Frankfurter Stadtgeschichte: die Villa 102

Die Villa 102 in FrankfurtDie Villa 102 in Frankfurt

Die KfW-Bank kannte ich bisher nur dem Namen nach, vor allem aber hatte ich die modernen Bürogebäude an der Ecke Zeppelinallee und Bockenheimer Landstraße vor Augen – nur wenige Schritte von der Bockenheimer Warte entfernt, wenn man in Richtung Alte Oper läuft. Was mir vollkommen neu war: die KfW hat auch ein Stück Frankfurter Stadtgeschichte in mühsamer Kleinarbeit restauriert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht: die Villa 102, benannt nach ihrer Adresse an der Bockenheimer Landstraße 102 im Frankfurter Westend.

 

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau wurde 1948 gegründet und hatte die Aufgabe, die Gelder des Marshallplans zu verteilen. Heute ist sie ihrer Bilanzsumme nach die drittgrößte deutsche Bank, eine Förderbank, deren günstige Kredite über die Hausbanken abgerufen werden können. Daneben ist sie im Bereich der Entwicklungsarbeit engagiert. 6.400 Mitarbeiter sind an drei Standorten in Frankfurt, Bonn und Berlin sowie in den Auslandsbüros tätig. Aber warum eigentlich sollte eine Bankengruppe sich für den Erhalt alter Stadtvillen einsetzen?

Mosaik - Villa 102

Mosaik – Villa 102

Ein Haus mit Geschichte

Ist das nicht ein ganz wunderbares Mosaik? Die fast orientalisch anmutende Pracht befindet sich in einem kleinen Erker direkt hinter der Eingangstür der Villa 102. Die Villa war ursprünglich nur eins von einer ganzen Reihe prächtiger Wohnhäuser an der Bockenheimer Landstraße.

In Auftrag gegeben wurde die Villa vom Ehepaar Hoffmann – er ein ostpreussischer Korvettenkapitän, sie Tochter eines reichen Amerikaners. Zunächst ließ das Ehepaar das um 1850 entstandene Vorgängergebäude abreißen; der Neubeu entstand dann 1912 und war 1913 bezugsfertig. Doch das Glück währte nicht lange: der Erste Weltkrieg begann, Anton Hoffmann wurde eingezogen und die Ehe zerbrach. Ines Hoffmann, aus deren Vermögen die Mittel für die Errichtung des Baus stammten, verkaufte die Villa 1918 an den jüdischen Industriellen Albert Sondheimer.

Die Empfangshalle

Die Empfangshalle

Das repräsentative Erdgeschoss

Das Erdgeschoss war der repräsentative Bereich des Hauses. Hier wurden Besucher empfangen, auf die die üppige Ausstattung die beabsichtigte Wirkung wahrscheinlich nicht verfehlte. Feinste Holzarbeiten wurden hier wiederhergestellt – Holz, von dem man im Rahmen der Restaurierungsarbeiten mehrere Farbschichten vorsichtig abtragen musste. Die historischen Tapeten ließen sich nicht restaurieren, aber die heute Farbe der Wände orientiert sich an den gefundenen Resten.

 

Ein prächtiger Kamin aus Carrara-Marmor schmückt die Eingangshalle. Man kann sich genau vorstellen, dass hier früher die Familie zum Lesen und Vorlesen zusammenkam, oder?

 

Von der repräsentativen Eingangshalle der Villa 102 aus gelangt man in den sog. Herrensalon. Hier war die Bibliothek von Albert Sondheimer, der als großer Freund und Förderer der Literatur galt, untergebracht. Hier gab er sich der Lektüre hin, ein Glas Rotwein in der Hand. Bildung wurde im Haus des jüdischen Industriellen groß geschrieben. Man durfte zum Beispiel auch nur dann vom Tisch aufstehen, wenn man etwas im Lexikon nachschlagen wollte.

 

Der Rundgang durch das Erdgeschoss führt weiter in das Empfangszimmers der Damen, das aus der Zeit der Villa Hoffmann, von den ersten Besitzern der Villa 102, stammt. Mit diesem Griff kann man auch heute noch die 16 Quadratmeter große Glastür des Wintergartens zur Seite schieben.

