Kleine Städte können unglaublich reizvoll sein und ganz unerwartete Entdeckungen bieten. Bei großen Städten oder Metropolen hat jeder irgendeine Vorstellung davon, was den Besucher oder die Besucherin dort erwartet. Meist hat man schon Bilder gesehen oder vielleicht auch etwas gelesen, einen Zeitungsartikel oder einen Blogbeitrag. Die kleinen Städte, das sind oftmals die großen Unbekannten. Weiße Flecken auf der Landkarte. An den Schildern Richtung Deventer bin ich früher schon oft vorbeigekommen, aber nie von der Autobahn abgefahren. Das sollte jetzt anders werden!
Deventer – Stadt am Wasser
Deventer liegt am Fluss Ijssel und es scheint fast, als verwischt die Geschichte der Stadt im Nebel des Flusses. Bereits im 4. Jahrhundert lebten auf dem Gebiet wohl Germanen. Die Stadtgründung fand wahrscheinlich vor dem 8. Jahrhundert statt. Deventer verfügte über einen kleinen Hafen und wurde so zu einem Knotenpunkt wichtiger Handelswege. Sie schloss sich dem Verbund der Hansestädte, zu dem in Deutschland unter anderem Lübeck, Rostock und Stralsund gehören, an.
Heute ist Deventer ein gemütliches Städtchen mit historischem Stadtkern. Architekturliebhaber kommen voll auf ihre Kosten. Unzählige Boutiquen freuen sich auf shoppingwütige Besucher und auf den Terrassen der Cafés kann man ein Getränk genießen.
Das Museum De Waag
Ich beginne meinen Stadtrundgang am Brink 58. An dieser Adresse befindet sich die Stadtwaage aus dem Jahr 1528 – das älteste Wiegegebäude der Niederlande und enorm wichtig für Deventer als Handelsstadt. Die Kaufleute mussten hier ihre Waren unter der Aufsicht des Stadtrats wiegen lassen. Die machten ihren Job wohl sehr gut und der Handelsplatz wurde als vertrauenswürdig eingestuft. Die Steuern und Zölle kamen der Stadtkasse zugute.
Die obere Etage wurde als Hauptwache genutzt – das bot sich durch die strategische Lage des Gebäudes an. Das Bauwerk ist im spätgotischen Stil errichtet und wurde später mit einem Podest im Stil der Renaissance ergänzt. Hier ist heute das Museum De Waag untergebracht, ein kleines Haus, das einen schönen Überblick über die Stadtgeschichte bietet.
Besucher lernen einiges über den Aufschwung der Stadt am Wasser und machen Bekanntschaft mit den Honoratioren der Stadt. Die Niederländer und ihre Fahrräder, das ist eine ganz eigene Geschichte. Burgers – Eerste Nederlandse Rijwielfabriek – der ersten niederländischen Fahrradmarke aus dem Jahr 1869 ist ein eigener kleiner Bereich im Museum gewidmet. Was für Schmuckstücke hier zu finden sind! Ok, die Sattel sehen nicht unbedingt bequem aus…
Zwischen 1871 und 1906 konnte man Mitglied werden im vielleicht ältesten Radsportverein der Niederlande – Immer Weiter Vélocipède-Club. Einer der Mitbegründer des Vereins war Hendricus Burgers, der im Jahr zuvor seine Fahrradproduktion begründet hatte.
Deventer ist auch eine Stadt des Buches. Seit dem 15. Jahrhundert werden hier Bücher gedruckt und Handel mit Büchern betrieben. Jedes Jahr am 1. Sonntag im August verwandelt Deventer sich in einen Pilgerort für Leseratten. Der Deventer Büchermarkt ist mittlerweile der größte Europas. Könnt ihr euch das vorstellen? Buchstände auf einer Gesamtlänge von 6 Kilometern? Ein Traum.
Der Brink – das Herz der Stadt
Auf diesem Platz schlägt das Herz der Stadt! Der Brink war schon im Mittelalter einer der größten Marktplätze der Niederlande und damit das Handelsherz der Stadt. Das Wort ´Brink´ lässt sich mit ´offene Fläche im bebauten Wohngebiet´ übersetzen. Ursprünglich war das Gelände sumpfig, so dass keine Wohnbebauung möglich war – die entstand im nahen Bergkwartier. Die Dimensionen des Platzes sind äußerst beeindruckend Der Brink hatte schon im 14. Jahrhundert einen richtigen Straßenbelag. Hier fanden allerlei Märkte statt – vom täglichen Gemüsemarkt bis zu großen Jahrmärkten. 1993 wurde der ganze Platz neugestaltet – sagenhafte 2,1 Millionen Klinkersteine wurden verbaut. Herausgekommen ist einer der schönsten Plätze der Niederlande.
Der Platz ist gesäumt mit Cafés und Restaurants, in einer Vielfalt und Menge, die für ein kleines Städtchen ganz erstaunlich sind. Unter der Adresse Brink 84 findet sich seit 1958 eine besonders leckere Adresse: der Deventer Kuchenladen von Jacob Bussink. Die Firma gibt es seit mehr als 430 Jahren und der Deventer Kuchen ist seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts bekannt. Es ist lange haltbar und konnte gut verschifft werden – zunächst in andere Hansestädte und später dann über die niederländische Ostindien-Kompagnie. Das Innere des kleinen Ladens lässt mich an längst vergangene Zeiten denken. Es versteht sich von selbst, dass ich mir Kuchen als Souvenir mitnehme.
Ein paar Schritte weiter, und ich stehe am Wilhelminabrunnen. Er wurde 1898 anlässlich der Krönung von Königin Wilhelmina errichtet. Die Deventer Stadtmagd wacht hier über das Wohl der Stadt.
