Im Maschinenraum der Götter

Ein Blick in den Maschinenraum der Götter - im Liebieghaus in FrankfurtEin Blick in den Maschinenraum der Götter - im Liebieghaus in Frankfurt

Welche Vorstellung macht ihr euch von der Antike? Die Zeit der alten Griechen und Römer liegt sehr weit zurück, und wenn wir heute ein Bild vor Augen haben, dann das von Ruinen und Statuen. Die Architektur der Tempelbauten mit ihrer dorischen, ionischen und korinthischen Säulenordnung,  Peristase und Cella. Kalte, unbewegliche Statuen, die unglaublich weit weg sind von unserer heutigen Lebenswirklichkeit, auch wenn sie wunderschön anzuschauen sind. Das liegt sicherlich auch an der oftmals eher drögen Vermittlung des Lernstoffs in der Schule – viele Jahreszahlen, Gottheiten und Kriegsherren, die den Kopf schwirren lassen. Zum Glück gibt es Asterix, der das alles mit viel Leben füllt.

Was aber, wenn alles ganz anders wäre? Wenn die antiken Gottheiten einem Bill Gates ähnlich, tüftelnd in einer Garage sitzen? Zwischen Fahrrädern und Rasenmähern nach Erklärungen für den Lauf der Sterne suchen. Auf der Werkbank Thermoskannen voller Kaffee, übervolle Aschenbecher und leere Pizzakartons, auch die Bierflaschen vom Vorabend sind noch nicht weggeräumt. Hört ihr das Fluchen, wenn Zeus mit dem Schraubenzieher abrutscht und sich die Hand lädiert?

Im Liebieghaus in Frankfurt ist nun eine Ausstellung zu sehen, die von der jahrtausendealten Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft erzählt – eine rasanter Ritt durch die antiken und arabischen Kulturen bis hin zu Jeff Koons. Was haben High Tech, Roboter, Androiden und Raumschiffe mit der antiken Welt zu tun?

Der Kurator spricht

Professor Dr. Vinzenz Brinkmann ist Leiter der Sammlung Antike am Liebieghaus und forscht seit rund 40 Jahren zur Farbigkeit antiker Skulpturen. Die moderne Ästhetik lässt uns glauben, die Antike sei weiß bzw. farblos, aber das stimmt nicht. Brinkmanns Ausstellung zu den bunten Göttern und zur Farbrekonstruktion von Marmor- und Bronzestatuen der Antike ist ein Dauerbrenner geworden und als Wanderausstellung in der Welt unterwegs. Schon bei dieser Ausstellung spielen naturwissenschaftliche Untersuchungen von Farb- und Bindemitteln eine große Rolle.

Die Antike war bunt!

Die Antike war bunt!

Vinzenz Brinkmann erzählt, dass er sich ursprünglich für ein Studium der Physik eingeschrieben hatte. Erinnerungen am meine eigene Schulzeit werden wach. Wenn es ein Fach gab, mit dem ich mich gequält habe, dann war das Physik, so sehr mein Lehrer sich auch bemühte, mir den Stoff zu vermitteln. Zum Glück blieb Vinzenz Brinkmann nicht bei der Physik, sondern gelangte über die Assyriologie zur klassischen Archäologie. Und er schlägt den Bogen zwischen Wissenschaft und Technik auf der einen sowie Kunst auf der anderen Seite, die sich im griechischen Wort techne verbinden.

Schon der Bau der Pyramiden in Ägypten ist ohne eine präzise Forschung nicht denkbar. Technologie wurde entwickelt, um physikalische Phänomene zu untermauern. Und jede einzelne Hochkultur ist ohne den Bezug zur vorherigen Kultur undenkbar. Die Griechen lernten viel von den alten Ägyptern, von Mesopotamien. Der Bruch kam mit den Römern, denn sie waren schlicht nicht an Wissenschaft interessiert. Ob das ein Grund ist für mein Hadern mit der Wissenschaft? Schließlich ist Köln eine römische Gründung… Wie dem auch sei, die Sicht des christlichen Europa auf die Welt war bis zur Renaissance gewissermaßen eingeschränkt. Aber die Entwicklung ging in anderen Teilen der Welt, nämlich bei Persern und Arabern, weiter – das goldene Zeitalter des Islam bricht an.

