Wart ihr schon einmal in Lübeck? Mich zog diese Stadt an, seit ich vor ewigen Zeiten die Buddenbrooks gelesen hatte. Die Geschichte vom Verfall einer Familie, der sich über Generationen hinzieht, faszinierte mich unglaublich und ist sicherlich mit dafür verantwortlich, dass ich eine Vorliebe für dicke Wälzer entwickelt habe. Von Thomas Mann, der für dieses Werk mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, habe ich einiges gelesen, natürlich auch von seinem Bruder Heinrich Mann sowie Klaus und Erika Mann. Lübeck wird in den Buddenbrooks nicht ausdrücklich erwähnt, der Roman kann aber als Schlüsselroman gelesen werden und einige Zeitgenossen fühlten sich angegriffen. Jetzt war ich endlich in der Hansestadt, um mir den Schauplatz des Geschehens anzusehen. Das berühmte Buddenbrookhaus ist aktuell wegen Renovierung geschlossen, aber es gibt auch so unglaublich viel zu entdecken. Vom Holstentor bis zum berühmten Lübecker Marzipan.
Das Tor zur Stadt: Das Holstentor
Vom Bahnhof kommend, stößt man auf dem Weg in die Lübecker Altstadt unweigerlich auf das Holstentor. Was für ein wuchtiges und imposantes Stadttor! Die Silhouette kennt quasi jeder von Geldscheinen, Münzen oder Briefmarken. Erbaut wurde das Holstentor zwischen 1464 und 1478. Es diente zugleich der Verteidigung vor Angreifern wie der Repräsentation – als Symbol der Macht der reichen Hansestadt. Das Tor war ein Teil der Befestigungsanlagen und grenzt die Altstadt nach Westen ab. Der Backsteinbau besteht aus einer vierstöckigen Doppelturmanlage mit zwei mächtigen Türmen mit schiefergedeckten Kegeldächern. Der im Erdgeschoss liegende Tordurchgang wirkt fast klein. Die beiden Fronten sind unterschiedlich gestaltet: Die der Stadt zugewandte Seite ist reich an Fenstern und Verzierungen, während zur Feldseite hin die Verteidigung im Vordergrund stand, mit nur wenigen kleinen Fenstern und Schießscharten.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts stand zur Diskussion, das inzwischen zur Ruine verfallene Holstentor abzureißen. Mit nur einer Stimme Mehrheit entschied die Lübecker Bürgerschaft damals dagegen. Seit 1950 ist das Stadtgeschichtliche Museum im Holstentor untergebracht. Dem Handel und der Bedeutung Lübecks im Zentrum der nordeuropäischen Handelswege sind hier einige Räume gewidmet. Die überwiegende Mehrheit der Besucher nutzt die Türme als Kulisse für Urlaubsfotos und Selfies. Ein unglaubliches Gewusel an Menschen bevölkert die Grünanlage vor dem Holstentor.
Im Malerwinkel
Mich zieht es in ruhigere Ecken. Der Malerwinkel bezeichnet eine kleine Grünanlage am Rande der Altstadt am Westufer der Trave – historisch gesehen ein Teil der alten Wallanlagen vor dem Holstentor. Ich bin nur wenige Schritte vom Holstentor entfernt, aber in einer anderen Welt voller Stille. Nur wenige Fußgänger und Radler sind hier unterwegs, und die Ausblicke auf das andere Ufer sind traumhaft. Die hölzerne Dankwartsbrücke verbindet den Malerwinkel mit der Lübecker Altstadt. Ich verweile noch einen Moment auf dieser Seite der Trave und genieße die Aussicht auf mittelalterliche Häuser, im Wind flatternde Wäsche und den Dom.
Schließlich gehe ich doch über die Brücke und weiter entlang am Wasser, auf der Straße An der Obertrave. Was für ein unglaublich malerisches Fleckchen Erde! Ich kann mich kaum sattsehen an den schmucken Häusern und dem reichen Blumenschmuck. Dazu strahlt die Sonne, und einige Anwohner sitzen an kleinen Tischen vor ihren Häusern. Kein Wunder, dass die Lübecker Altstadt 1987 zum UNESCO-Welterbe ernannt wurde. Sieben Kirchtürme charakterisieren die Silhouette der Lübecker Altstadt, dazu kommen kleine Gassen und verwinkelte Höfe.
