Am 21. Oktober 2020 wurde in Frankfurt / Main das neue Jüdische Museum eröffnet. Grund genug, dem Bauwerk und seiner Sammlung einen Besuch abzustatten.
Spannende Architektur aus Alt und Neu
Nur wenige Schritte vom Main entfernt, ist in den letzten Jahren ein spannender Museumskomplex entstanden. Neben dem historischen Rothschild-Palais entstand der moderne Lichtbau des Büros von Staab Architekten – zusammen ein stimmiges Ensemble, das sich als neues kulturelles Zentrum in Frankfurt versteht.
Das historische Rothschild-Palais
Der Frankfurter Stadtbaumeister Johann Friedrich Christian Hess ließ sich von der klassischen Antike inspirieren, als er 1820 / 1821 zwei Gebäude am Untermainkai im klassizistischen Stil errichtete. Heute sind die beiden Gebäude miteinander verbunden und bilden das neue Jüdische Museum.
Die Frankfurter Rats- und Bankiersfamilie Bethmann kaufte das Haus am Untermainkai 14. Das Nachbargebäude – das spätere Rothschild-Palais – war für den Bankier Joseph Isaak Speyer, der zuvor in der Judengasse gewohnt hatte, errichtet worden.
1846 kaufte Baron Mayer Carl von Rothschild das Haus Nr. 15, ließ es umbauen und erweitern. Durch diese Umbauten erhielt das Gebäude sein heutiges Aussehen. Einige historische Räume sind heute noch erhalten, etwa das Treppenhaus mit den Spiegeln und farbigen Marmorverkleidungen im Stil der Renaissance. Auch drei repräsentative Salons haben ihre ursprüngliche Ausstattung bewahrt. Diese Räume können als Teil der neuen Dauerausstellung besichtigt werden.
Nach dem Tod des Barons von Rothschild zog 1895 die „Freiherrlich Carl von Rothschild’sche öffentliche Bibliothek” – eine Gründung der Rothschild-Tochter – ins Palais um. Nach ihrem Tod wurde die Bibliothek in eine Stiftung umgewandelt und um das Nachbargebäude erweitert. Nach dem Ersten Weltkrieg entwertete die Inflation jedoch das Stiftungsvermögen und die Stadt Frankfurt übernahm die Bibliothek. 1933 tilgten die Nationalsozialisten dann die Erinnerung an die jüdischen Stifter, allerdings überstand das Gebäude den Zweiten Weltkrieg ohne größere Schäden. Später wurde es zu einem Teil der Stadt- und Universitätsbibliothek.
Der Lichtbau
Der Lichtbau steht im früheren Garten des Rothschild-Palais auf dessen Rückseite. Der Entwurf von Staab Architekten verdoppelt die Nutzfläche des Museums. Im Kellergeschoss stehen mehr als 600 Quadratmeter für Wechselausstellungen zur Verfügung. Daneben gibt es einen großzügigen Eingangsbereich, einen Veranstaltungssaal, ein Deli mit koscherem Speisenangebot sowie einen Shop. Dazu kommen die Räumlichkeiten der neuen Bibliothek, die in Eschenholz verkleidet ist und sich in Form eines großen Fensters zur Stadt hin öffnet. Im nichtöffentlichen Bereich des Museums finden sich Depoträume, Werkstätten und natürlich Büros.
Die Innenraumgestaltung des Gebäudes ist geprägt vom Gegensatz zwischen glatten Sichtbetonoberflächen und warmer Holzvertäfelung. Durchbrüche und Lichteinfälle erzeugen ein oftmals überraschendes Raumerlebnis. Das architektonische Zentrum bildet das Atrium, um das herum sich die öffentlichen wie nichtöffentlichen Bereiche des Museums gruppieren. Von oben blicken Besucher von Bibliothek und Café durch große Fenster in die Halle.
Lichtbau und Rothschild-Palais öffnen sich zu einem neuen einladenden Museumsvorplatz, der den Namen Bertha-Pappenheim-Platz trägt – die neue Adresse des Museums. Eine kunstvolle Verbindung zwischen Alt- und Neubau bildet die 11 Meter hohe Baumskulptur von Ariel Schlesinger.