Vinzenz Brinkmann lenkt das Augenmerk auf die Decke im Foyer des Liebieghauses. Hier liest man im Sternenhimmel ein Zitat von Vitruv, der sagt, dass die Vermessung der Sterne mathematische Kenntnis und Präzision der Datenerhebung fordert. Es gibt Unregelmäßigkeiten im All, und es braucht Generationen, um sie zu beobachten und präzise zu beschreiben. Ganz schön modern!

Science Fiction in der Antike

Ich starte meinen Ausstellungsbesuch in der Antike und lasse mich von deren Mythen in den Bann ziehen. Die Geschichte von König Ixion ist Science Fiction pur: er machte sich an Hera, die Frau des Gottes Zeus, heran und vergewaltigt dann eine androide Nachbildung der Hera – Zeus hatte ihm mit dem Bau dieses Roboters eine Falle gestellt. Ixion wird für seine frevelhafte Tat bestraft. Man verdonnert ihn, gefesselt und auf ein Rad geschnallt, endlos durch das Weltall zu fliegen. Auf der Rückseite der Statue sieht man das Rad – und an der Wand lässt Stanley Kubrick grüßen. 2001: Odyssee im Weltraum.

Ixion - Aufbruch in den Weltraum

Ixion – Aufbruch in den Weltraum

Dädalus und die Geschichte der künstlichen Kuh ist nicht minder abenteuerlich. Dädalus ist ein begnadeter Erfinder, Techniker, Baumeister und Künstler der griechischen Mythologie. Er lebt am Hof des König Minos auf Kreta. Der verärgert Poseidon, den Gott des Meeres, indem er ihm das Opfer eines Stieres verweigert. Dessen Rache: er belegt Pasiphae, die Gattin von Minos, mit einem Fluch – er verdonnert sie zur Lust auf Sex mit Tieren. Ok, man fragt sich, warum die Frau den Preis zahlen soll, wenn der Mann Mist baut. Doch der patente Dädalus weiß Rat: Er baut eine Kuh zu Aufklappen, mit der die Königin sich vereinigen kann. Die Frucht dieser Verbindung ist der Minotaurus mit dem Körper eines Menschen und dem Kopf eines Stieres.

Der Mythos von Dädalus und Ikarus

Der Mythos von Dädalus und Ikarus

Die wohl berühmteste Erfindung des Dädalus sind die Flügel, mit denen er selbst von der Insel entkommen kann. Sein Sohn Ikarus hat nicht das gleiche Glück. Die Statue des Ikarus zeigt Lederriemen, denn er wurde wie sein Vater gefangen gehalten, sowie den auf den Rücken geschnallten Flugkörper aus Federn und Wachs. Er darf nicht zu nah ans Wasser oder an die Sonne kommen. Aber die Sehnsucht zu fliegen ist größer als die Vernunft. Ein Menschheitstraum, das Fliegen aus eigener Kraft! Ikarus schwingt sich in die Lüfte, kommt dabei der Sonne zu nah, verbrennt sich nicht nur die Finger, sondern vor allem die Flügel. Das Wachs schmilzt und die Federn verbrennen. Für seine Selbstüberschätzung zahlt er mit dem Leben. Eine antike Science Fiction-Geschichte mit einem fehlbaren Helden.

Move it, Baby!

Skulptur und Bewegung, darum geht es im nächsten Saal. Die Statue der Athena deutet das Thema an. Die Statue steht massiv und unbeweglich vor den Besuchern, aber ihr zur Seite gedrehter Kopf und vor allem ihr Knie deuten eine Bewegung an.

Das Knie der Athene

Das Knie der Athene

Faszinierend ist die Geschichte um die Cenatio Rotunda, die sich mitten in Rom, direkt neben dem Circus Maximus, befand und ein Teil des ganz unbescheidenen Palastes Domus Aurea von Nero war. Der Turm war 20 Meter breit und ebenso hoch; er ist heute nur noch teilweise erhalten. Den oberen Abschluss bildet ein kugelrunder Speisesaal mit Planetarium, der sich beständig Tag und Nacht im Kreis dreht und der Bewegung des Universums entsprechend die Himmelskörper anzeigt. Mittels einer mit Wasserkraft betriebenen Holzkonstruktion wurde der Speisesaal bewegt. Er drehte sich in zwei Stunden einmal um seine eigene Achse. Ist das nicht eine krasse Vorstellung, dass der Kaiser hier, im Zentrum des Universums sitzend, seine Gäste  unter einem einzigartigen Panorama bewirten konnte?

