Ich kann mich noch gut daran erinnern: wir standen mitten in der Nacht in einer wirklich langen Schlange bestens gelaunter Menschen. Es ging nur langsam voran, was aber auch nicht schlimm war, denn wir alle warteten schwatzend und voller Vorfreude auf den Einlass in das noch nicht eröffnete Wallraf-Richartz-Museum. Es muss die Lange Nacht der Kölner Museen im Jahr 2000 gewesen sein – 2001 wurde das Wallraf am heutigen Standort eröffnet. So bekloppt können auch nur Kölner sein, aber wir waren so enorm neugierig auf dieses neue Haus für die alte Kunst und warteten ganz geduldig darauf, nackte Wände sehen zu dürfen.
Ein neues Haus für die alten Meister
Die Geschichte des Wallraf geht auf das Jahr 1824 zurück, als Ferdinand Franz Wallraf der Stadt Köln seinen enormen Kunstschatz vermachte. Die Mühlen der Bürokratie mahlten schon damals langsam und erst dreißig Jahre später und nach einer ordentlichen Geldspritze durch Johann Heinrich Richartz wurde der erste Museumsbau des Rheinlands in Angriff genommen. Der Mäzen wurde zum zweiten Namensgeber.
Die Zeit des Nationalsozialismus brachte zahlreichen Werken das Label der ´entarteten Kunst´ ein; viele verpönte Schätze gingen verloren. Das Museum wurde durch Bombenangriffe zerstört, ein guter Teil der Sammlung konnte jedoch rechtzeitig ausgelagert werden. Doch es gab einen Neuanfang: Kunstsammler Josef Haubrichs steuerte seine Sammlung an Expressionisten und Kunst der Moderne bei und das Museum fand 1957 eine neue Heimat dort, wo sich heute das Museum für Angewandte Kunst befindet.
1986 bezog das Museum gemeinsam mit der Sammlung Ludwig den imposanten Neubau zwischen Dom und Rhein. Doch auch dieser Bau platzte schnell aus allen Nähten, und so kam es zu diesem neuen Haus für die alten Meister, in unmittelbarer Nachbarschaft von Rathaus, Gürzenich und Farina-Haus. Für die Pläne zeichnet der Kölner Architekt Oswald Maria Ungers verantwortlich. Der vollständige Name des Hauses lautet mittlerweile Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud – dank der Leihgaben des Schweizer Unternehmers Corboud, dessen Angetraute eine Kölnerin ist. Oder kurz: das Wallraf.
Drei Standorte der Sammlung habe ich über die Jahre erlebt und in dieser Zeit viele spannende Ausstellungen sehen können. Ok, manche Ausstellungen habe ich auch schlicht verpasst, weil ich zu selten in Köln war und kurz vor Toresschluss die Warteschlangen zu lang waren. Aber jetzt bin ich dank der rechtzeitigen Buchung meines Zeitfensters auf eine große Reise durch Frankreich und durch die Epochen gegangen – mein krönender Abschluss einer arbeitsreichen Woche in Köln.
Mit Paul Signac quer durch Frankreich
Es ist keine große Ausstellung, aber eine wunderschöne Reise durch die eigene Sammlung des Wallraf. ´Bon voyage, Signac!´ könnte glatt als Kooperation mit der Französischen Zentrale für Tourismus entstanden sein, so gelungen ist die Verknüpfung der impressionistischen Kunstwerke mit den touristischen Sehenswürdigkeiten der französischen Regionen. Und auch der neue Zuschnitt der französischen Regionen als Ergebnis der Regionalreform von 2016 wird genau beachtet. Chapeau!
Die Reise beginnt natürlich in Paris, das im 19. und frühen 20. Jahrhundert als Nabel der Kunstwelt die Kreativen aus aller Herren Länder magisch anzog. Ganz viel französisches Flair spürt man noch heute an der Kathedrale Notre-Dame, einem Meisterwerk der gotischen Baukunst. Oder an der Pont des Arts, unweit der Île de la Cité, dem mittelalterlichen Stadtkern von Paris.
Ab den 1850er Jahren veränderten sich die Vororte von Paris, denn die Industrialisierung brauchte Platz und zugleich stieg das Bedürfnis der Pariser nach Erholung und Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Das französische Eisenbahnnetz wurde ausgebaut, und so waren die Gemeinden im Pariser Umland plötzlich gut erreichbar – den Malern boten sich zahlreiche neue Motive zwischen Courbevoie, Samois und Melun in der Île de France.
Die Normandie avancierte sehr früh zu einem touristischen Hotspot, vor allem dank der guten Erreichbarkeit von Paris aus. Le Havre zum Beispiel wurde 1847 an das französische Eisenbahnnetz angeschlossen. Die Normandie gilt als die Wiege des Impressionismus, denn zahlreiche Künstler folgten Eugène Boudin nach und tobten sich an Himmel, Meer und Strand aus. Die Freilichtmalerei war geboren.