Bergkerk und Bergkwartier
Die Bergkirche mit ihren zwei Türmen ist ein wuchtiges Bauwerk und dominiert das Bergkwartier. Sie wurde in den Jahren 1198 bis 1209 als romanische Kreuzbasilika in der Nähe des Hafenviertels erbaut. Gegründet wurde sie durch das Kloster Varlar bei Coesfeld, in Westfalen – ein Zeichen für die Beziehungen, die durch die Hanse entstanden. Gewidmet wurde die Bergkerk dem Heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron der Seeleute.
Es folgten im Lauf der Jahrhunderte verschiedene Umbauten. Wandmalereien verschwanden zur Zeit der Reformation und wurden später wieder restauriert. Heute wird die Bergkirche für kulturelle Veranstaltungen genutzt. Hier finden Ausstellungen und Konzerte statt.
Das gesamte Bergkwartier ist äußerst malerisch, mit dem typisch niederländischen Sinn für Gemütlichkeit. Vor vielen Häusern stehen Bänke und sonstige Sitzgelegenheiten, und alles ist voller Blumenschmuck. Mein Tipp: lasst euch einfach durch die Gassen treiben und erfreut euch an den Architekturdetails.
Wahrscheinlich kommt ihr automatisch an das kleine Häuschen an der Ecke von Bergkerksplein und Kerksteeg. Dies ist das älteste Haus in Deventer, im Jahr 1300 als Backsteinbau errichtet.
Prachtvolle ehemalige Lagerhäuser im Geldersche-Overijssel-Stil sind zu bewundern, mit ihrem Spiel von runden und eckigen Formen. Noch 27 solcher Giebelfassaden gibt es in Deventer. Typisch ist das Geschäft im Vorhaus. Die Zwischenetagen wurden als Schlafraum genutzt, die Etagen und Keller als Lagerräume.
Im Bergschild 1 findet sich ein Gebäude mit dem Namen ´Der goldene Mörser´. Hier befand sich im 17. Jahrhundert eine Apotheke. Das Haus selbst stammt aus der sog. Hansegotik des 16. Jahrhunderts.
Und auch älteste Geschäft Deventers, De Bostelwinkel, befindet sich hier – das eines Bürstenmachers. 200 Arten von Bürsten kann man hier erstehen – allesamt Naturprodukte.
Flanieren in der Walstraat
Eine besonders schöne Straße im Bergquartier ist die Walstraat. Die Straße beginnt am Bergkerksplein und führt vorbei an zahlreichen restaurierten Altbauten. Eine Vielzahl von Kunsthandwerkern und Galerien haben sich hier angesiedelt.
Deventer & Charles Dickens
Deventer gilt als eine Stadt der Bücher, und in der Walstraat gibt es ein kleines Museum zu Ehren von Charles Dickens. Schon der Blick durch die Fenster begeistert mich. Leider hat es nur samstags für einige Stunden geöffnet. Ich nehme mir fest vor, in der Adventszeit wiederzukommen, denn dann findet das Dickens Festijn statt. An einem Wochenende erwachen 950 Charaktere aus seinen Büchern und erfüllen die Straßen von Deventer mit Leben: Oliver Twist, Mr. Pickwick und wie sie alle heißen.
An der Lebuinuskirche
Die Lebuinuskirche ist die protestantische Hauptkirche Deventers. Gegründet wurde sie von einem angelsächsischen Missionar mit Namen Lebuin. Als das Bistum Utrecht zum Erzbistum wurde, machte man die Kirche in Deventer zur Kathedrale. Die Reformation setzte diesem Status ein Ende und heute gehört die Lebuinuskirche der protestantischen Kirche. Verbaut wurde neben Backstein auch Tuffstein aus der Vulkaneifel.
Im Kloostertuin
Einen besinnlichen Ort mit anderen, nämlich viel kleineren Dimensionen findet man im Klostergarten Buiskensklooster. Dieser Garten ist eine wunderschöne grüne Oase am Rande der Altstadt. Das Kloster selbst ist ein Schwesternhaus aus dem 15. Jahrhundert. Der neben dem Gebäude gelegene Garten ist heute frei zugänglich. Es ist ein kleiner Garten, mit einigen alten Bäumen, üppigem Grün und einigen Kunstwerken. Ganz alleine bin ich hier unterwegs, nur kritisch beäugt von der Klosterkatze.
Wohnen wie die Niederländer
Meine Unterkunft in Deventer war ein echter Glückstreffer. Falls ihr schon immer einmal erleben wolltet, wie die Niederländer so leben, dann seid ihr im Hotel de Vischpoorte genau richtig. Das ist nicht nur ein klassisches Hotel, sondern bietet neben Zimmern auch Apartments mit allem Drum und Dran. Für kleines Geld konnte ich es mir in einer äußerst komfortablen Wohnung gemütlich machen. Von dem voluminösen Ledersofa wollte ich gar nicht mehr aufstehen. Herrlich, der Blick auf den Platz und das Leben vor dem Fenster! Es versteht sich von selbst, dass es zum Frühstück auch Schokoflocken gab…
Mehr wissen?
Falls ihr mehr über Deventer wissen wollt, dann schaut euch doch auf der Website des Tourismusamtes um. Auf der Website kann man auch eine App mit verschiedenen Entdeckungsrundgängen durch Deventer herunterladen. Über den Städtebund der Hanse informiert diese Seite. Und dann gibt es noch eine Seite über Das andere Holland mit vielen Tipps. Allgemeine Inspiration zum Urlaub in den Niederlanden bietet diese Seite.