Wir haben die Großstadt hinter uns gelassen. So schön, jung und aufregend Bordeaux auch ist – uns steht der Sinn nach Entspannung, nach Sonne und sanfter Meeresbrise. Mit einem Regionalzug fahren wir nach Soulac-sur-Mer, ins Médoc Atlantique. Es ist eine andere Welt, die uns empfängt. Der Lärm ist verschwunden, und auch die Farbpalette scheint reduziert. Ankommen, durchatmen.
Paradiesisches Aquitanien
Médoc Atlantique ist eine Welt für sich. 110 Kilometer Strände, jahrhundertealte Pinienwälder und die Weinberge des Médoc prägen diese Gegend westlich der Girondemündung. Ganz im Norden leuchtet der Phare de Cordouan und die Landschaft ist von Mooren geprägt. Weiter in Richtung Süden finden sich geschützte Naturreservate und Süßwasserseen; Wassersportler finden rund um Hourtin, Carcans und Lacanau ihr Paradies – mit Eden Aquitain beschreiben die Touristiker diese Ecke Frankreichs.
Ein Ort in Ferienlaune
Soulac ist der älteste Badeort auf der Halbinsel des Médoc. Und ein winzig kleiner Ort zudem, mit gerade einmal 2.800 Einwohnern. Es gibt eine einzige belebte Fußgängerstraße, die zur Wasserfront und zum Strand führt. Besucher können alle Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad machen.
Auf der Vélodyssée
Die beste Art, Soulac-sur-Mer und die Umgebung zu entdecken, ist per Fahrrad. Wir leihen uns Fahrräder bei Cyclo´Star, direkt in der Ortsmitte. Ich weiß, es ist unvorsichtig, aber ich verzichte auf einen Helm. Es ist nicht viel los auf den Straßen in Soulac und vor allem gibt es gut ausgebaute und gekennzeichnete Radwege, mit einer Spur für jede Richtung, die zudem deutlich vom Autoverkehr abgetrennt sind. Ich radle ein Stück am Wasser entlang und lasse mir den Wind um die Nase wehen. Ist das herrlich! Unsere Unterkunft liegt in L´Amélie, einem südlichen Stadtteil abseits vom Zentrum Soulacs. Der Weg hierher wie auch die Strecke an der Wasserkante entlang ist Teil der Velodyssée. Dieser Fernradweg führt über 1.200 Kilometer von Roscoff im Norden der Bretagne entlang der Atlantikküste bis an die spanische Grenze. Aber so weit fahre ich nicht – ich will mir schließlich Soulac anschauen.
Hier ist die Welt zu Ende: Notre-Dame-de-la-Fin-des-Terres
Der ganze Stolz von Soulac und Ausgangspunkt unserer Entdeckungsreise ist die Basilika Notre-Dame-de-la-Fin-des-Terres, die zum UNESCO-Welterbe zählt. Man sieht dem alten Bauwerk, das die ganze Klarheit der romanischen Kunst des 12. Jahrhunderts ausstrahlt, seine immense religiöse Bedeutung nicht an. Der Legende nach evangelisierte die heilige Veronika das Médoc und errichtete ein Oratorium zum Gedenken an die Jungfrau Maria. Die Geschichte ist unklar, denn es fehlen schriftliche Belege. Im 10. Jahrhundert betreten dann die Benediktiner die Szene und beginnen mit dem Bau der romanischen Basilika. Sie wird für die aus dem Norden kommenden Pilger zu einer wichtigen Etappe auf dem Jakobsweg.
Allein: die Natur ist unberechenbar. Die Basilika und später auch der gesamte Ort werden mit der Zeit unter Sand begraben. Erst als der Tourismus erste zarte Blüten treibt, fällt die Entscheidung, das alte Bauwerk freizulegen und wieder nutzbar zu machen. 1859 beginnen die Restaurierungsarbeiten und erst 1909 wird die Apsis erbaut.
Wenn man heute das Innere der Basilika betritt, dann muss man 10 Stufen hinabteigen. Dennoch liegt der heutige Bodenbelag noch immer 3,6 Meter über dem ursprünglichen Boden.
Das alte Dorf und seine 500 Villen
Der Aufschwung von Soulac-sur-Mer kam mit dem technologischen Fortschritt: der Eisenbahn. Als der Ort von Sand befreit war, kaufte der Graf von Lahens, der Besitzer der Eisenbahngesellschaft des Médoc, einen guten Teil der Wälder im Norden des Médoc auf. Sein Ziel: die Eisenbahnlinie bis zur Pointe de la Grave zu führen.
Zeitgleich kam die Mode auf, im Meer zu baden. Was für eine tollkühne Idee! Ärzte bestätigten die wohltuende Wirkung des Bades auf gesunde Organismen sowie eine belebende oder gar heilende Wirkung auf geschwächte oder kranke Organismen. Die Tuberkulose war damals eine der Geißeln der Zeit. Und der geraffte Badeanzug wird zur Mode.
