Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss

Die Nidda zwischen Dortelweil und Bad VilbelDie Nidda zwischen Dortelweil und Bad Vilbel

Homeoffice – die erste Woche

So schnell kann es gehen: am Montag noch im Büro, aber nur für eine letzte Besprechung, dann heißt es Sachen packen und ab nach Hause. Mein Büro befindet sich jetzt im Wohnzimmer, die Akten lehnen neben dem Sofa an der Wand. Ich habe noch keinen Zugriff auf den Server und auch kein Telefon, dafür aber jetzt einen dienstliches Skypeaccount. Den Idealzustand, super effizient zu arbeiten, habe ich noch nicht erreicht. Die ersten Tage sind gefüllt mit all den Pressereisen, die jetzt nicht stattfinden können, und dem Austausch mit Journalisten und Bloggern auf der einen, den französischen Partnern auf der anderen Seite. Endlich habe ich einen guten Teil des IMM-Follow-Up erledigt. Dieser Workshop war die letzte Veranstaltung, die unter annähernd normalen Bedingungen Anfang März stattfinden konnte. Für den dienstlichen Twitteraccount habe ich etwas mehr Zeit, aber von dem, was ich mir für die seit langem brachliegende Pressewebsite vorgenommen hatte, habe ich bisher nur einen Bruchteil geschafft. Nicht schlimm. Täglich um 10 Uhr gibt es die Teambesprechung per Skype. Meine Franzosen haben ein ausgeprägtes Bedürfnis, sich auszutauschen. Einerseits ist das gut und wichtig, anderseits juckt es mich in den Fingern, endlich wieder loslegen zu können mit der ´richtigen´ Arbeit. Ein großartiger Effekt vom Homeoffice: ich habe Zeit für lange Gespräche oder Mails. Im Büro kommt garantiert eine Störung dazwischen und hier geht es plötzlich. Und oftmals geht es um langfristige Projekte. Zeit, sich Gedanken um den Status Quo zu machen, und zu überlegen, wo die Reise in Zukunft hingehen kann.

 

Die Arbeit ist natürlich anders. Bei schönem Wetter sitze ich im Garten, und das Sandwich im Büro wird durch ein richtiges Mittagessen ersetzt. Die Waschmaschine läuft nebenbei, erhebt keinen Anspruch auf meinen Feierabend. Den kann ich, da ja auch der Weg zu Arbeit entfällt, nutzen, um den Garten auf Vordermann zu bringen. Herrlich!

Die Ahnung einer Blüte

Die Ahnung einer Blüte

Die #StayHomeChallenge ist für mich gar kein Problem – noch nicht. Ich will gar nicht all die Ignoranten, die immer noch die Cafés bevölkern, sehen, noch mich der zunehmenden Aggressivität im Supermarkt, wo die Schlacht um Klopapier und Nudeln tobt, aussetzen. Es gibt ja so viele Möglichkeiten, sich zu beschäftigen: in der digitalen Welt habe ich im Laufe dieser Woche viel Positives gesehen.  Musiker, die ihre Konzerte streamen. Museen, die ihre Sammlungen im Internet zugänglich machen oder ihre digitalen Angebote aufmöbeln. Und wer hätte gedacht, dass ich einmal Mitglied einer Selbsthilfegruppe werde? Es ist passiert und die Morgenmotivation der ´Selbsthilfegruppe Home Office und digitales Arbeiten´ der wunderbaren Kerstin Hoffmann bringt nicht nur Spaß, sondern auch Infos über nützliche Tools. Ich habe ja jetzt Zeit, das alles einmal auszuprobieren.

Einen Lesetipp habe, der perfekt zur aktuellen Situation passt, habe ich auch: „Das Gedächtnis der Insel“ von Christian Buder – die Geschichte vom Leben und Überleben einiger Menschen, die im Sturm auf einer bretonischen Insel gefangen sind. Ein Zufallsfund in meiner Stadtbibliothek, der mir ausgesprochen gut gefallen hat.

