Beim Nachhaltigkeits-Camp Bonn #ncbn23

Gleich geht´s los: Nachhaltigkeits-Camp BonnGleich geht´s los: Nachhaltigkeits-Camp Bonn

Ich muss total bekloppt sein. Da arbeite ich mich seit Jahren an der europaweiten Kampagne zum nachhaltigen Tourismus ab, organisiere wie ein Weltmeister Pressereisen mit dem Zug nach Frankreich und tingele mit nachhaltigen Events durch Deutschland. Ich mache mir Gedanken, wie die französischen Überseegebiete, die man ja doch wesentlich einfacher mit dem Flugzeug erreicht als mit dem Segelboot, in diese Strategie einbezogen werden können. Sogar DIY-Workshops könnte ich auf der Arbeit machen und mir mein eigenes Waschpulver zusammenmixen. Wenn ich denn Zeit dafür hätte… Und dann fahre ich an einem Samstag im Oktober – in meiner Freizeit und als Abschluss einer Urlaubwoche – nach Bonn, um dort am Nachhaltigkeitscamp teilzunehmen. Was soll ich euch sagen? Es war eine überaus spannende Veranstaltung, und ich der einzige Touristiker. Ein ganz neuer Blickwinkel war also garantiert.

Das BaseCamp - ein skurriler Indoor-Campingplatz

Das BaseCamp – ein skurriler Indoor-Campingplatz

Die Location: Das BaseCamp Bonn

Bonn ist für mich immer eine Reise wert – wegen der wundervollen Museen und spannenden Ausstellungen, aber auch wegen der äußerst lebendigen Digitalszene. Und das BaseCamp Bonn liebe ich heiß und innig, seit ich dort meine erste Vollversammlung der VDRJ, der Vereinigung deutscher Reisejournalisten, erlebt habe.

Originelle Übernachtungsmöglichkeit

Originelle Übernachtungsmöglichkeit

Nachhaltig ist das BaseCamp auch, denn hier steht schließlich eine Sammlung alter Campingwagen herum. Eine Übernachtungsmöglichkeit der anderen Art, und ein Wagen ist schöner, kitschiger und extravaganter dekoriert als der andere. Hier sind Charles und Diana noch in trauter Zweisamkeit vereint, der Hirsch röhrt an der Wand und Flower Power treibt wilde Blüten. Alte Eisenbahnwagen stehen auch in der Halle, eine alte Straßenbahn vor der Halle.

Die Organisatoren

Habt ihr schon einmal etwas von Engagement Global gehört? Ich nicht, bevor ich zum Barcamp nach Bonn kam. Es geht um Service für Entwicklungsinitiativen. Es handelt sich um eine gemeinnützige GmbH, die als zentrale Anlaufstelle das entwicklungspolitische Engagement von Einzelpersonen, Gruppen und politischen Gemeinden  unterstützt. Im Auftrag der Bundesregierung werden zahlreiche vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanzierte Einrichtungen und Programme gebündelt, Engagement gefördert und Bildungsarbeit geleistet.

Engagement Global

Engagement Global

Und das Nachhaltigkeits-Camp 2023 ist immerhin schon das Achte, dass Engagement Global auf die Beine stellt. Schön war der Versuch, die Nachhaltigkeit auch im Kleinen zu leben. Koffein ist ja der Schmierstoff für jedes Barcamp, und hier werden die Kaffeetassen mit Klebestreifen versehen, auf denen man vorher seinen Namen notiert. Die Tasse kann so während der Sessions geparkt, aber vor allem den ganzen Tag benutzt werden.  Eine weitere Idee: die Namensschilder sind kleiner ausgefallen als in den Vorjahren – das spart Papier.

