Warum eigentlich ist es am Rhein so schön? Diese Frage ruft bei Kölnerinnen und Kölnern vermutlich nur verständnislose Blicke hervor, denn es ist ganz klar, dass Köln der Mittelpunkt eines ganz speziellen Universums ist – mit dem Dom als Zentrum und Orientierungspunkt. Vater Rhein und Mama Afrika, damit sind viele groß geworden. Was der Kölner jedoch allzu oft nicht wagt, das ist der Blick über die Stadtgrenze hinaus. Ich war nun im Mittelrheintal unterwegs und komplett verzaubert: in einem Tagesausflug kann man hier ein Denkmal der Industriekultur entdecken, sich von farbenprächtigen Schmetterlingen umflattern lassen, schaukelnd über den Rhein blicken oder eine alte Burg als ganz besondere Hochzeitslocation entdecken.
Startpunkt unserer Entdeckungsreise ist Koblenz, gut erreichbar mit der Bahn und günstig noch dazu dank des Deutschlandtickets. Allein die Fahrt durch das Rheintal, von Mainz in Richtung Norden, ist ein Genuss: der mächtige breite Fluss, die kleinen Orte direkt am Ufer und die Burgen und Weinberge in den Höhenlagen. Wie lange ist es her, dass ich zuletzt in Koblenz war? Es muss zur Bundesgartenschau 2011 gewesen sein. Damals haben wir uns neben der allgegenwärtigen Blütenpracht das Deutsche Eck angeschaut, den Zusammenfluss von Rhein und Mosel, und sind mit der Seilbahn hinauf zur Burg Ehrenbreitstein gefahren. Heute lassen wir die Stadt links liegen, denn Koblenz ist heute nur der Startpunkt unserer Entdeckungsreise – wir wollen uns das Untere Mittelrheintal anschauen. Nicht verwirren lassen: das ist der Abschnitt des Rheins, der – wenn man vor einer Landkarte steht – oben liegt und von Koblenz aus bis an die Landesgrenze von Nordrhein-Westfalen heranreicht.
Industriedenkmal Sayner Hütte
Wir machen uns auf den Weg nach Sayn – eine winzig kleine Gemeinde mit nicht einmal 5.000 Einwohnern und heute ein Stadtteil von Bendorf, rund 10 Kilometer nördlich von Koblenz gelegen. In diesem verschlafenen Nest kann man einen Leuchtturm der Industriekultur nicht nur für Rheinland-Pfalz, sondern für ganz Europa besuchen: Die Sayner Hütte.
Kurfürst Clemens Wenzelaus von Sachsen gründet 1769 die Sayner Hütte als Standort der Eisenverarbeitung. Das preußische Königreich übernimmt sie im Jahr 1815 und macht aus ihr einen Musterbetrieb. 1865 kauft dann der Industrielle Alfred Krupp die Hütte; die Unternehmerfamilie betreibt sie bis 1926. Mit der Schließung fällt der Bau an die Gemeinde Sayn und man weiß zunächst nicht so recht, wie man ihn nutzen soll. Die Idee einer kulturellen Nutzung entsteht und heute wird die Hütte als Industriedenkmal betrieben.
Die Gießhalle mit Hochofengebäude von 1830 ist ein Werk des Ingenieurs Karl Ludwig Althans, der hier den ganzen innovativen Geist der Frühindustrialisierung zeigt. Es handelt sich um die allerersten Industriebau mit einer tragenden Gusseisenkonstruktion. Die imposante Architektur der Halle ist funktional und lässt zugleich mit ihrer Dreischiffigkeit an eine Kathedrale denken. Dieser Eindruck wird durch die Westfassade verstärkt, eine unglaublich beeindruckende Glasfassade mit Eisenrippen im Mittelschiff und Spitzbögen in den Seitenschiffen. Es ist unglaublich, welche Wirkung eine solche Architektur auch heute noch ausübt. Kein Vergleich zu den schnell hochgezogenen und funktionalen Bauten der Moderne, die oftmals jede Ästhetik vermissen lassen.
Die Besucher bekommen – multimedial unterstützt – ein Gefühl für die anstrengende und gefährliche Arbeit am Hochofen, denn die Tätigkeiten werden mit allen Sinnen erlebbar gemacht. Ein Licht- und Tonspektakel, das in die Zeit der Frühindustrialisierung führt. Die Maschinen sind ein Teil der Architektur.
Wenn man einige Treppen hinaufsteigt, dann kann man nicht nur den Blick in die Halle von einer erhöhten Position genießen, sondern sieht auch ein Modell der Einrichtungen der Gießhalle. Unglaublich beeindruckend – und vollkommen unerwartet im Rheintal.
Die Krupp´sche Halle
Wenige Schritte von der Gießhalle entfernt, findet sich die ehemalige Maschinenhalle, die 1909 mit viel Backsteincharme erbaut wurde und heute als Besucherzentrum dient. Gleich im Erdgeschoss begrüßt der frühere Hausherr die Besucher, und auf der Empore kann man einen ersten Überblicke über die wechselvolle Geschichte der Sayner Hütte gewinnen.
