Im Frühjahr, sobald die ersten Blüten sich zeigen, zieht es mich regelmäßig nach Seligenstadt – genauer: in den wunderschönen Klostergarten der ehemaligen Benediktinerabtei. Eine halbe Stunde Fahrt braucht es von Frankfurt aus, um in den Ort zu kommen, von dem aus man über den Main hinweg nach Bayern schauen kann. Der Main ist hier recht schmal, und viele Radler oder Spaziergänger setzen mit einer Fähre über. Oder man beobachtet von einer Terrasse aus das Treiben.
Der Klostergarten
Der Klostergarten der ehemaligen Benediktinerabtei Seligenstadt hat zu jeder Jahreszeit seinen ganz eigenen Reiz. Die Obstbäume stehen Spalier, es blüht überall und neben all den Blumen und Arzneikräutern im Heilgarten finden sich auch Nutzpflanzen wie der Kohl – neben Getreide eins der Hauptnahrungemittel der Mönche.
30.000 Quadratmeter groß ist der Konventgarten. Und der Garten befindet sich in stetem Wandel. Er sieht bei jedem Besuch etwas anders aus, so dass sich das Wiederkommen auf jeden Fall lohnt.
Das Kloster in Seligenstadt wurde im Jahr 828 gegründet und dann rund 1.000 Jahre nach den Regeln der Benediktiner geführt. Gründer war ein langjähriger Berater von Karl dem Großen mit Namen Einhard. Der suchte eine Unterkunft für die Reliquien der Heiligen Marcellinus und Petrus, die er in Rom entwendet hatte. Er brachte sie zunächst nach Michelstadt, wo die Reliquien sich aber offensichtlich nicht wohlfühlten, so dass er schließlich in Seligenstadt eine Basilika bauen ließ. Sie ist bis heute eine der größten erhaltenen karolingischen Kirchenbauten nördlich der Alpen.
Auch in Frankreich ist Einhard übrigens bekannt, denn er war von 816 bis 823 Abt des Klosters Saint Wandrille im Seinetal. Wer weiß, warum er Frankreich verließ.
Die alte Prälatur
Am Museum war ich bisher tatsächlich immer vorbeigelaufen und hatte lediglich die Fassade fotografiert. Warum in ein Museum gehen, wenn man bei schönstem Wetter den Klostergarten genießen kann? Was für ein Fehler!
Im oberen Stockwerk der Prälatur zeigt sich die ganze weltliche Pracht des Kaisersaals mit Wohn- und Schlafapartment. Es handelt sich tatsächlich um Gästezimmer für den Kaiser, denn die Abtei war dem Mainzer Erzbischof gegenüber zur Aufnahme hochgestellter Gäste verpflichtet. 1711 zum Beispiel hielt sich Karl VI mit seinem Gefolge hier auf – der Weg nach Frankfurt war weit.
Man darf das Museum nur im Rahmen einer Führung betreten, und es gibt auch keine kleinen Täfelchen mit Erläuterungen zu den Objekten. Volle Konzentration auf die Pracht vergangener Zeiten!
Das Zentrum der Macht
Vom Schreibtisch des Abtes im Vorzimmer des Kaiserapartments aus wurde der Konktakt zur Außenwelt gehalten. ‚Ora et labora et lege‘ – Bete und arbeite und lies, das sind die Ordensregeln der Benediktiner. Der Orden wurde von Benedikt von Nursia im Jahr 529 in Italien gegründet und gilt als ältester Orden des westlichen Ordenslebens. Es ist ein kontemplativer Orden, bei dem neben dem Gebet in Gemeinschaft und die Arbeit den Rhythmus des täglichen Lebens bestimmt.
Demut und Meditation – das kann man auch an diesem Schreibtisch des Abtes erahnen. Die Karaffe ist übrigens ein ganz bemerkenswertes Objekt dank des integrierten Weinkühlers – hier konnte man Eiswürfel einfüllen. Da stand dann auch der Kontemplation nichts mehr im Wege….
Ich liebe Schreibtische, und zwar quer durch alle Epochen! Edles Schreibgerät findet sich auf dem kleinen Arbeitstisch in den Privaträumen des Abtes. Aufgeschlagen liegen die Regeln des Benediktinerordens. Die Ausstattungsstücke in der Prälatur sind keine Originale, da nach der Säkularisierung alles verscherbelt wurde. Die ausgestellten Objekte stammen jedoch alle aus der Epoche.