Abends bei den Streuobstwiesen

Abends bei den Streuobstwiesen

Homeoffice – die zweite Woche

Schon liegt die zweite Woche Homeoffice hinter mir! Eine wohltuende Schludrigkeit, nein: Gelassenheit macht sich breit. Wenn ich eins nicht vermisse, dann das permanente Klingeln des Bürotelefons. Natürlich ist jede Anfrage dringend, aber ich habe mich oft genug gefragt, ob die Leute überhaupt nicht mehr in der Lage sind, ihre Arbeit sinnvoll zu planen. Die personell ausgedünnten Redaktionen sind auf Sicht gefahren und haben am Limit gearbeitet. Jetzt spielt das alles keine Rolle mehr, es gibt schlicht keine dringenden Anfragen und die Mails kommen geordnet ins Postfach geflattert. Und immer geht es um langfristige Projekte, auch im Austausch mit unseren französischen Partnern, und die Frage, wie wir alle mit der Krise umgehen können – sehr positiv, das alles. Weniger Anfragen, gleichzeitig aber mehr Zeit für einen fundierten Austausch – für mich ein wohltuender Nebeneffekt der Situation. Und Muße, mal wieder privat ausgiebig zu telefonieren. Und ganz nebenbei baue ich auch ein bisschen Resturlaub aus den vergangenen Jahren ab.

 

Gleichzeitig habe ich bzw. hat unser Büro einen gewaltigen Schritt in Richtung digitales Arbeiten getan. VPN gewährt jetzt Zugang zum Server, und wir machen nicht nur erste Versuche mit Microsoft Teams, sondern haben jetzt auch eine Facebookgruppe des weltweit vertreuten Presseteams von Atout France. Wir kennen uns bis auf ganz wenige Ausnahmen gar nicht persönlich und machen gerade Bekanntschaft miteinander. Mal sehen, wie viel Kreativität da noch entsteht! Ach ja, Zoom habe ich jetzt auch und eine erste Konferenz erlebt. Schönes Tool. Für nächste Woche habe ich mir ein Webinar von Klaus Eck zum Thema Corporate Influencer in den Kalender geschrieben. Ich muss die Gelegenheit nutzen für ein bisschen Weiterbildung.

Das Mahl ist gerichtet

Das Mahl ist gerichtet

Der Anfang der Woche war recht turbulent, vor allem wegen der hessischen Abiturprüfungen. Ein Ritt durch die Kunstgeschichte an einem Wochenende, nur bei Mathe bin ich draußen. Die beste Tochter der Welt hat alles jedenfalls mit deutlich mehr Gelassenheit gesehen als ich. Mittwochnachmittag war dann das Schlimmste geschafft, aber unter welchen Rahmenbedingungen die mündlichen Prüfungen stattfinden, das steht in den Sternen.

Regenwolken ziehen auf

Regenwolken ziehen auf

Ich bin tatsächlich froh, auf dem Land zu leben. Land heißt in diesem Fall Frankfurter Speckgürtel, und Bad Vilbel ist auch nicht wirklich ein Dorf, sondern hat rund 33.000 Einwohner, verteilt auf mehrere Ortsteile. Unsere Basis ist auf dem Niederberg und von dort aus sind es nur ein paar Schritte bis ins Zentrum. Das bestand früher im Prinzip aus einem Parkplatz, Brachland, das uns mit seinem heruntergekommenen Charme irgendwie an Köln erinnert hat. Wahrscheinlich war das der Grund, warum wir hierher gezogen sind. Mittlerweile hat die Stadt sich aufgehübscht und eine ´neue Mitte´ gebaut, mit einer Büchereibrücke über der Nidda. Zwar ist hier auch in normalen Zeiten nie etwas los, aber zumindest haben wir die Möglichkeit, schöne lange Spaziergänge zu machen. Einmal pro Woche steuere ich den Dottenfelder Hof an – einen Demeterbauernhof mit kaufkräftiger Kundschaft aus dem ganzen Rhein-Main-Gebiet. In normalen Zeiten werden hier Feste im Rhythmus der Jahreszeiten organisiert, und bei solchen Gelegenheiten kann man dann auch einmal ein Huhn aus dem mobilen Hühnerstall auf den Arm nehmen. Unheimlich weich und sehr leicht – eine tolle Erfahrung für einen Großstädter! Manchmal gehe ich den Weg zum Bauernhof mit der Verlängerung über Friedhof und Wald. Oder ich laufe weiter nach Dortelweil – immer der Nidda entlang.