Stuhl ist nicht gleich Stuhl
Auf einer zweiten Empore finden Wechselausstellungen statt. „Ein Stuhl aus einem Guss“ befasst sich aktuell mit Design im Wandel der Zeit. Sitzmöbel gibt es seit Jahrtausenden und sie wurden aus den unterschiedlichsten Materialien geschaffen, aus Holz, Eisen und in modernen Zeiten auch aus Plastik. Die Schau betreibt Designforschung und zeigt Sitzmöbel, die aus nur einem Material – aus einem Guss – geschaffen wurden.
Ausgangspunkt der Betrachtungen ist der ikonische Eisengussstuhl von Karl Friedrich Schinkel aus dem Jahr 1828, der später das Schaffen von Mies van der Rohe beeinflusst. Vom Designklassiker bis hin zum Massenprodukt Plastikstuhl – was für eine unglaubliche Vielfalt.
Wenn ihr mehr wissen wollt, dann schaut euch doch die Website der Sayner Hütte an und taucht in die Geschichte dieses überaus faszinierenden Geländes ein. Besucher können entweder an einer Führung teilnehmen oder das Gelände mit einem Audioguide erkunden. Vorbildlich: der Audioguide ist in einer Erwachsenen- und einer Kinderversion verfügbar, und darüber hinaus auch in Englisch, Französisch, Niederländisch und in leichter Sprache.
Im Garten der Schmetterlinge
Nur wenige Gehminuten von der Sayner Hütte landen wir in einer komplett anderen Welt. Es wird lecker feucht-warm und ich wähne mich fast schon in der Blütenpracht der Blumeninsel Martinique. Weit gefehlt: der Garten der Schmetterlinge ist eine kleine paradiesische Insel im romantischen Schlosspark von Schloss Sayn. In zwei Glaspavillons ist hier eine tropische Blütenpracht mit wuchernden Bananenstauden, Palmen, Paradiesvogelblumen und Hibiskus inszeniert. Besucher laufen auf schmalen Wegen durch das üppige Grün. Und dann bemerke ich das große Flattern: riesige Schmetterlinge mit bunten Zeichnungen flattern um meinen Kopf. Ein Schmetterling ist schöner als der andere, manche mit braun-orangefarbener Zeichnung, andere strahlend blau. Auf der Jagd nach einem scharfen Foto muss ich darauf achten, nicht auf eine der Schildkröten zu treten, die ruhig ihrer Wege gehen. Auch Zwergwachteln gehören zur tierischen Wohngemeinschaft. Was für ein aus der Zeit gefallener Ort!
Der exotische Schmetterlingsgarten ist das Herzensprojekt von Fürstin Gabriela zu Sayn-Wittgenstein. Das Stammhaus der Fürsten zu Sayn-Wittgenstein-Sayn liegt nur wenige Gehminuten vom Schmetterlingsgarten entfernt. Ich kann nur spekulieren, ob die Fürstin sich und ihrer Familie hier einen Ausgleich zur aufgeregten Welt des Hochadels schaffen wollte. 1987 wurde der Schmetterlingsgarten eröffnet – ein einzigartiges Naturerlebnis, und ein lehrreiches noch dazu.
Fürstin Gabriela hat nicht nur ein Herz für Schmetterlinge, sondern auch ein Herz für Fotografen: Hard Rock Café und Harry´s Bar bieten süße Rastplätze für die Schmetterlinge – und ich kann in Ruhe auf den Auslöser drücken.
Ein Picknick im Park
Wir ziehen weiter in den Park von Schloss Sayn. Fürst Ludwig ließ das Schloss Mitte des 19. Jahrhunderts im neugotischen Stil umbauen, und Gartenarchitekt Heinrich Siesmayer – Schöpfer des Kurparks in Bad Nauheim und des Palmengartens in Frankfurt – gestaltete zeitgleich eine sieben Hektar große Fläche im Stil eines englischen Landschaftsgartens. Ein alter Baumbestand, ein Weiher mit einer Fontäne, sogar eine künstliche Grotte und ein Kreuzgang mit gusseisernen Stationen erfreuen heute noch die Parkbesucher.
Kann es einen schöneren Ort für ein Picknick geben? Wir genießen veganen Kartoffelsalat, kleine Frikadellchen, und Salzkuchen – ein Verwandter des Flammkuchens, mit dem man einst prüfte, ob der Backofen schon heiß ist. Zum Abschluss gibt es Erdbeerkuchen, und noch einen Schnappschuss der Hoheiten, die unseren Instawalk begleiten.
Die Weinbergschaukel über dem Rhein
Unser nächstes Ziel ist Leutesdorf, genauer gesagt: die Weinbergschaukel. Was für eine clevere Idee, um Besucher auf die Schönheit des Ortes aufmerksam zu machen und sie zum Verweilen einzuladen! Hoch über dem Rhein bietet sich hier ein phantastischer Ausblick auf das Rheintal, den Ort Leutesdorf und die unglaublich steilen Weinberge, an denen sich gerade zartes Grün zeigt. Wir sind kaum ein paar Minuten da, als auf der anderen Rheinseite der Geysir von Andernach in die Höhe schießt. Der Vulkanpark lässt grüßen.