Der Lübecker Dom
Der Dom zu Lübeck ist eines der ältesten Baudenkmäler der Lübecker Altstadt und findet sich an deren südlichem Rand. Heinrich der Löwe legte den Grundstein, nachdem Lübeck 1160 Bischofssitz geworden war. Die Ausmaße des Doms sind gewaltig: er ist mit 132 Metern Länge eines der längsten Kirchengebäude Deutschlands. Die Turmhöhe von 115 Metern macht den Lübecker Dom zum zweithöchsten Kirchengebäude Schleswig Holsteins.
Museumsquartier St. Annen
Nur wenige Gehminuten vom Lübecker Dom entfernt liegt ein Komplex, der mich begeistert hat: das Museumsquartier St. Annen. Einst ein Kloster, heute ein Museum und eine moderne Kunsthalle. Der Gang durch die Räumlichkeiten kommt einem Gang durch die Kulturgeschichte und Historie Lübecks gleich.
Das St. Annen-Kloster wurde 1502 bis 1515 errichtet und schon 1530 wieder aufgelöst. Es diente in der Folge als Armen- und Waisenhaus, auch als Zuchthaus. 1915 schließlich wurde es zum Museum.
So ist in den eindrucksvollen Räumen des 500 Jahre alten Klosters eine einzigartige Sammlung sakraler Kunst zu entdecken. Der Schwerpunkt der mittelalterlichen Sammlung liegt auf norddeutscher Schnitzkunst, Danziger Textilien und deutscher und niederländischer Malerei des 15. + 16. Jahrhunderts. Rund 25 Altarretabeln werden ganz vortrefflich präsentiert.
Das Museum versteht sich als ein Ort des Dialogs mit den Besuchern und Besucherinnen und stellt die großen Sinnfragen: wer sind wir und was ist der Sinn des Lebens. Und natürlich spielt auch der Teufel und der Umgang mit dem Bösen eine Rolle.
Im Obergeschoss lässt eine Folge von 25 Räumen entdecken, wie die Menschen seit dem Mittelalter lebten, wie ihre Wohnräume und Kleidung aussahen und nach welchen Werten und Normen sich das Zusammenleben gestaltete.
Ein besonderes Highlight ist der Innenhof des Museums. Ein perfekter Ort, um einen Moment der Ruhe zu genießen und auf einer der Bänke Platz zu nehmen.
Eine Sonderausstellung ist aktuell Heinrich Mann und seinem Roman Der Untertan gewidmet. Heinrich Mann war ja immer der politischere der beiden Mann-Brüder, und die Auseinandersetzung mit Autorität und Gehorsam ist heute aktueller denn je.
In der Weimarer Republik wurde der Roman als Abrechnung mit dem Kaiserreich und als Vorhersehung des Ersten Weltkriegs gesehen. Heute zeigt sich, wie zeitlos Der Untertan ist, und Themen wie Macht, Autorität, Zensur, Ausgrenzung und Teilhabe sind brandaktuell. Auch hier tritt das Museum in den Dialog – vor allem mit Schülern und Schülerinnen. Für Schulklassen werden literarische Stadtspaziergänge und Workshops angeboten, deren Ergebnisse in einer Zeitung zusammengefasst sind. Auch die Website lohnt den Besuch. Die Sonderausstellung ist noch bis zum 27. August 2023 zu sehen. Und ich nehme mir vor, den Untertan noch einmal zu lesen.
Wo Kunst ist, da ist in aller Regel auch Kaffee nicht weit. Auch im St. Annen Museum gibt es nicht nur einen wunderbaren Museumshop, sondern auch ein schönes kleines Café.
Lübeck ganz lecker: Niederegger Marzipan
Nach all den geistigen Genüssen mache ich mich nun auf den Weg zu eher weltlichen Freuden. Die Lübecker Altstadt ist komplett von Wasser umgeben – von der Trave in Richtung Westen und vom Elbe-Lübeck-Kanal in Richtung Osten. Zwei Straßen durchziehen die Altstadt und an einer davon, der Breiten Straße, liegt ein weiteres Wahrzeichen Lübecks: das Stammhaus von Niederegger Marzipan. Mögt ihr Marzipan? Ich mache mir eigentlich gar nicht so viel aus Süßkram, aber alte Traditionsunternehmen interessieren mich immer.