Um 1900 entwickelt Soulac-sur-Mer sich zu einem echten Badeort. An der Strandpromenade entstanden Badeanstalten – es gab ein Verbot, sich am Strand auszuziehen – und im Ort begann man mit dem Bau von Villen im neokolonialen Stil.
Das heutige Rathaus war einst das Hôtel de la Paix. Der Bau wurde 1866 errichtet und als Luxushotel betrieben, bis das Unternehmen pleite ging. Der Gemeindearchitekt Marcel Picard gestaltete den Umbau mit dem imposanten Uhrturm. 1901 wird das Gebäude dann zum Rathaus und dient während des Ersten Weltkriegs als Krankenstation.
In der Rue Victor Hugo sind große Villen zu sehen. Sie entstanden um 1850 und boten Platz für die Familie und das Personal. In späteren Jahren, um 1880, entstanden kleinere Häuser. Durch die Ankunft der Eisenbahn vergrößerte sich das Einzugsgebiet.
Die Architektur der Villen ist ganz charakteristisch: Weißer Kalkstein aus der nahen Saintonge und rote Briketts aus den Fabriken in Soulac sind die hauptsächlich genutzten Materialien. Die Dächer sind oftmals sehr steil und werden von Lambrequins geschmückt. An dekorativen Elementen wird nicht gespart. Die Villen haben auch keine Hausnummern, sondern tragen Namen, die auf sogenannten cartouches verzeichnet sind. Eine Herausforderung für den Briefträger, der über ein hervorragendes Gedächtnis verfügen musste. Unglaubliche 500 Villen entstanden in dieser Zeit und bildeten ein einzigartiges Ensemble.
Ein echtes Schmuckstück – vor allem im spätnachmittäglichen Sonnenschein – ist die an einer Straßenecke gelegene Villa Poujoques, deren umlaufender Lambrequin – ähnlich wie bei der Villa du Chêne – als Sonnenschutz dient.
Sehr schön sind die eleganten Schwünge auf der Fassade der Villa Les Eglantines. Für den asymmetrischen Bau ist der Architekt Albert Maurin verantwortlich. Es versteht sich von selbst, dass die heutigen Hausbesitzer nicht einfach lustig drauflos renovieren dürfen. Der Denkmalschutz setzt enge Vorgaben. Die Bausubstanz muss bewahrt, das Farbeschema respektiert werden.
Die Villa Marcellus wurde um 1860 für die Familie Marcellus errichtet. Die zwei ursprünglich separaten Pavillons wurden um 1890 durch einen zentralen Turm verbunden. Das darin befindliche Treppenhaus ermöglichte auch den Zugang zu den Holzgalerien.
Was für einen unglaublichen architektonischen Schatz dieser kleine Ort birgt! Und noch sind nicht alle Häuser renoviert. Wir kommen an einer alten Badeanstalt vorbei, die wunderbare Art Déco-Elemente erahnen lässt. Dieser Schatz muss noch gehoben werden.
In der Markthalle
Man könnte meinen, in der Markthalle schlägt das Herz von Soulac-sur-Mer. Etliche Menschen strömen in die Hallen, um noch fix für das Abendessen einzukaufen. Hier gibt es alles, was das Herz begeht: regionale Produkte, frisches Obst und Gemüse, natürlich Fisch und Meeresfrüchte und auch Käse, Wein und Kunsthandwerk. Der Bau stammt aus dem Jahr 1887 und ist ebenfalls ein Werk des Gemeindearchitekten Marcel Picard.
Fein speisen: LB
Wir werden hungrig angesichts all dieser Köstlichkeiten in der Markthalle und steuern das Restaurant LB, direkt im Stadtzentrum und nur zwei Schritte vom Meer entfernt, an. Wir finden einen Platz auf der Terrasse und können nicht nur die unbeschwerte Atmosphäre, sondern auch die Küche mit saisonalen Produkten direkt vom Markt genießen. Hier bedient der Chef selbst und empfiehlt auch den passenden Wein zu den gewählten Speisen.
Oh, Amélie!
Feiner Sand, einige Felsen – ansonsten nur der weite Blick über den Atlantik. Was für ein wunderbares Eckchen, um den Sommer zu genießen. Dabei sind kaum andere Menschen am Strand.
In unmittelbarer Umgebung dieses wunderbaren Strandes liegen drei Campingplätze – ideal für einen naturnahem Urlaub.
Yoga am Strand
Kann man das Angebot eines absolut entspannten Ortes an der Atlantikküste noch toppen? Ja, das geht – mit Yoga am Meer. Die Deutsche Katja Thomsen entdeckte während ihres Studiums in Bordeaux die Atlantikküste und Soulac-sur-Mer. Sie ging zunächst nach Sylt, um dort Yoga zu unterrichten, aber die Erinnerung an die Atlantikküste ließ sie nicht los. Schließlich packte sie ihre Yogamatte ein und schlug ihre Zelte in Soulac auf. In diesem Jahr feiert sie ihr 11. Jahr in Soulac-sur-Mer.