Verbundenheit und Entwurzelung
Die elf Meter hohe Skulptur ´Untitled´ aus dem Jahr 2019 ist das erste Kunstwerk, das Ariel Schlesinger für den öffentlichen Raum schuf. Schlesinger, der 1980 in Jerusalem geboren wurde und in Berlin und Manchester lebt, zeigt zwei aus Aluminium gegossene Baumskelette, deren Baumkronen miteinander verbunden sind. Der untere, fest in der Erde verwurzelte Baum trägt den oberen, dessen Wurzelwerk in den Himmel ragt. Ein Sinnbild für die Verwurzelung und Entwurzelung der Frankfurter Juden und Jüdinnen. Auch eine religiöse Interpretation ist denkbar, wobei der Baum als eine Metapher für die besondere Verbindung Gottes zum Volk Israels verstanden werden kann.
Die Sammlung
Die Sammlung im Jüdischen Museum erzählt unter der Überschrift ´Wir sind Jetzt´ die Geschichte jüdischen Lebens in Frankfurt von der Emanzipation um 1800 bis in die Gegenwart. Frankfurt war und ist eines der wichtigsten Zentren jüdischen Lebens in Europa. Rund 1.500 Quadratmeter Ausstellungsfläche, verteilt auf drei Etagen, erwarten die Besucher. Man erfährt, wie Juden und Jüdinnen das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben der Stadt prägten und lernt gleichzeitig einiges über Diskriminierung und Gewalterfahrung.
Im 1. Stock geht es um die Themenbereiche Familie und Alltag, veranschaulicht durch verschiedene Frankfurter Familien.
Die Familie der Anne Frank
Ich habe natürlich das Tagebuch der Anne Frank gelesen und auch das Anne Frank Haus in Amsterdam besucht. Trotzdem habe ich nie die gedankliche Verbindung zu Frankfurt herstellt – vermutlich, weil ich von Frankfurt damals noch gar keine Vorstellung hatte.
Im Jüdischen Museum ist der Geschichte der Familie Frank, einer bürgerlichen Kaufmannsfamilie, sowie der mit ihr verwandten Familien Stern und Elias viel Raum gewidmet. Rund 1.300 Objekte gehören zur Sammlung und man weiß, dass die Vorfahren der Familie Frank seit dem 16. Jahrhundert in der Stadt lebten. Frank Nussbaums Gemälde des Frankfurter Opernplatzes nahm die Familie mit in die Emigration – heute ist es wieder in Frankfurt.
Zu sehen sind Objekte der Familiengeschichte, darunter Alltagsgegenstände wie Porzellan und Spielzeug, Gemälde und Briefe – eine Dokumentation bürgerlichen Lebens um 1900.
Die Welt der Rothschilds
Die Rothschild – der Name hat viel Klang in meinen Ohren. Ich muss natürlich sofort an Wein denken – an das gerühmte Château Mouton Rothschild – und an meinen Besuch in Waddesdon Manor im englischen Buckinghamshire, das einst für Ferdinand von Rothschild erbaut worden war.
Im Jüdischen Museum wird der Gründungsmythos der Rothschild-Bank thematisiert, nach dem der Kurfürst von Hessen sein Gold an Mayer Amschel Rothschild übergibt, bevor er vor den französischen Truppen außer Landes flieht. Kleine Ungenauigkeit der Geschichte, denn die Bank bewahrte Wertpapiere auf, kein Gold, erwies sich aber als zuverlässig und vermehrte das Vermögen. Glück gehabt.
1901 ging es mit der Bank zu Ende, denn in der dritten Generation gab es keinen männlichen Nachwuchs mehr. Die Familie Rothschild blieb jedoch ein angesehenes Mitglied der Frankfurter Gesellschaft, bis die verbleibenden Familienmitglieder von den Nazis enteignet und ins Exil gedrängt wurden.
Tradition und Ritual werden im 2. Stockwerk thematisiert, auch der Wandel jüdischer Traditionen in der Moderne. in Frankfurt entstand im 19. Jahrhunder die Neo-Orthodoxie als neue Bewegung, die bis heute wirkt.