Ein Modell der Cenatio Rotunda

Ein Modell der Cenatio Rotunda

Kaiserlich speisen in einem sich drehenden Speisesaal

Kaiserlich speisen in einem sich drehenden Speisesaal

Mit Kaiser Nero in die Sterne blicken

Mit Kaiser Nero in die Sterne blicken

Das Kino der ersten Stunde verdeutlichen die Figuren eines Rebhuhn jagenden Jungen – sie stammen ursprünglich aus römischer Zeit und fangen wie 3D-Standbilder zwei Phasen im Bewegungsablauf eines Kindes ein. Die Figuren bildeten zusammen mit weiteren Figuren einen Zoetrop – Vorläufer unseres heutigen Kinos. Dieser Zoetrop kann auf mechanische Art und Weise bewegte Bilder erzeugen und nutzt dabei die Trägheit unseres Gehirns aus. Heron von Alexandria lebte um die Zeitenwende und lieferte die ersten Beschreibungen eines kinematografischen Geräts. Luft, Wasser und Dampf wurden als Antriebskraft genutzt. Schade, dass keiner dieser antiken Automaten erhalten ist. Aber jeder von uns kennt ja das Prinzip vom Daumenkino, oder?

Zoetrop - Kino der ersten Stunde

Zoetrop – Kino der ersten Stunde

Details der Figuren eines ein Rebhuhn jagenden Jungen

Details der Figuren eines ein Rebhuhn jagenden Jungen

Als die Bilder laufen lernten

Als die Bilder laufen lernten

Atlas trägt die Welt

Die für mich faszinierendste Inszenierung der gesamten Ausstellung ist die Darstellung des Atlas Farnese. Der Titan trägt die gesamte Last des Universums auf seinen Schultern. Die Statue gehört dem archäologischen Nationalmuseum in Neapel. Die Figur stammt aus dem zweiten Jahrhundert und ist die römische Kopie eines griechischen Originals.

Atlas trägt die Himmelsphären

Atlas trägt die Himmelsphären

Das Interesse der Ausstellung gilt der griechischen Originalversion, die weit mehr gewesen sein könnte als eine marmorne Statue. Laut Aristoteles lässt sich Atlas als eine Achse sehen, so dass der Himmel sich um die Pole dreht. Man vermutet heute, dass der ursprüngliche Atlas ein Automat aus Bronze war – Atlas trug in Wirklichkeit eine globusförmige Sternenuhr, die sich im Verlauf von 24 Stunden einmal um sich selbst drehte. Es gibt archäologische Hinweise, dass der Ursprungs-Atlas im Turm der Winde in Athen stand. Die Rotunde im Liebieghaus, in der der Atlas präsentiert wird, ist ein architektonisches Zitat des Turms der Winde in Athen.

Im goldenen Zeitalter des Islam

Die Darstellung einer mächtigen, ursprünglich zwei Meter hohen animierten Elefantenuhr von al-Gazari aus dem 12./13. Jahrhundert empfängt die Ausstellungsbesucher im goldenen Zeitalter des Islam. Das große Wunder: diese so verspielt aussehende Uhr geht ganz genau.

Die Elefantenuhr

Die Elefantenuhr

Ich laufe weitere zu einem Modell des Qalawun-Krankenhaus in Kairo, das um 1284 erbaut wurde. Der Stifter des Krankenhauses war der Mamelukensultan Qalawun, der mit dem Bau – so heißt es – ein Gelöbnis erfüllte. Der Sultan war während eines Aufenthalts in Syrien erkrankt, und seine Ärzte konnten sein Leben durch Medikamente aus dem Krankenhaus von Damaskus retten.

