Fahrt ihr auch so gerne mit dem Zug? Für mich ist der Zug mittlerweile das liebste Verkehrsmittel, auch für lange Strecken. Im vergangenen Jahr war ich zum Beispiel mit dem Zug in Wien, davor schon in London oder Paris.
In diesem Sommer habe ich eine ganz neue Zugverbindung getestet und bin mit dem Zug von Frankfurt nach Bordeaux gefahren – in einem Rutsch durch, ohne Umsteigen, ohne Bahnhofswechsel und auch ohne jede Verspätung. 7 ½ Stunden braucht der Zug, der als Kooperation von DB und SNCF unterwegs ist. Und sehe ich Bordeaux wieder, nach fast 20 Jahren. Wow, die Stadt hat sich verändert!
Ankommen in Bordeaux
Ich brauche einen Moment, um mich zu orientieren. Bei früheren Besuchen bin ich immer mit dem Flugzeug angereist, und jetzt bringt der Zug mich mitten in die Stadt. Im Bahnhof Gare St. Jean wuseln unzählige Reisende umher und ich bestaune die große Karte des französischen Südwestens in der Bahnhofshalle, entdecke Soulac-sur-Mer und Arcachon. Direkt vor dem Bahnhofsgebäude fährt die Tram ab, ins historische Zentrum der Stadt und zu unserem Hotel.
Städte am Fluss haben immer eine ganz besondere Atmosphäre – sie strahlen eine Offenheit und Neugierde allem Fremden gegenüber aus. Bordeaux und die Garonne, das ist eine Einheit. Bordeaux kann auf 2.000 Jahre Hafengeschichte zurückblicken, und die Quais strahlen seit einer umfassenden Sanierung zu Beginn der 2000er Jahre in ganz neuem Glanz. Hier wurde alles so umgestaltet, dass Spaziergänger, Jogger und Radler sich wohl fühlen können. Sogar ein üppig wachsender Garten wurde angelegt.
Wir bleiben nicht nur am Fluss, uns zieht es auf den Fluss. Bordeaux Be Boat erwartet uns zu einer privaten Bootstour auf der Garonne. Der Kapitän hat das Steuerrad fest im Griff und ich genieße den Blick auf all die prachtvollen Bauten am Ufer – klassisch an diesem und eher modern am gegenüberliegenden Ufer. Zeit für den Apéritif, meint der Kapitän, und zaubert eine Auswahl verschiedener Weine der Region hervor, dazu einige Kostproben lokaler Produkte. La vie est belle.
Zum Abendessen werden wir im Bistrot Le Gabriel erwartet. Der Ort könnte nicht besser gewählt sein, direkt am Place de la Bourse. Was für ein prachtvoller Platz, ein Werk der Aufklärung – direkt an der Garonne gelegen und Symbol der Öffnung der Stadt zum Fluss hin. Ich kann mich kaum losreißen von der prachtvollen Architektur und dem Brunnen der Drei Grazien.
Die Küche des Gabriel macht ganz deutlich: wir sind in Frankreich angekommen. Saisonale Produkte aus der Region, von aufmerksamem Servicepersonal serviert. Mir wird erst später, beim Betrachten meiner Fotos, deutlich, dass die Speisen auf meinem Teller dem Muster der Inneneinrichtung ähneln.
Der Zauber einer Sommernacht: Nach dem Essen zieht uns der Miroir d´eau magisch an. Wir hatten ihn schon bei Tageslicht gesehen, aber jetzt, in der Dunkelheit, entfaltet er seine ganze Magie, mit Nebel, Licht und Spiegeleffekten. Der Wasserspiegel ist ein Werk von Jean-Max Llorca – 3.450 Quadratmeter groß und mit einem Unterwasserreservoir von 800 Kubikmetern.
Ein Spaziergang durch Bordeaux
Am nächsten Morgen machen wir uns auf zu einer Entdeckungstour durch Bordeaux – Hauptstadt des Weins und der Region Nouvelle-Aquitaine. Nur wenige Schritte vom Hotel entfernt, befindet sich der malerische kleine Platz Place Jean Moulin mit dem Résistance-Museum. Wir lernen, dass Bordeaux für die Nazis eine große Bedeutung hatte – wegen des Handels und des Hafens. Heute findet hier im Schatten der Bäume ein wunderbarer kleiner Flohmarkt statt.