Tradition und Ritual
Die Sinnlichkeit der jüdischen Zeremonialkultur erlebbar zu machen – das haben sich die Museumsmacher auf der zweiten Ebene zur Aufgabe gemacht. Mir hat es vor allem dieser ganz moderne Chanukka-Leuchter mit seinen leuchtenden Farben angetan, ein Werk des israelischen Designers Avi Biran aus dem Jahr 2008. Zusammengesetzt sieht er aus wie ein Ölgefäß.
Auch der Alltag der Jetztzeit bleibt nicht außen vor.
Ask the Rabbi!
Das Judentum ist wie jede andere Religion auch vielfältig. Alte Texte können auf ganz unterschiedliche Art und Weise interpretiert und auf neue Zeiten oder Lebensumstände angepasst werden. Heute werden diese Diskussionen von Rabbinern fortgeführt, und insofern hat mir der Bereich ´Ask the Rabbi´ sehr gut gefallen.
Man ahnt, wer hier die Orthodoxie vertritt und die göttlichen Gebote als unveränderbar versteht und wer eher liberale Positionen vertritt und die Gebote an die jeweilige Zeit anpasst. In der Videoinstallation antworten vier Frankfurter Rabbiner und eine Rabbinerin auf die Fragen der Gegenwart. Man sollte die Gelegenheit nutzen!
Im 3. Stock geht es um Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens, anschaulich dargestellt anhand verschiedener Biografien.
Oppenheims Moses
Das in den Jahren 1817 / 1818 entstandene Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim inszeniert die Gründungsfigur der jüdischen Tradition: Moses ist ein vergleichsweise junder Mann, der auf die Tafel mit den 10 Geboten weist. Er tritt als Lehrer auf und erklärt das Wort Gottes, wobei der Stil und das monumentale Format an die oftmals christlich geprägte Historienmalerei denken lässt – hier mit einer ganz selbstbewussten Bildsprache auf die jüdische Überlieferung übertragen.
Museum to go
Die Besucher des Jüdischen Museums erhalten beim Eingang übrigens ein besonderes Spielzeug: das Museum to go. Die Ausstellung ist so vielfältig und bietet eine enorme Fülle an Informationen, und man kann ausgewählte Foto, Filme oder Informationen quasi mitnehmen und nach dem Museumsbesuch in aller Ruhe auf einer personalisierten Website anschauen, so das Besuchserlebnis vertiefen.
Neugierig geworden?
Falls ihr neugierig geworden seid, dann schaut euch doch einmal auf der Website des Jüdischen Museums um! Im Gebäudekomplex am Bertha-Pappenheim-Platz kann man jüdische Kultur in ganz moderner Architektur und in einem Stadtpalais aus dem 19. Jahrhundert erleben. Einen kleinen Spaziergang entfernt findet sich das Museum Judengasse als perfekte Ergänzung zum jüdischen Alltagsleben in der frühen Neuzeit. Dieses Haus wurde auf den Fundamenten von Häusern der ehemaligen Judengasse errichtet – dem ältesten jüdischen Ghetto Europas.
Offenlegung
Gemeinsam mit dem Social Media Club Frankfurt durfte ich Anfang November 2021 das Jüdische Museum im Rahmen einer spannenden und äußerst informativen Führung entdecken. Anlass für den Walk war die Auftaktveranstaltung der jährlich stattfindenden Konferenz „Zugang gestalten“, bei der in der Deutschen Nationalbibliothek darüber diskutiert werden sollte, wie der Zugang zum digitalen Erbe möglich gemacht werden kann. Am Vorabend der Konferenz traf sich folglich eine bunte Mischung von Historikern, Archivaren, Bibliothekaren und Museumsleuten auf der einen und Social Media-Enthusiasten auf der anderen Seite. Ich danke allen Mitarbeitern des Jüdischen Museums für die spannenden Einblicke und denen des Flowdeli für die kleinen Köstlichkeiten. Die beschriebenen Eindrücke sind meine eigenen.