Wir haben das Glück, eine private Yogastunde am Strand von L´Amélie genießen zu können. Morgens um 10 Uhr ist die Welt noch in Ordnung und kaum ein Mensch ist hier zu sehen, als wir uns ein Plätzchen für die Yogamatten suchen. Katja führt mich blutigen Anfänger gekonnt durch diese Schnupperstunde. Der Sonnengruß, die Kriegerin, herabschauender Hund – all das ist gut zu schaffen. Nur Katjas Aufforderung, die Augen zu schließen, fällt mir schwer. Der Blick auf den Atlantik ist doch so schön am Strand von L´Amélie!
Ein Grill am Strand
Der Name ist unspektakulär – Grill de l´Océan – und das Äußere des Lokals ebenso. Aber wie gut, dass wir nicht achtlos an diesem Restaurant vorbeigegangen sind! Ich spekuliere, dass es sich um einen Familienbetrieb handelt, denn mehrere Generationen wuseln flink um die Tische und umsorgen die Gäste. Und was für ein Angebot!
Die Fischsuppe wird aus der großen Terrine serviert und wer möchte, bekommt auch noch einen Nachschlag. Und die Muscheln sind schlicht göttlich.
Mit dem Bulli in die Weinberge
Médoc Atlantique, das bedeutet nicht nur endlose Strände und Naturerlebnis an der Atlantikküste, sondern auch Weingenuss. Acht geschützte Herkunftsbezeichnungen und so manches weltberühmte Weingut gibt es im Médoc. Wir lassen uns auf ein ganz neues Abenteuer ein: wir fahren mit einem Bulli in die Weinberge.
Judith von Vigne Authentique holt uns vor der Basilika in Soulac-sur-Mer ab und wir bestaunen zunächst ihr Gefährt, einen alten, strahlend blauen VW-Kombi aus dem Jahr 1975. Aber der Bus fährt tatsächlich und erinnert mich daran, wie rustikal Autofahren früher sein konnte. Die Geräuschentwicklung ist ganz beachtlich.
Und los geht´s in die Weinfelder des Médoc. Wir lassen all die weltberühmten Weingüter links liegen. Judith hat sich vorgenommen, ihren Gästen vor allem die Vielfalt der kleinen und noch unbekannten Produzenten zu zeigen. Unser Ziel ist das Château La Hourcade. Der Begriff château ist hier vielleicht etwas hoch gegriffen. Es geht wenig herrschaftlich zu und man erkennt deutlich, dass Wein vor allem auch ein landwirtschaftliches Produkt ist.
Und auch dieses Weingut hat eine Geschichte. In den 1940er Jahren verliebte sich der Italiener Septime Cecchini zunächst ins Médoc und dann in seine spätere Ehefrau. Er blieb in Frankreich, wurde zunächst Postbote und legte nebenbei den Grundstock des heutigen Weinguts. Dessen Geschicke leitet heute sein Sohn Gino zusammen mit seinem Bruder Florent. Und mit Enkel Quentin steht schon die nächste Generation bereit.
Wo wohnen?
Unsere Unterkunft haben wir im Hotel des Pins gefunden, einem kleinen Familienbetrieb im ruhigen Ortsteil L´Amélie und damit abseits vom durchaus überschaubaren Trubel des Ferienortes. Das Äußere sieht eher unspektakulär aus, aber der Empfang ist herzlich.
Einige Zimmer liegen im Haupthaus, andere in einem weiteren Gebäude auf der anderen Straßenseite. In jedem Fall sind es nur zwei Schritte bis zum Strand von L´Amélie. Suchte ich einmal einen Rückzugsort, um ein Buch zu schreiben – hier hätte ich ihn gefunden!
Zeitreise: Soulac 1900
So kurz die Stippvisite in Soulac auch war: ich bin angefixt und nehme mir vor, auf jeden Fall wiederzukommen. Und zwar Anfang Juni, wenn das Event Soulac 1900 stattfindet. Einwohner wie Gäste lassen hier die Belle Epoque aufleben, mit alten Autos und prächtigen Kostümierungen. Ein bisschen wie Karneval, nur mitten im Sommer.
Neugierig geworden?
Falls ihr mehr wissen wollt über diese wunderbare Ferienregion am Atlantik, dann schaut euch die deutschsprachige Website von Médoc Atlantique an. Auch die Seite des Départements Gironde und der Region Nouvelle-Aquitaine bieten viele Anregungen.
Offenlegung
Ich hatte das große Glück, eine Pressereise begleiten zu dürfen, zu der eine kleine Gruppe von Journalisten und Bloggern anlässlich des ersten Direktzuges von Frankfurt nach Bordeaux in die Region Nouvelle-Aquitaine eingeladen wurde. Die beschriebenen Eindrücke sind meine eigenen.