Uns zieht es weiter zum Dom mit seinem gotischen Portal. Unweit von diesem mächtigen Bauwerk weist und eine Statue des langjährigen Bürgermeisters Delmas den Weg zum Rathaus. Die bedeutenden Bauten der Stadtgeschichte liegen alle nur wenige Gehminuten voneinander entfernt. Wir laufen vom Gericht mit seiner modernen, an Weinfässer erinnernden Architektur in unmittelbarer Nachbarschaft eines mittelalterlichen Turms zum Musée d´Aquitaine. Man sieht sofort: Bordeaux hat grünen Bürgermeister – es wird viel für Radfahrer getan und der Autoverkehr hat keineswegs den Vorrang.
Der Cours Victor Hugo war einst ein Befestigungsgraben. Die Rue Sainte Cathérine ist heute Fußgängerzone, die Achse stammt allerdings aus der Römerzeit. Und schon stehen wir vor dem Altes Rathaus mit seinem Turm. Ferdinand ist der Name der Glocke.
Wir bestaunen die Architektur des 15. + 16. Jahrhunderts mit ihren großen Torbögen und nähern und dem Viertel Quinconce, direkt hinter dem wuchtigen Monument aux Girondins. Dies ist das Viertel der Weinhändler und damit der Einwanderer aus dem nördlichen Europa, die Bordeaux einst zu Reichtum verhalfen. Prachtvolle Architektur des 16. und 17. Jahrhunderts lässt uns staunen. Es ist ein ruhiges und elegantes Stadtviertel mit schattigen Allen, im dem viele Notare und Konsulate beheimatet sind.
Bordeaux quicklebendig: Quartier St. Michel
Aber Bordeaux kann auch ganz anders: wir wollen zum Markt im Stadtviertel St. Michel. Unser Ziel ist nicht zu übersehen, denn die Tour St. Michel ist komplett eingerüstet. Der Untergrund ist instabil und das Kirchenbauwerk muss abgestützt werden. Uns lockt jedoch weniger die Baustelle als vielmehr der Flohmarkt – eine unheimlich lebendige Szenerie, mit viel Gewusel und schönsten Trödlerwaren, die hier den Besitzer wechseln. Die Cafés rund um den Platz sind gut besucht und viele von ihnen tragen den Namen von Städten des Maghrebs – Nador und Mogador.
Die Markthallen selbst sind eine absolute Pracht, an Farben wie am Angebot. Unter den Besuchern sind Touristen, aber auch viele Einheimische, die ihren Wocheneinkauf erledigen. Schade, dass ich hier nicht groß einkaufen kann, aber unsere Reise geht ja noch weiter.
In der Welthauptstadt des Weins: Cité du vin
Die Architektur kommt so leicht daher wie ein Schluck Wein, der im Glas geschwenkt wird. Aufsehenerregende Architektur können sie wirklich gut, die Franzosen! Die Cité du Vin ist mehr als ein Museum, es ist eine Reise zur Entdeckung der Kultur des Weins und durchaus nicht auf Frankreich beschränkt. Man kann mit der Tram bis vor die Eingangstür fahren, aber ich empfehle den Weg über die Kais – die langsame Annäherung an die Architektur, denn nur so kann man die Dimensionen des Bauwerks auf sich wirken lassen.
Die Cité du Vin verfügt über 13.500 Quadratmeter Fläche, verteilt auf acht Stockwerke. Bringt unbedingt viel Zeit mit, denn es gibt enorm viel zu entdecken. Die Dauerausstellung lässt sich multimedial entdecken, aber auch die Sinne sind gefragt.
Was mir gut gefällt: die Cité bietet auch eine Vielzahl von Workshops rund um das Thema Wein an. Ferner gibt es eine Bibliothek und einen extrem fotogenen Weinkeller.
Im 8. Stock, im Belvedere angekommen, wird es dann ernst: man kann seinen persönlichen Lieblingswein aussuchen und verkosten und dabei eine grandiose Aussicht über die Garonne genießen.
Neue Gastroszene: Casa Gaia
Es tut sich einiges in der Gastroszene, auch in Bordeaux. Im Casa Gaia merkt man sofort, dass hier ein frischer Wind weht. Die Einrichtung verspricht ein unkompliziertes Wohlfühlambiente und die Karte macht deutlich, dass hier nicht nur gesund und saisonal gekocht wird – die Produzenten und ihr Know-How bekommen einen Ehrenplatz zugewiesen.