Weiter geht die Reise ans Ende der Welt, ins Finistère. Der rund 2.000 km lange Zöllnerpfad entlang der Küste lockt heute zahlreiche Aktivurlauber in die Bretagne. Paul Signac kam 1891 nach Concarneau, damals noch ein kleiner Fischerort, heute einer der meistbesuchten Orte der Bretagne. Auch Kommissar Dupin ermittelt hier…
Ist es nicht großartig, diese pointillistischen Meisterwerke so aus der Nähe betrachten zu können?
Die nächste Station der Frankreichreise ist La Rochelle, eine alte Festungsstadt in Nouvelle-Aquitaine. Die Türme am alten Hafen sind das Wahrzeichen der Stadt und ein perfektes Motiv für Signac, der im Laufe seines Lebens sagenhafte 32 Boote besaß.
Was wäre eine Frankreichreise ohne den Süden, ohne Provence und Côte d´Azur? Diese wunderschöne Ansicht lässt mich sofort an meinen Besuch in Antibes denken, der schon viel zu lange zurückliegt. Stunden habe ich schon im Picasso-Museum direkt am Meer verbracht, anschließend den provenzalischen Markt leer gekauft, um dann erschöpft auf einer Terrasse einen Espresso zu genießen und eine Kleinigkeit zu essen….
Oder aber das glanzvolle St. Tropez, heute ein Hotspot der Schönen und Reichen, zu Ende des 19. Jahrhunderts aber noch ein einfaches, charmantes Fischerdorf.
Fast alleine im Museum
Maximal 150 Besucher dürfen aktuell zeitgleich ins Wallraf-Richartz-Museum und die meisten zieht es gleich in den dritten Stock, in die Sonderausstellung. Für mich wurde dadurch ein Traum wahr, denn ich war in der ständigen Sammlung fast alleine unterwegs.
Die Abteilung für Mittelalterliche Kunst umfasst rund 140 Werke und obwohl ich alles andere als ein religiöser Mensch bin, üben diese frühen Werke – Andachtsbilder und Altarbilder – doch einen enormen Zauber auf mich aus.
Im Barock wird es dann üppig. Das 17. Jahrhundert ist geprägt von enormen Umwälzungen, von Krieg und Glaubenkämpfen, aber auch von wissenschaftlichen Entdeckungen und der Entwicklung des Welthandels. Rubens und Rembrandt sind herausragende Repräsentanten dieser Epoche und wahre Meister des Spiels mit Licht und Schatten.
Peter Paul Rubens ist bekannt als Meister aus Antwerpen, aber wusstet ihr, dass er seine Kindheit in Köln verbrachte? Auch der Handel entwickelt sich in dieser Zeit und mit ihm erlangt das Bürgertum ein ganz neues Selbstbewusstsein.
Von der Romantik geht dann der Aufbruch in die Moderne aus, mit dem Impressionismus als wichtiger Wegmarke.
Großartig im Wallraf-Richartz-Museum ist die enorme Raumwirkung. Die Wände hatten mich schon beim ersten Besuch vor mehr als 20 Jahren in den Bann gezogen. Mir gefallen vor allem die dunkel gehaltenen Räume ausgesprochen gut, denn hier kommen die ausgestellten Werke bestens zur Geltung. Die Beleuchtung setzt perfekte Akzente.
Da nur sehr wenige Menschen in der ständigen Sammlung unterwegs waren, konnte ich die Werke aus verschiedenen Distanzen auf mich wirken lassen. Aus größerer Entfernung, so dass sie zu einem Ensemble mit ihrer Umgebung verschmelzen, und ganz aus der Nähe.
Wunderbar zurückhaltend ist auch das Wachpersonal. In manchen Museen fühle ich mich tatsächlich auf Schritt und Tritt verfolgt, aber im Wallraf nahm man offensichtlich nicht an, dass ich mir eins der Meisterwerke unter den Arm klemmen würde…
Mehr wissen?
Wenn ihr neugierig geworden seid, dann schaut euch doch einmal auf der Website des Wallraf-Richartz-Museums um! Auf der Seite finden sich nicht nur Informationen zu den aktuellen Ausstellungen, sondern man kann auch einen digitalen Rundgang durch die ständige Sammlung unternehmen. Die Ausstellung ´Bon Voyage, Signac!´ ist noch bis zum 22. August 2021 zu sehen. Einen schönen Museumsshop gibt es natürlich auch. Und zum Ausklang des Kunsterlebnisses bietet sich ein Boxenstopp im Museums-Café an – der Kuchen ist schlicht ein Traum!