Kein Barcamp ohne Barcamp-Regeln

Kein Barcamp ohne Barcamp-Regeln

Zumindest ein Teil des Sessionplans

Zumindest ein Teil des Sessionplans

Erste Session: Sharing-Kultur und Konzepte

Gleich in der ersten Session lerne ich eine Bonner Besonderheit kennen, denn Sophies Thema ist die Idee der Sharing-Kultur. Da gibt es kommerzielle Konzepte wie Carsharing und Airbnb, die wir alle kennen, und eben auch nicht-kommerzielle Ansätze. Sophie erzählt von der Idee der sogenannten Freebox, für die sie sich engagiert – ein öffentlicher Geben-und-Nehmen-Schrank. So wie gerade zu Beginn der Corona-Zeit etliche Keller aufgeräumt wurden und alles, was man nicht mehr brauchte, in einem Karton auf die Straße gestellt wurde, so kann bei der Freebox jeder das, was er nicht mehr braucht, in den Schrank legen. Das erste Modell war vor Jahren noch ein begehbarer Holzschrank, der jedoch irgendwann abbrannte. Mittlerweile sind die Schränke wetterfest und brandsicher. Sie werden bei Selbstwerk in Bonn gebaut und kosten stolze 11.000 €. Was nicht in den Schrank darf, das sind Lebensmittel und Bücher – für beides gibt es andere, gut funktionierende Möglichkeiten. Aber Werkzeug, Kleidung, Geschirr – das meiste, was in der Freebox deponiert wird, findet innerhalb von wenigen Tagen einen neuen Nutzer.

Sophie stellt die Freebox Bonn vor

Sophie stellt die Freebox Bonn vor

Wie startet man solch ein Projekt? Es braucht eine Initiative, die die grundlegende Entscheidung, eine Freebox haben zu wollen, trifft. Dann kann eine Crowdfunding-Kampagne organisiert und ein Antrag auf Förderung gestellt werden. Und dann braucht es ein Helferteam, das regelmäßig aufräumt, den Schrank pflegt und vor Vermüllung schützt. Essenziell wichtig für Sophie ist auch der soziale Aspekt. Man kommt mit der Nachbarschaft vielleicht wieder einmal ins Gespräch, wenn man sich am Schrank trifft.

Es gibt noch andere Konzepte, um Dinge zu teilen. Die Leihbar, für Werkzeuge, die man alle Jubeljahre mal braucht – Wasserwaagen etwa. Repaircafés, wo das Wissen um Reparaturen geteilt wird. Oder das Haus der Materialisation in Berlin, wo neben Fahrradwerkstätten auch Materialmärkte stattfinden.

Wer mehr über das Konzept wissen möchte, kann auf der Website der Initiative nachschauen. Die Presse und das Fernsehen waren auch schon da und natürlich werden die sozialen Netzwerke zur Kommunikation genutzt.

Impuls: Nachhaltiger Konsum – solidarische Landwirtschaft

Nach einem leckeren veganen Mittagsbuffet, eröffnet Joe Hill das Nachmittagsprogramm mit einem Impulsvortrag über nachhaltigen Konsum. Er stellt das Beispiel der solidarischen Landwirtschaft vor, für die er sich engagiert. Community Supported Agriculture heißt das Zauberwort, eine Bottom-Up-Initiative. Worum geht es? Jedes Vereinsmitglied erhält zwischen Mai und Dezember jede Woche, in der restlichen Zeit des Jahres alle zwei Wochen eine Gemüsekiste.

Solidarische Landwirtschaft

Solidarische Landwirtschaft

Die Landwirtschaft wird schonend betrieben, Biodiversität großgeschrieben. Mit Mischanbau versucht man, die Bodenqualität zu verbessern. Der Boden wird nur minimal bearbeitet und auch den Wasserverbrauch versucht man zu reduzieren. Und jeden Donnerstagnachmittag wird dann das Gemüse an acht Depots im Großraum Bonn ausgeliefert. Organisiert ist die Solidarische Landwirtschaft als Kollektiv ohne Manager. Die Aufgaben werden an alle Teammitglieder verteilt, auch Verwaltung, Finanzen und Personal.

Zweite Session: Nachhaltige Personalführung und -entwicklung

Die zweite Session wird von Thorsten angeboten, der als Coach und Mentor Transformationsprozesse begleitet. Sein Thema sind nachhaltige Personalführung und Personalentwicklung. Ein weites Feld. Die These: es zählen nur Zahlen. Die Befähigung des Mitarbeitenden zur persönlichen Entwicklung wird vernachlässigt. Leider die traurige Wahrheit in allzu vielen Unternehmen.