1806 gründete der Konditormeister Johann Georg Niederegger, der ursprünglich aus Ulm stammte, das Unternehmen. Bereits einige Jahre später, nämlich 1822, erwirbt er das Stammhaus in der Breiten Straße. Die Lage ist äußerst günstig, direkt gegenüber vom Rathaus. Das Geschäft entwickelt sich und Niederegger bekommt zahlreiche Preise für die Qualität der Produkte. Zunächst beliefert man den russischen Zarenhof, später dann auch den deutschen Kaiser.
Heute gibt es das Arkadencafé direkt gegenüber des Stammhauses. Hier kann man im Sommer auch draußen sitzen, entweder in der Fußgängerzone, mit Blick auf das Stammhaus, oder aber – was mir besser gefallen hat – auf dem großen Platz hinter dem Rathaus. Hier ist es deutlich ruhiger und man kann das Treiben auf dem Markt beobachten. Es versteht sich von selbst, dass ich die berühmte Marzipantorte probieren musste… Früher galt Marzipan übrigens als Heilmittel – zweimal täglich vor den Mahlzeiten einzunehmen.
Im Stammhaus selber gibt es im ersten Stock ebenfalls ein Café – ein Ort mit dem ganzen Charme eines Oma-Cafés, das behutsam der modernen Zeit angepasst wurde. Ein unglaubliches Stimmengewirr ist hier zu hören, aber die Kuchentheke ist einfach sensationell. Ich lasse all das jedoch links liegen und steige noch eine Etage höher hinauf, ins Marzipanmuseum.
Unangefochtener Eyecatcher ist eine lebensgroße Skulptur aus Marzipan. Zwölf Persönlichkeiten aus der Lübecker Geschichte, die allesamt einen Bezug zu Niederegger Marzipan haben oder schlicht Fan der Köstlichkeit sind, sind angeordnet wie in einer Darstellung des letzten Abendmahls. Aber es gibt auch deutlich kleinere Marzipanfiguren zu sehen.
Daneben erfährt man so einiges Wissenswertes über die Herstellung von Marzipan, und die lange Geschichte, die vom Orient an die Trave führt. Das Museum kann zu den Öffnungszeiten des Cafés besucht werden; der Eintritt ist frei.
Ich konnte nicht umhin, auch dem Shop im Erdgeschoss des Niederegger Stammhauses einen Besuch abzustatten. Ihr ahnt es sicher: ich wollte gar nichts kaufen, konnte dann aber doch nicht widerstehen. Die Blechdosen mit den charakteristischen Gebäuden der Lübecker Skyline haben es mir angetan… Und die Glücksdose im Dschungeldesign mit der Hand der Fatima, die ich so oft in Marokko fotografiert habe. Der Kampf gegen die Dschinn wird überall geführt!
Thomas, Günter und Willy
Ein paar Schritte von Niederegger entfernt liegt in einer Seitenstraße das Buddenbrooks-Haus. Aktuell ist es wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Geschichten aus der Sammlung kann man für die Dauer der Renovierung im Infocenter am Markt entdecken – gleich um die Ecke. Und einen gut sortierten Buchladen gibt es hier auch.
Lübeck kann in seiner Geschichte drei Nobelpreisträger vorweisen. Unglaublich viel für eine kleine Stadt mit nur 220.000 Einwohnern! Thomas Mann wurde für die Buddenbrooks 1929 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Günter Grass ließ sich 1987 in Lübeck nieder. Er fand hier eine Ersatzheimat für seine Heimatstadt Danzig. Grass erhielt 1999 den Literaturnobelpreis für sein Lebenswerk. Einer der Gründe, warum Grass sich in Lübeck niederließ, war die Verbundenheit mit seinem Freund und Weggefährten, Friedensnobelpreisträger Willy Brandt.
Großer Sohn der Stadt: Willy Brandt
Willy Brandt ist mir natürlich bekannt als eine der ganz großen Politikerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Was mir neu war: er ist 1913 in Lübeck geboren – und zwar als Herbert Frahm. Er wuchs im Arbeitermilieu des Stadtteils St. Lorenz auf, konnte dann aber die höhere Bildung eines Gymnasiums genießen. Er erlebte hautnah die politischen und sozialen Konflikte und Krisen der Weimarer Republik mit; er wurde früh politisch aktiv und kämpfte gegen den aufkommenden Nationalsozialismus an.