Das goldene Zeitalter des Islam bedeutete Fortschritt in der Medizin

Das goldene Zeitalter des Islam bedeutete Fortschritt in der Medizin

Ein Blick auf das Qalawun-Krankenhaus macht den Grundriss deutlich

Ein Blick auf das Qalawun-Krankenhaus macht den Grundriss deutlich

Moderne Medizin, zu einer Zeit, als der europäische Kontinent von allen möglichen Krankheiten und Seuchen heimgesucht wurde. Der Gebäudekomplex ist um eine große Halle herum angelegt, wobei eine Aufteilung in verschiedene Stationen erkennbar ist. Wasserbecken, Kübel mit Pflanzen und der Duft von Weihrauch und Zitrone – hier ähnelt vieles eher einem modernen Wellnesszentrum, zumal auch leise Musik zur Heilung der Kranken beitragen sollte. Hygiene wird groß geschrieben. Der Empfangsraum funktioniert zugleich als Notaufnahme. Sogar eine Abteilung für psychisch Kranke gibt es, nach Geschlechtern getrennt. Die Kranken werden dabei kostenlos behandelt, der Betrieb des Krankenhauses aus Spenden finanziert. Es gibt eine Krankenhausapotheke, in der die gängigen Medikamente vorrätig gehalten werden, und die Ärzte legen gar Krankenakten an. Sogar eine richtige Buchhaltung gibt es, mit dem Nachweis von Einnahmen und Ausgaben. Vielleicht nicht die heute ausufernde Bürokratie… Ein funktionierende System, das in der Zeit der Kreuzzüge zerstört wurde.

Jeff Koons lässt die Schlangen klappern

Ich mache einen gewaltigen Schritt und lande in der Buntheit zeitgenössischer Kunst. Etwas abseits vom Museumstrubel, in einem anderen Gebäudeteil, verbindet Jeff Koons Vergangenheit und Gegenwart in seiner Darstellung Apollo Kithara. Das Vorbild für Koons Apollo steht im British Museum in London. Jeff Koons hat ein Faible für antike Mythen und die Polychromie der Statuen, und so windet sich in Frankfurt um Koons Apollo eine weißgelbe Schlange – für mich nicht unbedingt das sympathischste Tier auf dieser Erde. Mit der Hilfe von viel Technik bewegt sich die Schlange und lässt ihre Zunge in Richtung des Betrachters züngeln. Faszinierend!

Da ich euch das Werk von Jeff Koons aus urheberrechtlichen Gründen nicht zeigen kann, gibt es das Foto eines anderen Werkes, das mich begeistert hat. Aus dem 17. Jahrhundert stammt diese mechanische Uhrenstatue. Athena kann mit den Augen rollen und Pistolenschüsse abgeben…

Automatenuhr in der Form einer Athena-Statue - mit rollenden Augen und Pistolenschüssen

Automatenuhr in der Form einer Athena-Statue – mit rollenden Augen und Pistolenschüssen

Neugierig geworden?

Wenn ihr mehr wissen wollt über das Liebieghaus in Frankfurt und seine immer spannenden Ausstellungen, dann schaut doch auf der Website vorbei. Der Besuch lohnt allein wegen des wunderschönen Parks zu jeder Jahreszeit, und das Café ist vor allem in dem Sommermonaten eine richtige Oase. Die Ausstellung ´Im Maschinenraum der Götter´ ist noch bis zum 21. Januar 2024 zu sehen. Zur Vorbereitung des Ausstellungsbesuchs kann man sich auf der Website einen Film anschauen. Ich habe mir auch die App mit dem Audioguide heruntergeladen. Sie ist toll gemacht – man hat definitiv noch mehr vom Besuch! Und einen Katalog zur Ausstellung gibt es natürlich auch.

Bewegungslosigkeit im Saal der bewegten Bilder

Bewegungslosigkeit im Saal der bewegten Bilder

Offenlegung

Das Social Media-Team des Liebieghauses hat zu einem Communityevent geladen. Abgesehen davon, dass es immer spannend ist, richtige Instagramer bei ihrem Tun zu beobachten – eine Einführung in die Ausstellung durch den Kurator ist unglaublich spannend. Und die  Kunstvermittler, die uns an verschiedenen Stationen im Museum erwartet haben, sind phantastisch und konnten ihre Begeisterung mit uns teilen. Ich danke für die Einladung, die spannenden Einblicke und natürlich für Speis und Trank! Die beschriebenen Eindrücke sind meine eigenen.

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