Welche Erwartungen haben Mitarbeitende an eine Führungskraft? In der heutigen Arbeitswelt sind Soft Skills gefragt. Die Mitarbeiter möchten als Menschen wahrgenommen werden, Bedürfnisse und Gefühle zugelassen werden. Dazu natürlich Kommunikation auf Augenhöhe.

Viele Unternehmen haben Covid nicht überlebt, und auf jeden Fall ist die Arbeitswelt nicht mehr die gleiche wir vorher. Purpose ist das Buzzword – Sinnhaftigkeit. Regelmäßiges Feedback ist ungemein wichtig – etwa in Jahresgesprächen oder auch in Feedbackgesprächen alle drei Monate. Das Problem: oftmals hat der Austausch zwischen Angestellter und Führungskraft keinerlei Konsequenzen und es folgt kein Handeln. Mit gravierenden Folgen: wenn Leute irgendwann gehen, weil sie enttäuscht oder frustriert sind, dann fließt Wissen ab. Viele Unternehmen verspielen durch Ihre Ignoranz gerade ihre Zukunft.

Arbeitgeber beklagen ihrerseits die mangende Verbindlichkeit der Angestellten. Überspitzt formuliert: Junge Leute haben enorme Erwartungen an den Arbeitgeber, und wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten erfüllt sind, dann sind sie weg. Das Fairplay bleibt auf der Strecke.

Es könnte so einfach sein: Vertrauen. Leading by example. Wertschätzung. Ein Lob vor versammelter Mannschaft. Das gute Gefühl, wenn gute Arbeit auch wahrgenommen wird.

Coffee!

Coffee!

Ach ja, und dann das Thema der älteren Mitarbeiter – in der Session salopp formuliert: alle über 50. Sie werden bei Bewerbungen diskriminiert und haben oftmals gar keine Chance, ins Auswahlverfahren zu kommen. Und das in Zeiten des angeblichen Fachkräftemangels, über den alle so gerne klagen. Dabei sind die Kompetenzen erfahrener Mitarbeiter wichtig, um jüngere Mitarbeiter mitzunehmen.

Dritte Session: Ökozidgesetz – stopEcocide.de

In die dritte Session lockt mich das Stichwort Ökozidgesetz – das hatte ich noch nie vorher gehört und entsprechend groß ist meine Neugierde. Was ist mit Ökozid gemeint? „Okozid bedeutet rechtswidrige oder willkürliche Handlungen, mit dem Wissen gegangen, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit schwerer und entweder weitreichender oder langfristiger Schäden für die Umwelt besteht, die durch diese Handlungen verursacht werden.“

Bei Stop Ecocide handelt sich um ein Netzwerk aus Wissenschaftlern, Diplomaten und Teilen der Zivilgesellschaft, das von der bereits verstorbenen schottischen Anwältin Polly Higgins initiiert wurde. Ziel ist es, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, damit schwerwiegende Vernichtung von Natur geahndet werden kann und die Natur wirksam zu schützen. Eine Änderung des Römischen Rechts würde ermöglichen, dass die Vernichtung von Natur genau wie Völkermord oder Kriegsverbrechen vor den Internationalen Gerichtshof gebracht werden kann. Eine verführerische Perspektive, ein wirksames Mittel zum Schutz der Erde zu haben und vor allem die Verantwortlichen für Zerstörung zur Rechenschaft zu ziehen. Mehr Informationen gibt es auf der Website von Stop Ecocide Deutschland – dort erfährt man, wie man die Initiative unterstützen kann und hat die Möglichkeit, eine Petition zu unterzeichnen. 19 Staaten unterstützen die Initiative und Deutschland ist erschreckenderweise nicht dabei. Man fragt sich schon, was unsere Politiker eigentlich so den ganzen Tag lang treiben… Ok, sie kriminalisieren Fridays for Future und die Letzte Generation. Das scheint das letzte Mittel zu sein, weil man nicht weiß, wie es weitergehen soll. Traurig.