Bordeaux alternativ: Darwin
Am rechten Ufer der Garonne, im Stadtviertel Bastide, bildete sich in den letzten Jahren ein ganz besonderes Ökosystem heraus: das Ecosystème Darwin. Wir setzen mit dem Boot über und laufen zunächst ein ganzes Stück, vorbei an neu entstehenden Wohnvierteln, bevor wir das Gelände der früheren Kaserne Niel erreichen. Seit 1875 waren verschiedene Regimenter in der Kaserne stationiert, die den Namen des Kriegsministers unter Napoleon III trägt. Der Abzug des Militärs hinterließ 20.000 Quadratmeter Brachland. Was tun? Die Nutzung des Geländes war zunächst unklar, aber es zeichnete sich der Wunsch der Anwohner ab, die alten Bauten zu erhalten. Unter dem damaligen Bürgermeister Alain Juppé entstand das Konzept zu Darwin. Heute findet sich hier ein innovatives Stadtviertel – ein Laboration, in dem neue Formen des Miteinander, des Arbeitens und Wirtschaftens ausprobiert werden.
Wenn man das Gelände betritt, dann öffnet sich eine Art zentraler Straße. Auf der einen Seite finden sich verschieden Geschäfte, die nachhaltige Produkte wie vegane Lederkleidung verkaufen, auch eine Buchhandlung und eine verführerisch duftende Kaffeerösterei.
Man sieht auf dem gesamten Gelände viel Streetart. Aus einer Skaterhalle schallt mächtiges Getöse. Auch einen Gemüse- und Permakulturgarten gibt es, nicht weit von einer Flüchtlingsunterkunft entfernt. Ein schöner Gedanke, dass das frühere Brachland so eine neue Nutzung bekommt.
Was man als Besucher nicht unbedingt sieht: in Darwin haben sich zahlreiche Startup-Unternehmen angesiedelt und in Coworking Spaces arbeiten kreative Menschen. Daneben ist viel Raum für gemeinsames Erleben – für Konzerte und Kino. Das Magasin Général versteht sich als Europas größtes Bio-Bistro-Refektorium. Zéro Waste ist das Ziel und Abfälle werden natürlich getrennt. Die vielen Müllstationen sind extrem auffällig.
Wir geben uns der Hitze geschlagen und suchen uns, mit einem belebenden Kaltgetränk in der Hand, einen Platz auf einem der vielen Sofas. Wir sind angekommen auf dem anderen Dorfplatz der Stadt Bordeaux.
Bordeaux by night
Ein ereignis- und entdeckungsreicher Tag geht langsam zu Ende. Wir schlendern durch das mittelalterliche Stadtviertel St. Pierre und genießen die unbeschwerte Sommeratmosphäre in dieser alten Stadt.
Wo übernachten?
Wir haben während unseres Aufenthalts in Bordeaux in zwei verschiedenen Unterkünften gewohnt.
Meine Zuflucht: Mama Shelter
Zunächst im Mama Shelter, das mit einer absolut perfekten Lage im Zentrum von Bordeaux glänzen kann. Die Kathedrale Saint-André und das Rathaus sind in nur wenigen Schritten zu erreichen, ebenso die Tramhaltestelle.
Zu finden ist das Mama Shelter in einem unscheinbaren Gebäude aus den 1960er Jahren, das einst einen Stromversorger beherbergte. Die Gruppe der Mama Shelter-Hotels ist ein Werk der Trigano-Familie, auf die auch das Konzept des Club Med zurückgeht. Serge Trigano schuf mit seinen Söhnen ein Hotel, das sich als ´urbane Zuflucht´ versteht – ein Heim im Dschungel der aufregenden Großstadt. Ok, man könnte sich natürlich fragen, warum ausgerechnet die Mutter Zuflucht gewährt und wo eigentlich der Vater abgeblieben ist… Auch, wie es tiefenpsychologisch zu deuten ist, dass Männer sich ein Konzept ausdenken, bei dem die Mutter im Zentrum steht. Aber das würde zu weit führen. 2008 öffnete jedenfalls das erste Haus der Gruppe in Paris; das Mama Shelter in Bordeaux ist das fünfte Haus der Gruppe. Die Atmosphäre ist jedenfalls besonders. Die Zimmer sind minimalistisch gehalten, mit viel Rosa, das sich auch im Treppenhaus wiederfindet, und die Einrichtung ist nicht unbedingt praktisch für Menschen, die arbeiten oder verschiedene Elektrogeräte aufladen möchten. Man muss dann nämlich erst Kleinmöbel rücken, um mit den verschiedenen Kabeln keine Stolperfallen zu schaffen. Dusche und WC finden sich in einem Raum, während sich im Bad auch die Minibar und eine Mikrowelle befinden. Diese Besonderheit drückt die Steuerlast der Trigano-Familie. Aber in den Betten schläft es sich sehr gut, und das ist ja das Entscheidende.
