Mode ist mir furchtbar egal. Ich kann mich noch gut an eine Pressereise erinnern, bei der wir vor einigen Jahren auf St. Barth auf eine Gruppe von Models trafen, die dort ein Fotoshooting machten – magersüchtige Hungerhaken, die erkennbar keinen Spaß bei der Arbeit hatten und auch keinen Blick für die Schönheiten dieser wirklich traumhaften Karibikinsel. Aber jeder Jeck ist bekanntlich anders. Kleidung muss für mich praktisch sein, bequem und gut waschbar. Wozu ich überhaupt keine Lust habe, das ist, mich mit Modetrends auseinanderzusetzen. Wenn aber Mode plötzlich in den Status eines Kunstwerks erhoben und im Museum gezeigt wird, dann werde ich neugierig.
Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland oder kurz: die Bundeskunsthalle liebe ich seit Jahren über alles. So viele spannende Ausstellungen habe ich hier schon gesehen, wobei mir besonders gefällt, dass sie sich nicht auf eine Epoche beschränkt und den Blick über den Tellerrand wagt. Ganz allgemein: was für ein Traum, die Museumsmeile in Bonn! Meist kann ich mich kaum entscheiden, was ich mir anschauen soll, denn auch das Kunstmuseum und das Haus der Geschichte lohnen einen Besuch.
Aber zurück zur Bundeskunsthalle. Die Ankündigung von „Dress Code – Das Spiel mit der Mode“ verspricht viel Farbe…
Kleiderordnungen
Wie hast du die Kleidung ausgewählt, die du heute trägst? Mit dieser Frage werden die Besucher gleich im Eingangsbereich konfrontiert. Designer-Kleid oder Jeans, Anzug, Jogginghose oder Uniform – jede Kultur, Epoche und gesellschaftliche Gruppe hat ihre eigenen Dress Codes. Sie geben vor, wie wir uns als Teil bestimmter sozialer oder Berufsgruppen kleiden sollten. Ich musste hier sofort an Pan Tau und an einige Albumcover der Band ´Kraftwerk´ denken – und an die Anfänge meiner beruflichen Laufbahn, als ich noch eine Dienstkleidung tragen musste, mit schwarzem Rock und weißer Bluse. Lang ist´s her.
Aber: die Dress Codes geben den Rahmen vor, aber die Ausgestaltung der Outfits bestimmt jeder Mensch ganz individuell. Mode wird damit zum Spiel – zu einem Akt der Selbstdarstellung und non-verbaler Kommunikation mit den anderen.
Die Individualität hält mit dem Zeitalter der Aufklärung Einzug in die Mode. Der Mensch definiert sich nicht mehr über seine Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, sondern begreift sich zusehens als Individuum. Die Kleidung spiegelt persönliche Vorlieben und zeigt dann auch gerne einmal wilde florale Muster.
Der klassische Anzug ist jedoch eine Art Uniform – gedeckte Farben, Hose und Jackett aus dem gleichen Stoff. Bloss keine Extravaganzen! Zur Demokratisierung der Mode gehört jedoch auch, dass der Herrenanzug für die Damenmode adaptiert wurde.
Das Spiel mit Geschlechterrollen ist die Spezialität von Rei Kawakubo, der Chefin des japanischen Labels Comme des Garçons. Der Rock erinnert an einen schottischen Kilt, erscheint hier jedoch seltsam verfremdet. Die Bluse könnte auch Teil eines Damenoutfits sein.
Mode als Zeitreise
„Ein Samenkorn auf einer Wolke“ – die Entwürfe des japanischen Designers Kentaro Tamai sind ein bisschen rätselhaft. Kleidung wird aus ihrem ursprünglichen Arbeitskontext herausgelöst. Koffer spielen eine bedeutende Rolle, die Reise und die Bewegung von einem Ort zum anderen. Mir gefällt diese poetische Seite der Mode von Aseedonclöud ausgesprochen gut!
Alles Tarnung!
Wusstet ihr, dass Thomas Burberry den klassischen Trenchcoat im Jahr 1909 erfand und dieser den Soldaten in den Schützengraben des Ersten Weltkriegs als Kleidung diente? Er war wasserabweisend und aus festem Stoff gearbeitet. Die Camouflage wurde in den folgenden Jahren perfektioniert, um den Träger quasi unsichtbar zu machen. Später, ab den 1960er Jahren, war Camouflage dann Zeichen des politischen Protests, bis sie irgendwann zu rein modischen Zwecken eingesetzt wurde. Statt sich zu tarnen, galt es nun aufzufallen, wobei auch figurbetonte weibliche Kleidungsstücke mit dem maskulinen Camouflagemuster kombiniert werden.
