In Kunst übernachten – tinyBE in Frankfurt

Terence Koh, spiral home, 2021Terence Koh, spiral home, 2021

Mein größter Traum ist es ja, einmal eine Nacht in einem Museum zu verbringen. Eine ganze Nacht Zeit zu haben, um die großen und kleinen Schätze der Kunstgeschichte in aller Ruhe zu betrachten und sie auf mich wirken zu lassen. Bisher ist es mir nur einmal gelungen, nicht direkt bei den Kunstwerken, sondern in einem Gästezimmer in einem kleinen privaten Museum zu übernachten. Und das Château de Syam im französischen Jura war eine phantastische Entdeckung!

bist du richtig hier?

Bist du richtig hier?

In Frankfurt lässt sich dieses Erlebnis zur Zeit noch steigern, denn hier kann man ganz nach dem Motto ´living in a sculpture´ in einer Skulptur übernachten. Ja, ihr habt richtig gelesen. Der Metzlerpark am Museum Angewandte Kunst ist zu einem Spielplatz kreativer Köpfe geworden, die in einem intensiven Dialog Kunst, Wissenschaft und Architektur vereinen. Zentrale Fragestellung ist dabei, wie es uns gelingen kann, in Zukunft klug und effizient mit Ressourcen und Raum umzugehen.

Ganz bewusst haben die Ausstellungsmacher keine Architekten eingeladen, denn nicht das Design und der schöne Schein sollten im Vordergrund stehen. Künstler waren gefragt, um ebenso verrückte wie kreative Ideen zu entwickeln und mit unterschiedlichsten Materialien zu experimentieren. Die Aufgabe: bewohnbare Skulpturen zu schaffen, die über eine maximale Wohnfläche von 30 Quadratmetern verfügen und aus nachhaltigen Materialien geschaffen sind.

Sterling Ruby heizt ein

Gut, der ´Black Stove´ von Sterling Ruby ist keine Unterkunft, aber der Ofen steht für das Feuer, das für den Menschen von existentieller Bedeutung ist. Holz hacken und Feuer entfachen – das sind Tätigkeiten, die den Menschen über Jahrhunderte begleitet haben. Früher wurden Bauernhäuser mit solchen Öfen beheizt, sie dienten aber auch auf Baustellen der Beseitung von Altholz. Dieser Ofen aus rostfreiem Edelstahl funktioniert tatsächlich und wird regelmäßig angezündet.

Sterling Ruby, black stove 3, 2014

Sterling Ruby, black stove 3, 2014

 

Terence Kohs Oase der Ruhe

Das ganz leicht und luftig wirkende ´spiral home´ von Terence Koh hat es mir besonders angetan. Ein Baumhaus, aber ohne mächtigen Baum. Eine ganz leicht wirkende spiralförmige Konstruktion rund um einen Lindenbaum inmitten blühender Natur, mit vielen Blüten, Zweigen voller Äpfeln und sogar einem Bienenstock. Verwendet wurden nur Materialien, die der Künstler vor Ort gefunden hat. Das Bett ist zwischen einer Linde und zwei Pfählen aufgespannt. Es bietet mit seiner erhöhten Position den perfekten Aussichtspunkt und lädt ein, den Himmel zu beobachten. Ein zauberhafter Kraftort, nur wenige Schritte vom trubeligen Mainufer entfernt.

Terence Kohs Wohnspirale

Terence Kohs Wohnspirale

Terence Koh, spiral home

Terence Koh, spiral home

Terence Koh wurde 1977 in Singapur geboren und galt als das Enfant terrible der New Yorker Kunstszene. Seine Arbeiten spalten das Publikum. Die wilden Zeiten sind jedoch vorbei – heute setzt er dem hektischen Großstadtleben Oasen der Ruhe entgegen.

 

Laure Prouvosts Erdbrüste

Mutter Natur zeigt ihre Brüste! Mit ´Boob Hills Burrows´ stellt Laure Prouvost, eine Künstlerin aus dem nordfranzösischen Lille, den Kreislauf des Lebens dar und zeigt in Frankfurt zwei mächtige Erdbrüste im Gras.