Eindeutig wichtiger als die Zimmer sind die Gemeinschaftsräume, und gleich im Erdgeschoss hat Designer Philippe Starck es richtig bunt werden lassen. Blickfang über der Bar sind unzählige bunte Badereifen und ein stolzes Huhn überblickt die Szenerie. Da fällt es kaum auf, dass die Tische beim Frühstück nicht vollständig eingedeckt sind…
Eine Rooftopterrasse bietet an sonnigen Tagen einen schönen Ausblick über die Stadt und ist zugleich Treffpunkt der meist jungen Reisenden. Es sind wohl einige Instagramfotos entstanden, während wir schlicht unser Abendessen genossen.
Urbaner Hotspot: Jost Hotel
Falls man morgens früh einen Zug nehmen muss, dann bietet sich ein Aufenthalt im brandneuen Jost Hotel an. ´Joy of Speaking together´, und das nur wenige Gehminuten vom Bahnhof St. Jean entfernt. Hier kann man das Bordeaux von morgen erahnen, denn das ganze Viertel wird gerade auf links gedreht und umgestaltet – eine spannende Mischung aus einigen alten Bauten und sehr viel neuen Konstruktionen, mächtigen Gleissträngen und neuen Brücken.
In meinem Zimmer habe ich mich gleich wie zu Hause gefühlt, und das nicht nur wegen der vielen Bücher an den Wänden. Die Fensterfront bietet eine tolle Aussicht und lässt sich auch beim Zähneputzen genießen – das Waschbecken steht mitten im Zimmer.
Im stylish eingerichteten Restaurant erkennt man, dass die Küche und das Servicepersonal ihren gemeinsamen Rhythmus noch nicht ganz gefunden haben. Aber das Potential ist da, und auch der Sundowner auf der obersten Etage, direkt neben dem Pool, lässt keine Wünsche offen. Ebenso wenig das Frühstück am nächsten Morgen. Ich bin sehr gespannt, wie sich das Stadtviertel rund um den Bahnhof entwickeln wird!
Bordeaux mit nach Hause nehmen
Manchmal lässt mich der Zufall großartige Entdeckungen machen. In Bordeaux suchte ich Schutz vor einem heftigen Regenschauer, und fand mich im Echoppe de la Lune wieder. Ok, eine Schiefertafel vor dem Laden machte mich neugierig auf eine épicerie historique et gourmande. Ich mag ja schön eingerichtete Geschäfte sehr, aber hier fand ich tatsächlich Ali Babas Höhle für Produkte aus Bordeaux und dem Umland.
Die Runde durch das Geschäft ist zugleich eine Reise durch die Jahrhunderte. Hinter jedem Produkt steckt eine Geschichte und ich kann euch versichern: das Verkaufspersonal kennt sie alle. Wusstet ihr zum Beispiel, dass Besquis doppelt gebackene Kekse sind, die so haltbar gemacht wurden für lange Seefahrten? Ich kann mich kaum sattsehen an all den wunderbaren Produkten kleiner und traditionell arbeitender Hersteller, und es versteht sich von selbst, dass ich das Geschäft nicht mit leeren Händen verlasse.
Neugierig geworden?
Seid ihr neugierig geworden auf Bordeaux? Dann schaut doch einmal auf der- auch in Deutsch verfügbaren Website von Bordeaux Tourismus um. Auch die Website des Départements Gironde und der Region Nouvelle-Aquitaine hat einige Informationen zur Region und zur Stadt zu bieten.
Offenlegung
Ich hatte das große Glück, für meinen Arbeitgeber Atout France eine Pressereise begleiten zu dürfen, zu der eine kleine Gruppe von Journalisten und Bloggern anlässlich des ersten Direktzuges von Frankfurt nach Bordeaux in die Region Nouvelle-Aquitaine eingeladen wurde. Die beschriebenen Eindrücke sind meine eigenen.
Beim nächsten Besuch sind Sie auch herzlich willkommen im Goethe-Institut! Wir zeigen Ihnen gern unsere Ausstellungen (bis 17. Sept. Michael Wesely : „Anthologies visuelles“ sowie „Schönste deutsche Bücher“ der Stiftung Buchkunst, ab 30. Sept. : Anne Schönharting „Habitat. Berlin Charlottenburg“) sowie unsere Design-Bibliothek (Kooperation mit Axel Kufus, Bernhard Dessecker & Nils Holger Moormann)!
Bienvenue !
Liebe Monika, das ist ein schöner, anschaulicher und inspirierender Bericht. Leider habe ich es bislang nicht geschafft, die Frankfurt-Bordeaux- Strecke zu testen. Ich hoffe in Zukunft wird sie wieder aufgenommen. Doch so oder so, Mitte Dezember werde ich deinen Spuren in Bordeaux folgen. herzliche Grüße, Kiki