nach der Eröffnung der Heidi Horten Collection in Wien.
Die Sammlung
Die Eröffnungsausstellung der Heidi Horten Collection trägt den schlichten Titel ´Open´. Bereits 2018 wurden Teile der Sammlung erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – im Rahmen von ´Wow!´, im Leopold Museum in Wien. Kuratiert wurde die Schau damals von Agnes Husslein-Arco, die heute Direktorin der Heidi Horten Collection ist.
Besucher bekommen drei Erzählstränge angeboten. Zunächst Lichtarbeiten und die Idee des Einleuchtens. Gleich im Atrium beispielsweise kann man John M Armleders pulsierenden Lichtkreis sehen.
Dann wird das Spannungsfeld zwischen Mensch, Tier und Natur thematisiert. Wie geht der Mensch mit seinem natürlichen Lebensumfeld um? Wie ist das Verhältnis von Mensch und Tier? Dass der Mensch letztendlich auch nur ein Tier ist und dazu neigt, menschliche Züge auf die Tierwelt zu übertragen, das zeigt der ´Weise Affe´ von Francois-Xavier Lalanne – ziemlich groß, und mit seinem neugierigen, zur Seite gerichteten Blick auch ziemlich sympathisch. Extravagant ist auch der Hase von Claude Lalanne – der ´Grand Lapin de Victoire´ trägt Halskrause und Spazierstock. Vielleicht ein Zeichen des Aufbruchs mit diesem neuen Museum.
Auf Plateau 1 wartet ´UR Mutter´ von Lena Henke auf Besucher – die Skulptur einer Sau in poppigen Lilatönen, mit allen Widersprüchen, die das Tier ausdrückt: Fruchtbarkeit und Glück, aber auch Unreinheit. Es sieht ziemlich mitgenommen aus, das arme Vieh…
In einem dritten Themenkomplex geht es um Sprachbilder und Bildsprache – den Einsatz von Wörtern, Sätzen, Schriftzeichen und Symbolen.
Manchmal ist die Kunst auch fast hinter der Architektur versteckt, wie etwa die wunderschönen Fotos von Margherita Spiluttini.
Ein Raum hält die Erinnerung an die historische Nutzung des Gebäudes wach: der ´Tea Room´, ein Kabinett im ersten Stockwerk des Museums. Man hat das Gefühl, sich in einem großbürgerlichen Repräsentationsraum aufzuhalten, und der Raum lädt durchaus zum Verweilen ein. Markus Schinwald gestaltete den ´Tea Room´ mit einer textilbespannten Vitrinenwand, Tapisserien und einer ganz eigenen Möblierung. Die Deckenskulptur ist ein Werk von Hans Kupelwieser. Sie wirkt sehr leicht mit ihrer faszinierenden Reliefstruktur, besteht aber in Wirklichkeit aus Aluminiumblech, das der Künstler mit einem Bagger zusammengefaltet und verformt hat. Das glatte Metall erscheint ganz weich und samtig, ist dabei tonnenschwer. Faszinierend.
Auf Plateau II erwartet mich das Zeugnis einer Künstlerfreundschaft. Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol schufen mehr als 130 gemeinsame Werke. Die beiden scheinen eine gemeinsame Basis gefunden zu haben: Warhol setzt etwas Konkretes auf die Leinwand und Basquiat entstellt es irgendwie. Zwei Welten prallen aufeinander, und leben hier in friedlicher Koexistenz mit einem Rauschenberg.
So umstritten der Mensch Heidi Horten auch sein mag – die Heidi Horten Collection ist ein unglaublich faszinierendes Museum geworden. Nicht nur die Kunst ist spannend, sondern auch die Architektur. Ich habe für meinen Besuch ein besonderes Kennenlernangebot genutzt, nämlich den freien Eintritt jeden Donnerstag zwischen 18 und 21 Uhr. Ich musste nur ein Zeitfensterticket buchen.
Das Museum hat die Gelegenheit, sich zu präsentieren, perfekt genutzt, denn auf den verschiedenen Ebenen nahmen Kunstvermittler die Besucher in Empfang und erläuterten mit ganz viel Verve und Begeisterung die ausgestellten Werke. Großartig!
Neugierig geworden?
Wenn ihr neugierig geworden seid auf einen spannenden Museumsbesuch, dann schaut euch die Website der Heidi Horten Collection an. Hier finden sich nicht nur Informationen zu den aktuellen, vergangenen und zukünftigen Ausstellungen, sondern auch ein Gutachten zur wissenschaftlichen Aufarbeitung des Vermögens- und Geschäftsaufbaus von Helmut Horten in der Zeit des Dritten Reichs.
Mein Dank geht an die Presseabteilung der Heidi Horten Collection, die mir nicht nur ganz problemlos die Erlaubnis zum Fotografieren erteilte, sondern auch Zugangsdaten für den Pressebereich übermittelte. Ich komme bestimmt wieder!