Mode als Markenprodukt
Früher wurden Logos diskret versteckt – heute werden sie prominent präsentiert. Und groß muss das Logo sein – das ist dem veränderten Kaufverhalten geschuldet, denn die Ware muss immer öfter über das kleine Smartphonedisplay betrachtet, das Logo erkannt werden.
Manga-Mode & Polyester-Träume
Rei Kawakubo, kreativer Kopf des Labels Comme des Garçons, setzt ein Manga-Mädchen des Manga-Künstlers Makoto Takahashi übergroß in Szene. Ein opulentes und übergroßes Kleid aus dem Jahr 2018 mit zahlreichen, ganz unterschiedlichen Motiven. Soll das Modell als Kritik an Dekadenz und Überfluss unserer Zeit verstanden werden?
Das silbrige, extrem voluminöse und nicht unbedingt alltagstaugliche Kleid aus Polyester-Satin wurde übrigen in Tintenstrahldruckverfahren hergestellt.
Arcimboldo lässt grüßen
Kennt ihr die zu Kunst gewordenen menschlichen Obstkörbe von Arcimboldo? Opulenz und ausladende Üppigkeit kennzeichnen dieses Modell von Rei Kawakubo. Man glaubt tatsächlich, vor einem Werk von Giuseppe Arcimboldo zu stehen, jenem Renaissancekünstler, der menschliche Gesichter aus Obst und Gemüse gestaltete. Wundert es euch, dass die Designerin bildende Kunst studiert hat?
Kunst und Mode
Meisterwerke der Kunstgeschichte finden sich auf Accessoires und Kleidungsstücken wieder. OK, manches ist grausamer Kitsch. Auch wenn Jeff Koons den Da Vinci-Rucksack gestaltet hat – ich kann kaum hinsehen! Die Grenzen zwischen Kunst und Mode sind fließend. Kunstgalerien und Museen sind Orte gesellschaftlichen Austauschs und Modemarken nutzen gerne Museen zur Präsentation ihrer Kollektionen.
Franco Moschino mag Teddybären
Franco Moschino war offensichtlich ein großes Spielkind. Er forderte, dass Mode vor allem Spaß machen solle, und verzierte gerne die Kragen seiner Kreationen mit kleinen Teddybären. Dieses Kleid von Jeremy Scott ist eine Hommage an den bereits 1994 verstorbenen Modeschöpfer. Die Plüschbären sind durch Pappbären ersetzt.
Ganz groß: Coco Chanel
Coco Chanel ist eine der ganz großen der Damenmode des 20. Jahrhunderts. Sie erfand das ´kleine Schwarze´, einen Klassiker von zeitloser Schönheit. Ihre Kostüme waren eine weibliche Antwort auf den klassichen Herrenanzug. Eher kastenförmig geschnitten, dafür bequem und mit einem hohen Maß an Bewegungsfreiheit. Zunächst fielen die Modelle bei der Modepresse durch, aber die Trägerinnen waren angetan und machten das Kostüm zum modischen Muss.
Die Modewelt hat das Chanel-Kostüm in zahlreichen Variationen weiterentwickelt – im Hause Chanel ist man sich jedoch treu geblieben. Der Schnitt bleibt gleich, nur mit Material und Farben wird variiert.
Wie werde ich gesehen?
Das Fotoprojekt des Niederländers Hans Eijkelboom geht der spannenden Frage nach, ob wir mit unserer Kleidung wirklich unsere Individualität ausdrücken oder ob wir vielmehr die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der wir leben, darstellen.
Seit fast 30 Jahren ist Eijkelboom in den Einkaufsstraßen der Welt unterwegs, die Kamera mit leistungsstarkem Teleobjektiv immer dabei. Wenn ihm ein wiederkehrendes Motiv auffällt, dann macht er innerhalb weniger Stunden so viele Fotos wie möglich. Sollte unsere vermeintliche Individualität etwa nur eine große Illusion sein?
