Ich war auf Entzug. Lange neun Monate ohne einen Museumsbesuch, ohne das gemächliche Schlendern durch inspirierende Ausstellungen und gemütliche Kaffeepausen in Museumscafés. Anfang September 2020, als wir die Leichtigkeit des Sommers noch spürten, war ich zuletzt im Frankfurter Liebieghaus, um mir die bunte Welt der Antike anzusehen. Danach kam ein langer Winter, von Ausgangsbeschränkungen und viel Arbeit geprägt, der gefühlt gerade erst zu Ende gegangen ist.
So sehr ich das Homeoffice liebe – meine Wanderungen durch die hessische Provinz gehen mir mittlerweile gehörig auf die Nerven. Klar, Frühling und Sommer sind wunderbare Jahreszeiten. Das Leben erwacht wieder, aber ich habe das Gefühl, jede Blüte, jeden Grashalm und jede Abzweigung vom Weg zu kennen.
Aber jetzt können wir wieder ins Museum! Endlich. Klar, es ist anders als früher. Wo ich mich sonst ganz spontan entscheiden und jeder Laune nachgeben konnte, muss es jetzt ein Mindestmass an Planung sein. So habe ich am Freitagabend ein Zeitfenster für meinen ersten Museumsbesuch nach der Krise gebucht. Und es war auch nach langer Zeit das erste Mal, dass ich wieder in Frankfurt war.
Mein Neustart für die Kunst
Wohin soll die Reise gehen? Es gibt einige spannende Ausstellungen in Frankfurt und sogar neue Museen. Eine Schau sprach mich besonders an, nämlich ´Städels Beckmann / Beckmanns Städel´. Nicht nur, weil ich Beckmann seit langem schätze (bei der Gelegenheit: ins Museum Ludwig in Köln muss ich auch dringend mal wieder!), sondern auch, weil ich im Städel 700 Jahre Kunstgeschichte gleich mit dazu bekomme. Der Entzug war zu lang. Ich wollte jetzt alles!
Beckmann in Frankfurt
Max Beckmann verbrachte einen Großteil seines Lebens ins Frankfurt und hier wurde er zu einem Künstler von internationalem Renommee. Das Städel begann früh, seine Werke zu sammeln, und der Anlass für diese Ausstellung ist der Neuerwerb von Beckmanns ´Selbstbildnis mit Sektglas´, ein Hauptwerk seiner frühen Frankfurter Jahre.
Das Austellungserlebnis ist anders. Man muss im Vorfeld des Ausstellungsbesuchs einen Zeitslot buchen. Sonntagsmorgen, 10 Uhr – eine perfekte Uhrzeit, um direkt vor dem Museum einen Parkplatz zu bekommen. Maske, Abstandsregeln – all das ist mittlerweile Routine geworden. Am Einlass muss man nur noch den QR-Code aus der Bestätigungsmail vorzeigen. Schade, dass es im Moment keine richtigen Eintrittskarten mehr gibt! Ich bin bekennender Sammler dieser kleinen Papierschnipsel und könnte eine ganze Kollektion aus den letzten Jahrzehnten vorzeigen.
Max Beckmann war 1915 nach Frankfurt gekommen, traumatisiert von seinen Erlebnissen als Sanitätshelfer im Ersten Weltkrieg. Zehn Jahre später wurde ihm die Leitung der Meisterklasse der Kunstgewerbeschule übertragen, bis er dann 1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, aus der Lehrtätigkeit entlassen wurde. 1937 floh Beckmann, als ´entarteter Künstler´ diffamiert, zunächst nach Amsterdam, später dann nach New York, wo er 1950 starb.
Das Ausstellungserlebnis ist großartig, denn es sind viel weniger Besucher im Museum als in normalen Zeiten. Es gibt viel Platz, um Abstand zu halten. Was ich sehr genossen habe: da es keine Menschenmassen in den Sälen gibt, kann man einen freien Blick auf die ausgestellten Werke genießen. Wunderbar.
Eine Reise durch die Jahrhunderte
Das Städel ist bekannt für seine großartigen Sonderausstellungen, aber mit jedem Ticket kann man sich auch die ständige Sammlung ansehen. Das war auch ein Grund, warum ich unbedingt ins Städel wollte: ich habe einige Lieblingswerke, denen ich jedes Mal einen Besuch abstatte.
Das Städel Museum wurde im Jahr 1815 von dem Bankier und Kaufmann Johann Friedrich Städel gegründet und gilt als die älteste Museumsstiftung Deutschlands. 3.100 Gemälde, 660 Skulpturen, 5.000 Fotografien und mehr als 100.000 Zeichnungen und Grafiken machen das internationale Ansehen des Museums aus. Und ich würde zu gerne mal einen Blick hinter die Kulissen und ins Depot des Museums werfen…
2015 konnte das Städel 200. Geburtstag feiern und nutzte die Gelegenheit für einen Neustart, nämlich die Verlagerung des Museumserlebnisses in den digitalen Raum. Die Idee ist, Kunst überall dort zu genießen, wo man sich gerade befindet, und auch auf allen möglichen Geräten. Die Digitorials sind sehr empfehlenswert! Vermutlich haben die Museumsmacher diese Entscheidung gerade in Krisenzeiten nicht bereut, eher im Gegenteil.
Die Ruhe der verschiedenen Ausstellungssäle an einem Sonntagmorgen…
Die Kunst der Gegenwart
Ein besonderes Highlight ist für mich immer die Sammlung zur Kunst der Gegenwart, die im Untergeschoss untergebracht ist. Während die Klassiker in gediegenen Sälen mit dunkler Wandfarbe gezeigt werden, wird in der Unterwelt alles hell.
3.000 Quadratmeter bieten unheimlich viel Platz für die unterschiedlichsten Künstler. Klar, auch hier gibt es die herausragenden Persönlichkeiten, die man schon von Weitem erkennt – Georg Baselitz, Gerhard Richter, Joseph Beuys oder Günther Uecker, um nur einige zu nennen.
Kunst kann ein Nachdenken über Industrialisierung und Massenproduktion sein. Thomas Bayrle hat 4.200 Dosen Büchsenmilch zu einer Skulptur zusammengefügt. Und ich freue mich immer, wenn ich die Glücksklee-Dosen sehe.
Ich glaube nicht, dass man immer versuchen sollte, Kunst verstehen zu wollen. Alleine das Anschauen eröffnet neue Horizonte und setzt sicherlich Denkprozesse in Gang, die uns vielleicht gar nicht bewusst sind. Das Gehirn bekommt Futter, die Vorstellungskraft wird herausgefordert – genau das hat mir in den letzten Monaten gefehlt. Kunst ist in meinen Augen systemrelevant.
Welche Ausstellung schaue ich mir als nächstes an?
Neugierig geworden?
Wenn ihr mehr über die umfangreiche Sammlung wissen wollt, dann schaut doch einmal auf der Website des Städel vorbei! Großartig sind auch die vielen digitalen Angebote. Kunstvermittlung ist ein großes Thema, und so gibt es nicht nur gut gemachte Digitorials und das Museum für zuhause, sondern auch Podcast und Mixtape. Natürlich hat das Städel auch ein eigenes Blog, und zur Beckmann-Ausstellung kann man hier einen Beitrag von Bastian Eclercy lesen, dem Kurator für Alte Meister. Verhungern und verdursten muss man auch nicht, denn es gibt ein gemütliches Café mit Buchladen. Zudem ist das Städel Teil des Museumsufers, und nach nur wenigen Schritten kann man in ganz andere Kunst- und Schaffenswelten eintauchen.