 

Meine Lektüre der Woche: ´Gegen den Hass´ von Carolin Emcke. Ein gutes und wichtiges Buch, auch wenn von den rechten Idioten im Moment wenig zu hören ist, dazu sprachlich brillant. Und gerade: ´Die schwedischen Gummistiefel´ von Henning Mankell. Der Zufall hat mich am letzten Tag der Bibliotheksöffnung offensichtlich vermehrt zu Büchern greifen lassen, die auf einsamen Inseln spielen. Auch das eine wunderbare Lektüre, die Selbstbefragung eines älteren Mannes.

Abends unter Apfelbäumen

Abends unter Apfelbäumen

Homeoffice – die wievielte Woche eigentlich?

Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss geworden und es ist eigentlich vollkommen egal, die wievielte Woche im Homeoffice das gerade ist. Es ist mittlerweile Mitte Mai und unser Büro ist zwischenzeitlich umgezogen. Ich war zweimal im Büro: einmal, um Kartons einzupacken, und ein zweites Mal, um sie wieder auszupacken und meinen neuen Arbeitsplatz provisorisch einzurichten. Ansonsten hat die Arbeitswoche ihren Rhythmus durch die Teammeetings per Skype, die jetzt allerdings nur noch zweimal pro Woche stattfinden, sowie die Webinare, an denen ich teilnehme – die perfekte Erinnerung, welcher Wochentag gerade ist. Meine Armbanduhr habe ich komplett abgelegt, weil die Zeit jede Bedeutung verloren hat. Und für alle Termine gibt es Outlook-Erinnerungen. Der Kauf eines Kalenders war wohl die größte Fehlinvestition des Jahres. Aber ich kaufe mir auch für 2021 einen Kalender, soviel ist sicher.

Bärlauch, so weit das Auge reicht

Bärlauch, so weit das Auge reicht

Zwischenzeitlich ist die Natur rund um Bad Vilbel explodiert. Nichts zieht mich in die Stadt oder gar zum Einkaufen. ich versuche, mit einem wöchentlichen Besuch im Supermarkt auszukommen, und schon der stresst mich. Nicht nur, dass mich die Menschen aufregen, die immer noch nicht verstanden haben, dass man dieses kleine fiese Virus ernst nehmen sollte – es macht einfach keinen Spaß mehr, in den Supermarkt zu gehen. Den Dottenfelder Hof kann man auch nicht mehr ohne Weiteres besuchen: der schöne Innenhof ist für Besucher komplett gesperrt und im Markt wird nur eine kleine Anzahl an Kunden eingelassen.

Im Prinzip sind es drei große Spaziergänge, die ich rund um Bad Vilbel unternehmen kann. Ein Weg führt nach Massenheim – zunächst ein Stück an der Nidda entlang und dann über Feldwege bis hin zur Auenkunst. Für meinen Geschmack stehen diese Werke alle zu dicht beieinander. Ich hätte sie viel weiter auseinandergezogen und in der Natur versteckt, aber wahrscheinlich ist die Kürze der Strecke dem Altersdurchschnitt der üblicherweise spazierengehenden Bevölkerung geschuldet. Auf dem Weg: lautes Froschspektakel. Und Eichhörnchen und sogar ein Storch.