Das Deutsche Weininstitut hat gleich neben der Weinbergschaukel eine Stele aufstellen lassen – die schönste Weinsicht Mittelrhein 2020. Insgesamt 39 Stelen gibt es in den 13 deutschen Weinbaugebieten. Für uns geht es nicht nur um die schönste Aussicht – wir dürfen auch verkosten! Wir merken gleich, dass in Leutesdorf Genuss groß geschrieben wird. Stilvolle Gläser, der Wein perfekt gekühlt, dazu etwas Salzgebäck. Der Weingenuss hat Tradition und ich kann mich gar nicht entscheiden, welcher Wein mir am besten schmeckt…
In Leutesdorf wird allerdings nicht nur Wein gemacht und getrunken – der Ort ist auch Treffpunkt mehrerer Wanderwege. Der Rheinsteig zum Beispiel führt von Wiesbaden bis Bonn. Wanderungen auf den Spuren der Römer bietet der Limes-Wanderweg. Der Westerwaldsteig schließlich führt vom benachbarten Bad Hönningen nach Herborn an der Dill. Und in Bad Hönningen findet sich auch unser nächstes Etappenziel.
Schloss Arenfels
Den krönenden Abschluss unseres Tages bildet Schloss Arenfels. Leider hat der Himmel sich etwas zugezogen, aber das tut der guten Laune keinen Abbruch… Der Unterhalt alter Burgen stellt eine enorme Herausforderung dar – das habe ich schon vielfach in Frankreich gesehen, zum Beispiel im Château de Syam im französischen Jura. In Schloss Arenfels hat man eine kreative Lösung gefunden, die perfekt zum romantischen Rhein passt: das Schloss ist als Hochzeitslocation nicht nur bei Einheimischen, sondern auch bei Gästen aus Übersee gefragt. Man kann hier sogar standesamtlich heiraten, entweder in den Räumen des Schlosses oder bei schönem Wetter im Innenhof.
Schloss Arenfels ist das Wahrzeichen von Bad Hönningen. Es überragt die Stadt seit dem 13. Jahrhundert, zunächst als rustikale Wehranlage angelegt. Es gab einen Umbau im Stil der Renaissance und auch eine französische Episode in der Geschichte des Schlosses, denn während des Niederländisch-Französischen Kriegs von 1672 bis 1678 besetzt Marschall Henri de la Tour d´Auvergne das Schloss. Er befehligt die französische Armee am Niederrhein. Sein heutiges Aussehen erhält das Schloss in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Zwirner, der Baumeister des Kölner Doms, ihm einen neugotischen Anstrich verpasst.
Auch das Treppenhaus ist überaus imposant: die gusseiserne Treppe ist ein Werk der Sayner Hütte, die wir uns am Vormittag angesehen haben. Der Kreis schließt sich.
Ich kann mich kaum sattsehen an der Innenausstattung des Schlosses. Sie ist nicht original erhalten, aber man sieht, dass hier mit viel Liebe zum Detail gesammelt wurde.
Vollendet wurde Schloss Arenfels im Jahr 1855, wie der Schlussstein im Rittersaal unschwer erkennen lässt. Baumeister Zwirner war es auch, der den Kölner Dom vollendete.
Das Mittelrheintal genießen
Zum Abschluss unserer Tour landen wir in der Schatzkammer des Schlosses – dem Genusskontor. Hier schlagen die Herzen von Genießern Purzelbäume: Wein und Wild, Essig, Schnäpse und Liköre, dazu Öle und Gewürzmischungen. Hier bleibt kein Wunsch offen. Alles ist wunderbar inszeniert und wartet nur darauf, von den Besuchern mitgenommen zu werden.
Sehr schön: man kann im Kontor einkaufen und es sich dann mit den kulinarischen Köstlichkeiten auf der Terrasse gemütlich machen – mit Blick über das romantische Rheintal. La vie est belle!
Offenlegung
Ich durfte auf Einladung der Romantischer Rhein Tourismus GmbH einen Tag im Unteren Mittelrheintal verbringen, zusammen mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe von Instagramern. Der Romantische Rhein bezeichnet die Regionalagentur für das Mittelrheintal und deckt ein Gebiet von Remagen und Unkel bis Bingen und Rüdesheim ab. Sitz der Agentur ist Koblenz und sie ist Teil des Tourismusnetzwerks Rheinland-Pfalz.
Kevin Kalfels hat gefühlt das halbe Mittelrheintal mobilisiert, um uns die Schönheit seiner Region näher zu bringen: Margret Heinrich von der Stadtverwaltung Bendorf, Nicole Runkel von der Tourist Information Bad Hönningen, Simone Osteroth vom Verkehrsverein Leutesdorf und Benedikt Feltens auf Schloss Arenfels, um nur einige zu nennen. Vielen Dank euch allen für die spannenden Einblicke. Die beschriebenen Eindrücke sind meine eigenen.