Die Jahre von 1933 bis 1947 verbrachte Willy Brandt im norwegischen und schwedischen Exil. Er kämpft unter anderem journalistisch für ein besseres Deutschland und engagiert sich bei den norwegischen Sozialdemokraten.
Seine Berliner Jahre währen von 1957 bis 1966. Willy Brandt ist Regierender Bürgermeister von West-Berlin. Auf den Bau der Mauer antwortet er mit einer Politik der kleinen Schritte. Die Erfahrung dieser Zeit prägt dann auch seine spätere Ostpolitik.
Von 1966 bis 1974 trägt Willy Brandt dann Regierungsverantwortung in Bonn, zunächst als Außenminister, dann als erster sozialdemokratischer Bundeskanzler. Die Kontroverse um die neue Ostpolitik wird im Willy-Brandt-Haus multimedial dargestellt, und auch den Sturz über die Affäre um Günter Guillaume erleben die Besucher hautnah.
Der Besuch endet im kleinen Garten des Museums, wo neben einigen beeindruckenden Portraits auch ein echtes Stück der Berliner Mauer steht.
Der Gang durch die Zeitgeschichte der Bundesrepublik ist unglaublich beeindruckend – nicht nur wegen der Lebensleistung von Willy Brandt, sondern auch aus der Erkenntnis heraus, dass es solche Persönlichkeiten, die für ihre Überzeugungen einstehen und einen moralischen Kompass haben, in der Politik schlicht nicht mehr gibt. Der Besuch des Willy-Brandt-Hauses Lübeck ist täglich möglich und zudem kostenfrei. Mein Tipp: viel Zeit mitbringen!
Am Museumshafen
Alles Wissenswerte rund um die Bedeutung Lübecks als Hansestadt erfährt man im Hansemuseum. Bereits 1143 wurde Lübeck als erste Hafenstadt an der Ostsee gegründet. Ich will jedoch lieber das schöne Wetter ausnutzen und gehe am Wasser entlang zum Museumshafen. Was mir schon in Leer so gut gefallen hat: alte Traditionssegler lassen an die Zeit der Seeschifffahrt denken, liebevoll gepflegt von ihren Besitzer. Rund zwanzig alte Pötte kann man in Lübeck bewundern.
Abendstimmung an der Trave
Ein langer Tag voller Entdeckungen geht zu Ende und die Sonne geht langsam unter. In den Gassen der Altstadt und am Ufer der Trave pulsiert das Leben.
Wo übernachten?
Ich habe nicht viel Zeit mit der Reiseplanung verbracht, sondern mich wegen der Lage in der Innenstadt für die bewährte Qualität des Motel One Lübeck entschieden. Was für ein Glücksgriff! Das Hotel ist bequem vom Bahnhof in wenigen Gehminuten zu erreichen und liegt auf der Rückseite des Rathauses am Marktplatz. Hier gibt es nicht nur eine Fülle von Cafés und Gaststätten in unmittelbarer Umgebung, sondern auch das Niederegger-Stammhaus ist in wenigen Schritten erreicht.
Neugierig geworden?
Wenn ihr mehr über Lübeck wissen wollt, dann schaut euch auf der Website von Lübeck Tourismus um. Hier findet ihr alles über die Museen der Stadt, die Nobelpreisträger und natürlich das Marzipan.
Alles Wissenswerte über das Museumsquartier St. Annen und das St. Annen Museum ist auf der Website zusammengetragen – mit direktem Link zu allen anderen Lübecker Museen.
Träger des Willy-Brandt-Hauses in Lübeck ist die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, deren Aufgabe es ist, einen Beitrag zum Verständnis der deutschen und europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert zu leisten. Online gibt es ausführliche Informationen über die Stiftung und über das Willy-Brandt-Haus in Lübeck sowie das Forum Willy Brandt in Berlin.
Lübeck ist sehr schön. Vor Jaren her sind wir damals auch da gewesen und haben auch einen Rundfahrt gemacht und haben genossen von al die schöne Hauser un Packhaüser. Sehr schón geschrieben Monica. Ich habe es mit viel Plezier gelesen. Danke.
Sehr schön beschrieben Monika,
da kommen bei mir als gebürtiger Ratzeburger Heimatgefühle auf.