 

Eine passende Lektüre zu den Waldspaziergängen habe ich auch gefunden: „Das Geheimnis der Bäume“ von Peter Wohlleben. Den Film habe ich nicht gesehen, und auch das Buch hätte ich wohl nicht gekauft, wenn ich nicht so oft durch den Wald laufen würde. Daneben lese ich die aktuellen Neuerscheinungen an Frankreichkrimis, quasi als halbdienstliches Lesevergnügen, und zuletzt dicke Wälzer wie „Ein wenig Leben“ von Hanya Yanagihara – 958 Seiten pures Lesevergnügen.

Am Waldrand

Am Waldrand

Kaum gibt es erste Diskussionen um Grenzöffnungen, schon habe ich die erste Mail zum Thema Pressereisen im Postfach. Es scheint, als ginge das Thema ´Reisen im Kopf´ langsam, aber sicher wieder in Richtung wirklicher Reisen. Und gleich wird es hektisch im Büro und eine Flut von E-Mails schießt in mein Postfach. Ach ja, wir haben die Zulassung zu den mündlichen Abiturprüfungen!

Mitte Mai – ein neuer Spazierweg hat sich aufgetan. Einmal quer durch den Vilbeler Wald – hier gibt es sogar Rehe! Das arme Tier hat sich noch mehr erschreckt als ich  – und dann hoch auf dem Frankfurter Grüngürtel, Richtung Frankfurt, Ritterweiher und Heilsberg. Hier sind auch unter der Woche viele Radler, Nordic Walker und Spaziergänger unterwegs. Eine kleine, angenehme Runde – eine Alltagswanderung.

 

Positive Geschichten gibt es auch in diesen besonderen Zeiten zu berichten: meine Buchhändlerin hatte zwar wie alle anderen Geschäfte auch zu, aber sie war täglich im Laden, hat Kontakt mit den Kunden gehalten und Bestellungen entgegengenommen. Ausgeliefert hat sie über die benachbarte Apotheke, wo die Kunden einen Umschlag mit Geld gegen Lektüre getauscht haben. Das nennt man wohl eine gelungene Symbiose; das Bespiel zeigt, dass man in jeder Krise auch Positives finden kann. Nebenbei hat sie auch noch eine neue Website eingerichtet, auf der man jetzt online bestellen oder den neuen Newsletter abonnieren kann.

Ich glaube, ich kaufe mir bald mal richtige Wanderschuhe. Wer weiß, wie viele Kilometer ich noch rund um Bad Vilbel laufen werde.

Abendstimmung über den Feldern

Abendstimmung über den Feldern

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2 Kommentare

  1. Schön zu lesen. Es freut mich sehr, dass es dir im Grunde ähnlich wie mir geht – und das Homeoffice für dich ein Segen darstellt. Erstaunlich, was Arbeitgeber auf einmal „online“ in der Lage sind, auf die Beine zustellen. Dinge, die lange als vollkommen unmöglich und undenkbar vom Tisch gewischt wurden…

    Aber auch schön, dass du mehr Zeit für dich hast – inklusive Weiterbildung. Habe den Eindruck, da geht es Dir auch wie mir: ich mag immer Neues lernen. Andere Aspekte kennenlernen. Solange ich nicht zu einer Weiterbildung gezwungen werde, ist das für mich selbst dienstlich gefühlte Freizeit…

    Freue mich mega, dass du auch in der Blogosphäre angekommen bist!

    Bis bald mal wieder, bleib gesund!

    Hubert

    • Danke für deine lieben Worte, Hubert! Ich finde es tatsächlich großartig, Dinge auch einmal anders anzugehen und Neues auszuprobieren. Ich hoffe nur, dass all die positive Energie uns erhalten bleibt, wenn das Leben wieder seinen ´normalen´ Lauf nimmt. Und es wird sich zeigen, ob ich dann auch weiterhin genügend Zeit für´s Bloggen habe. Aber ich bin ja Optimist…

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