Köstlicher Apfelkuchen!

Köstlicher Apfelkuchen!

Vierte Session: Strategie und Narrative

Die Stichworte Strategie und Narrative locken mich in die vierte und letzte Session des Tages. Eine konstruktive und positive Kommunikation zum Thema Nachhaltigkeit – das liegt den beiden Sessiongebern Alexander und Karl am Herzen. Es ist so furchtbar banal, aber wenn ich das Gefühl haben, man will mir etwas wegnehmen – das Auto, Fleisch, Avocados – dann führt das nur dazu, dass Handlungen verschleppt werden, um den Status Quo zu bewahren. Entscheidungen werden nicht mehr auf der Grundlage von Fakten getroffen. Es fehlen die Best Practice-Beispiele, die zeigen, dass durch Veränderung durchaus auch die Umsätze der Geschäfte oder auch die Lebensqualität der Anwohner steigen können. Als Beispiel wird unter anderem Paris genannt, wo die rührige Bürgermeisterin Anne Hidalgo den Auto Raum wegnimmt, um ihn Fußgängern und Radlern zu öffnen.

Jetzt ein Apfel?

Jetzt ein Apfel?

Was mir gar nicht gefiel

Das Barcamp war gut besucht und viele Menschen haben den Weg nach Bonn gefunden, um über das Thema der Nachhaltigkeit zu diskutieren. Die Bonner und Rheinländer waren natürlich in der Mehrzahl, aber auch andere deutsche Städte waren gut vertreten – Mainz, Frankfurt und Berlin. Sogar aus Schweden war eine Teilnehmerin angereist. Aber die Zahl der No Shows war in meinen Augen erschreckend hoch. Zwar wurden die Namensschilder irgendwann weggenommen, aber ich schätze, dass rund ein Drittel der Angemeldeten nicht erschienen ist. Vielleicht war die symbolische Teilnahmegebühr von 1 € viel zu niedrig angesetzt. Klar, die Verbindlichkeit nimmt überall ab, aber welche Ignoranz, welche Respektlosigkeit ist das den Organisatoren gegenüber! Es kann immer etwas dazwischenkommen, aber dann sollte es in meinen Augen eine Selbstverständlichkeit sein, seine Teilnahme rechtzeitig abzusagen. Und gerade wenn über Nachhaltigkeit gesprochen wird: jedem sollte klar sein, dass die Organisatoren das Essen für die angemeldete Zahl an Teilnehmenden bestellen. Keiner soll ja hungern, alle zufrieden nach Hause gehen. Und dann müssen Unmengen Essen entsorgt werden, weil die Leute einfach nicht kommen.

Schon 10 Jahre BaseCamp!

Schon 10 Jahre BaseCamp!

Mein Fazit?

Der Besuch in Bonn hat sich gelohnt! Nach einem langen Barcamptag fahre ich voller Inspiration und neuer Ideen, dazu mit einigen neuen Kontakten, wieder nach Hause und lasse das Gehörte in mir nachklingen. Der Tag hat viele spannende Ansätze gezeigt, und ich fand auch extrem erholsam, dass das Barcamp mal gar nichts mit Tourismus zu tun hatte. Ich muss doch gleich mal nachschauen, ob der Termin für 2024 schon feststeht.

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2 Kommentare

  1. Schön geschrieben und sehr interessant Monika.
    Ich zitiere: Nachhaltigigkeit ist ein Handlungsprinzip bei der Nutzung von Ressourcen.
    Unsere Redaktion möchte auf klimaneutrale Mobilität achten, also nicht mit dem Flugzeug oder mit dem Auto auf Dienstreise, sondern mit dem Zug. Ein ICE und ein französischer TGV brachten mich nach Belfort und Besancon. 🙂
    Merci, Monique, es war wunderschön
    Jens

    • Lieber Jens,
      es freut mich, dass es dir gefallen hat! Das Zugreisen ist so angenehm – gar kein Vergleich zum Stress am Flughafen. Vielen Dank auch für deine Artikel!

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