 

Plastikmüll und verschmutzte Meere sind eines der drängendsten Probleme unserer Zeit. Die KfW fördert Projekte der Clean Oceans Initiative und sorgt u.a. in Albanien für Abfalldeponien und Beratungsmaßnahmen zur Müllvermeidung. Sie beauftragte Fotografen, die im Winter 2018 die Situation in drei Ländern dokumentierten. Die entstandenen Werke waren dann Ende 2019 im Rahmen einer Ausstellung in Frankfurt zu sehen. Das Foto im Empfangszimmers der Damen zeigt einen Müllsammler in Albanien. Der Verdienst von drei Euro pro Tag muss manchmal eine ganze Familie ernähren. Fotograf Michał Siarek erfasst große Szenerien und erlaubt dennoch eine individuelle Annäherung.

 

Zum Abschluss des Rundgangs durch das Erdgeschoss kann man gelangt man in den Wintergarten. Ein phantastisches Mosaik, dessen Farbkomposition mir ausgesprochen gut gefällt, lenkt hier den Blick.Gemütliche Sessel laden zum Verweilen und Kaffeetrinken ein, und eigentlich fehlen hier nur einige Pflanzen. Zeitweise war hier das Café des Literaturhauses untergebracht. Kaum vorstellbar, dass dieser Raum auch einmal eine Kantine war – mit gekachelten Wänden…

Das private Obergeschoss

Das Mädchenzimmer Ost – das Reich von Eva Sondheimer, einer der vier Töchter des Industriellen Albert Sondheimer. Eva erkannte ihr Zimmer bei einem Besuch in Frankfurt – lange nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – wieder. Die Tafeln, die im Hintergrund des Spiegelbildes zu sehen sind, erzählen die Geschichte des Hauses und seiner Bewohner.

 

Die Familie war 1932 wegen der zunehmend judenfeindlichen Stimmung zunächst nach Den Haag emigriert und hatte sich später in den USA niedergelassen. Die deutsche Staatsbürgerschaft wurde ihnen entzogen und sie waren gezwungen, die Villa im Zuge der ‚Arisierung‘ 1937 an die Stadt Frankfurt zu verkaufen. Ein düsteres Kapitel in der Stadtgeschichte, denn die jüdische Bevölkerung wurde systematisch ausgeplündert und enteignet. Die Villa 102 wurde Sitz des Reichsarboretum; Forschungen zur Gehölzkunde sollten zu einem Nationalpark im Frankfurter Umland führen.

 

Im Jahre 1944 wurde die Villa schwer beschädigt, als eine Bombe im Garten einschlug. 1945 beschlagnahmten US-Truppen das Haus, um hier ein Lazarett einzurichten; später wurde es dann zur Kantinenverwaltung der britischen Besatzungsmacht. Wiederum fünf Jahre später sollte es an die Sondheimer-Töchter restituiert werden, die jedoch nie wieder nach Deutschland zurückkehren wollten und die Villa verkauften. Es folgten Jahrzehnte als Bürogebäude, bevor dann 1990 das Literaturhaus einzog und 15 Jahre blieb.

Wer mehr über die bewegte Geschichte der Villa 102 erfahren will, dem sei diese Lektüre ans Herz gelegt. Und natürlich die Website der Villa 102, auf der auch über aktuelle Veranstaltungen informiert wird: Villa 102. Eine Plattform für Kultur und Dialog – das ist die alte und neue Bestimmung der Villa 102.

Lesetipp!

Lesetipp!

 

Offenlegung

Ich durfte die Villa 102 im Rahmen eines Social Media-Walks kennenlernen, der gemeinsam von der KfW und dem Social Media Club Frankfurt angeboten wurde. Der Hashtag des Walks lautete #kfw_smcffm.

Was macht eigentlich einen guten Social Media-Walk aus? Neben den richtigen Motiven und genügend Zeit vor allem die umfassende Information zum Gesehenen und auch die Persönlichkeit des Guides, seine Begeisterung für das Thema. In dieser Hinsicht gehörte der Walk, den die KfW durch die Villa 102 angeboten hatte, zu den Besten, die ich bisher erlebt habe. Unbedingt nachahmenswert!

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1 Kommentare

  1. Schubert, Elke

    Ich fand den Kurzbericht sehr aufschlussreich.
    Er hat mich sehr interessiert, weil meine Oma lange Jahre für eine Familie Sondheimer gearbeitet hat (als Hauswirtschafterin).
    Es würde mich sehr interessieren, ob es diese Sondheimers waren. Meine Oma hat immer nur Gutes über sie berichtet, z. B. dass sie sehr hilfsbereit waren.

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