Laure Prouvost, Boob Hills Burrows, 2021

Laure Prouvost, Boob Hills Burrows, 2021

Mutter Erde zeigt, was sie kann

Mutter Erde zeigt, was sie kann

Der Zugang zur Erdhöhle ist nicht für Riesen gemacht, aber drinnen fühlt man sich geschützt wie im Mutterleib. Es ist gerade genug Platz für ein Doppelbett und – sehr beruhigend! – einen Wasserkocher mit zwei Kaffeetassen. Den Fernseher bräuchte ich persönlich nicht. Das Licht, das durch die Brustwarzen aus Muranoglas fällt, ist sicher Schauspiel genug…

 

Die zweite Brust ist die nährende Quelle des Lebens. Achtung, liebe Kinder: Klettern und baden sind verboten!

Baden nicht erlaubt...

Baden nicht erlaubt…

MY-CO-X

Die Entwürfe der russischen Architektin Galina Galaschowa waren eigentlich für die bemannte Raumfahrt gedacht. My-CO Space holt die hochfliegenden Pläne auf die Erde zurück – das Kollektiv aus Künstlern, Architekten und Pilzbiotechnologen experimentiert mit Pilzen als schnell nachwachsendem nachhaltigen Rohstoff. Die Skulptur ist ein Erlebnisraum für die Wechelbeziehung zwischen Mensch und Pilz.

Die Raumkapsel von Galina Balaschowa

Die Raumkapsel von Galina Balaschowa

Innen sieht die bewohnbare Skulptur äußerst gemütlich aus, hell, mit Schreibtisch und Wohnbereich, und sie duftet vor allem auch sehr gut, nach frischem Holz und Wald. Mein Gedanke allerdings, als ich um die Kapsel herumging: das sieht ja aus wie ein Mandelhörnchen! Ok, ich hatte wahrscheinlich Hunger…..

Raumkapsel-Mandelhörnchen

Raumkapsel-Mandelhörnchen

The Embassy of the Refugee

Die beiden US-amerikanischen Künstler Mia Eve Rollow und Caleb Duarte greifen mit ihrem Werk ´The Embassy of the Refugee´ ein ganz aktuelles Thema auf: Vertreibung, Immigration und Menschenrechte. Ein Zelt, wie es auch als Unterkunft für Flüchtlinge verwendet werden könnte, wird einer stabileren Konstruktion, symbolisiert durch ein goldfarbenes Baugerüst, gegenübergestellt. Im Inneren des Baus stehen Transportkisten sinnbildlich für den freien Warenverkehr – eine Freiheit, die Menschen auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben verwehrt wird. Auf der Rückseite des Hauses erzählen verschiedene Schaukästen die Geschichte von Flüchtenden – eine beeindruckende Darstellung!

Projektinitiatorin und Kuratorin Cornelia Saalfrank

Projektinitiatorin und Kuratorin Cornelia Saalfrank

Im Inneren der ´Embassy of the refugee´

Im Inneren der ´Embassy of the refugee´

 

Nationalismus versus Humanismus, Integration versus Rassismus – das sind die Themen, die die globale Gemeinschaft bestimmen und herausfordern.

Thomas Schüttes spartanische Hütte

Fast wie ein Tiny House wirkt die ´Spartà Hut´ von Thomas Schütte. Eine Holzhütte mit klarem, geometrischen Design steht für das Streben nach einem einfachen Leben in der Natur. Aber ist es wirklich so einfach? Die Form der Skulptur – ein Hexagon – erinnert an den Rumpf des Trojanischen Pferdes.

Thomas Schütte, Spartà Hut, 2016 / 2021

Thomas Schütte, Spartà Hut, 2016 / 2021

I see faces

I see faces

Ist das Streben nach einem einfachen Leben in der Natur vielleicht eine Sackgasse? Kann der moderne Mensch in freier Wildbahn überhaupt noch überleben?