Yasumasa Morimura will für sich keine Individualität. Im Gegenteil: er schlüpft gerne in fremde Rollen. Aus der Ferne glaubt man tatsächlich, die Fotos zeigten Audrey Hepburn, Marilyn Monroe und Marlene Dietrich – so echt wirkt die Pose.
Punk – die letzte modische Schockwelle
Vivienne Westwood gilt als wichtige Impulsgeberin der Punkbewegung. Sie machte 1970 das Schottenkaro zum Dress Code der Subkultur. Herrlich, der Name ihres Labels!
Auch die Bikerjacke gilt als Symbol des jugendlichen Rebellen. Ursprünglich als strapazierfähige Bekleidung für Motorradfahrer konzipiert und in der Subkultur des Punk fest verankert, entwickeln moderne Designer sie, versehen mit ihrer ganz eigenen Handschrift, weiter.
Undercover
Eine Reminiszenz an Vivienne Westwood ist auch das Werk des japanischen Designers Jun Takahashi vom Label Undercover. Das Karomuster verweist auf die Punkkultur, und auch die lila und pinkfarbene Version kann als Verneigung verstanden werden.
Wilder Gucci-Mix
Mit der Herbst / Winter-Kollektion 2018 treibt es Chefdesigner Allessandro Michele ganz schön bunt! Ein wilder Mix aus Farben und Mustern. Das Zufallsprinzip ist hier nur simuliert.
Punk-Blumen
Düstere Punkelemente, kombiniert mit einem fröhlichen Blumenmuster – das Outfit ist eine Kreation von Junya Watanabe von Comme des Garçons in Zusammenarbeit mit dem finnischen Label Marimekko. Man muss schon genau hinsehen, um den asymmetrisch geformten Rock auch als Rock zu erkennen.
Snoopy!
Habt ihr früher auch immer die Snoopy-Cartoons in der Zeitung angeschaut? Hier ist Snoopy Teil eines Freizeitanzugs, der an die wilden Farben der 1970er und 1980er Jahre erinnert. Im Muster des Anzugs kann man sich verlieren wie in einem Bild von M.C. Escher. Dazu kommen Blumen, Drachen und Verzierungen.
Valentino mag´s sportlich
im Hause Valentino liebt man in der Sommersaison lässige Eleganz. Nur das Hemd ist ein klein wenig formell – alle anderen Elemente zeichnen sich durch einen sportiven Stil aus.
Real Fashion Nipponica
Der japanische Fotograf Kyoichi Tsuzuki dokumentiert die Eigenheiten seiner Landsleute. Ursprünglich war der Kimono das einzige Kleidungsstück, und je nach der gesellschaftlichen Stellung seines Trägers unterschied sich lediglich die Ausführung. Vor rund 100 Jahren wurde diese Tradition über den Haufen geworfen und westliche Mode galt fortan als das Nonplusultra. Tsuzuki interessiert sich für den durchschnittlichen Japaner und seinen Kleidungsstil.
Eine spannende Ausstellung, die Mode zwischen zwei Polen zeigt: zwischen Individualismus und dem Konformismus. Die Wahl unserer Kleidung wird zum kommunikativen Spiel, das ein neues Verständnis für unseren Umgang mit der Mode geben soll – was wir mit ihr ausdrücken möchten, ob bewusst oder unbewusst, und was sie täglich für uns bedeutet.
Was mich überrascht hat, das ist der enorme Anteil, den japanische Modeschöpfer am heutigen Modebetrieb haben. In meiner Vorstellung werden Modetrends in Paris oder Mailand gesetzt… Wie schön: jeder Besuch im Museum macht schlauer!
Die Ausstellung in der Bundeskunsthalle ist in Zusammenarbeit mit dem National Museum of Modern Art, Kyoto, und dem Kyoto Costume Institute entstanden. Sie ist erstmals außerhalb von Japan zu bewundern. Noch bis zum 12. September 2021 ist sie in Bonn zu sehen – es lohnt sich!
Neugierig geworden?
Falls ihr euch über die Bundeskunsthalle informieren wollt, so klickt einfach hier. Im App-Store könnt ihr euch zur Vorbereitung eures Besuchs die Audioguide-App herunterladen. Alternativ können die Texte auch in aller Ruhe zuhause nachgelesen werden. Die Ausstellung bietet auch einiges für das Kind in euch: man kann sich digital verkleiden. Ein Wisch durch die Luft, und schon habt ihr euer Outfit gewechselt.