Im Kopf von Mies van der Rohe

Der Baustellencharme des Entwurfs von Christian Jankowski hat wohl nicht allen Anwohnern gefallen. Für ´Bodybuilding (Mies van der Rohe)´ wurde zunächst ein vier Meter tiefes Loch gebuddelt und der Aushub nebenan auf die Wiese gekippt. Im Loch wurde dann die Skulptur geformt; jetzt ist es mit Wasser gefüllt und durch ein Gitter geschützt.

Chrstian Jankowski, Bodybuilding (Mies van der Rohe), 2021

Chrstian Jankowski, Bodybuilding (Mies van der Rohe), 2021

Erinnerungskultur ist das Thema der Skulptur. Wenn man sich der archaisch anmutenden Unterkunft nähert, dann erkennt man das Profil von Mies van der Rohe, dem Schwergewicht der modernen Architektur. Es scheint, der Kopf habe sich einmal um die eigene Achse gedreht. Wie es sich wohl im Kopf eines anderen Menschen schläft?

Im Kopf von Mies van der Rohe

Im Kopf von Mies van der Rohe

Und Christian Jankowski scheint ein Spaßvogel zu sein: er plant gleich eine ganze Architektensiedlung – Gropius und Le Corbusier lassen grüßen!

Christian Jankowskis Architektensiedlung

Christian Jankowskis Architektensiedlung

Alternatives Hotelkonzept

Tagsüber ist der Metzlerpark ein ganz normaler Skulpturenpark. Bei schönem Wetter schlendern viele Menschen durch die Grünanlage oder genießen eine Pause im ´Emma Metzler´, dem Restaurant direkt am Museum Angewandte Kunst.

Wo bist du morgen?

Wo bist du morgen?

Nachts aber wird der Park zum äußerst originellen Hotel, denn man kann in den Kunstwerken übernachten! Der Check-in erfolgt im Steigenberger Frankfurter Hof und die Gäste werden nach einer Einführung in die Gegebenheiten im Park mit einer Limousine zum Metzlerpark gefahren. Die Limousine passt in meinen Augen nicht ganz zum Gedanken der Nachhaltigkeit, aber so ist halt Frankfurt. Hier zahlt man den Übernachtungspreis für das ganz besondere Erlebnis. Ob man überhaupt nachts ein Auge zubekommt? Ich kann mich an eine Nacht in einem Baumhaus erinnern, wo ich nicht wirklich gut schlafen konnte, weil ich dauernd versuchte, den Ursprung der Geräusche in der umgebenden Natur zu bestimmen. Immerhin, damals konnte ich eine Zugbrücke hochziehen und war zumindest vor Bären sicher. Im Metzlerpark sorgt ein Securityservice für das nötige Sicherheitsgefühl. Toiletten sind am Rande des Parkgeländes vorhanden und die Gäste haben sogar die Möglichkeit, eine Dusche zu nehmen.

Frankfurt, Stadt der Gegensätze

Frankfurt, Stadt der Gegensätze

Offenlegung: Ich habe tinyBE im Rahmen einer Führung kennengelernt, die für ein Regionaltreffen der VDRJ, der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten, organisiert wurde; ich bin Mitglied im PR-Kreis. Ich danke der Initiatorin des Projekts und Kuratorin Cornelia Saalfrank und der Co-Kuratorin Katrin Lewinsky für die spannenden Einblicke. Die beschriebenen Eindrücke sind meine eigenen.

Falls ihr mehr über das Projekt wissen wollte, dann schaut euch auf der Website www.tinybe.org um! Die Ausstellung im Metzlerpark ist noch bis zum 26. September 2021 zu sehen; weitere Stationen sind in Darmstadt und Wiesbaden zu bewundern. Der Besuch der Ausstellung ist rund um die Uhr möglich und es gibt ein umfangreiches Kunstvermittlungsprogramm. Informationen zu den Übernachtungsmöglichkeiten gibt es hier.

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