Der Wandschmuck im Kaiserapartment ist prachtvoll gestaltet. Die Gemälde sind leider keine Originale, aber das mindert in keiner Weise die Freude des Betrachters. Auch das Schlafgemach ist opulent gestaltet. Neben dem Kopfteil des Bettes lohnt es sich, die Fensterscheiben einmal ganz genau anzusehen: hier hat sich ein napoleonischer Soldat im Glas verewigt.
Fast 1000 Jahre wirkten die Benediktiner in Seligenstadt und in dieser Zeit wurde die Abtei beständig erweitert und umgebaut. 1803 setzte Napoleon dem Treiben ein Ende, indem er die Säkularisierung des Klosters erzwang. Es wurde der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt einverleibt und Beamte zogen ein. 1948 schließlich übernahm die Verwaltung der staatlichen Schlösser und Gärten In Hessen die Gebäude und kümmert sich seither um Erhalt und Sanierung der Anlage.
Eine Nacht im Kloster
Wer möchte nicht in diesem schmucken Gästezimmer übernachten? Klar, ich bin durch den Tourismus vorbelastet, aber die Gästezimmer für hochrangige Besucher von Kloster Seligenstadt haben tatsächlich sehr viel Charme. Recht schlicht gehalten, aber durchaus komfortabel.
Es muss nicht immer der Kaiser sein – auch andere hochgestellte Personen fanden in Kloster Seligenstadt eine Herberge. Und auch an der Ausstattung dieser ‚einfachen‘ Gästezimmer kann man den Reichtum der Abtei ablesen.
Die Bibliothek – Reichtum und Macht der Abtei
Ich liebe Bibliotheken und die im Kloster Seligenstadt ist ein ganz besonderes Prachtstück. Es handelt sich um eine reine Repräsentationsbibliothek – es gab keine Regale für die Bücher, diese wurden vielmehr auf Pultschränken ausgestellt. Als das Kloster aufgelöst wurde, ging der Bestand von rund 5.500 Büchern in die Hofbibliothek nach Darmstadt. Auch das rund 1.200 Jahre alte Seligenstädter Evangeliar, das von Einhard in Auftrag gegeben worden sein soll.
Die Bibliothek in Kloster Seligenstadt hatte die Aufgabe, Reichtum und Macht der Abtei zu demonstrieren. Die Wände sind reich geschmückt, denn es standen keine Regale davor. Der Pultschrank, der hier zu sehen ist, ist das letzte original Möbelstück der Prälatur.
Die Deckenmalerei stammt aus dem 18. Jahrhundert und wurde 1940 restauriert, wobei jedoch nicht nach den Regeln der Kunst, so wie wir sie heute verstehen, gearbeitet wurde. Trotzdem finden sich anrührende Szenen aus der Welt der Gelehrsamkeit. Eine Welt voller Bücher – das kommt meiner Vorstellung vom Paradies recht nahe.
In einer Ecke der Bibliothek befindet sich eine versiegelte Tür, die extra für uns geöffnet wurde. Einzeln – aus Sicherheitsgründen – durften wir auf eine Brüstung treten und einen Blick in das Herzstück des Klosters werfen – die Küche.
Im Bauch von Kloster Seligenstadt
Die Küche war der zentrale Versorgungsraum für die Abtei. Es gab zwar noch eine zweite, kleinere Küche, aber hier wurde ein Großteil der Arbeit geleistet. Es galt, 25 Mönche zu versorgen sowie das Gesinde und Handwerker – weitere 80 Personen. Dazu kam die Armenspeisung (hierfür gab es eine Außenklappe, durch die Speisen gereicht wurden) sowie die Speisen für Kranke (eine weitere Klappe führte zum Krankensaal) und natürlich Pilger.
Die Küche war der zentrale Versorgungsraum von Kloster Seligenstadt. Zu den Hauptnahrungsmitteln zählten Getreidebrei und auch Bier, es wurde jedoch auch gerne Geflügel in Käfigen gehalten – für Fleisch und Eier.
Das Sommerrefektorium
Ein besonderes Highlight des Besuches ist das Sommerrefektorium in der Abtei Seligenstadt. Im Jahre 1620 wurde der romanische Bau zum Speisesaal der Mönche ausgebaut. Hier wurde allerdings nur im Sommer gegessen, denn im Winter war der Raum, der ursprünglich als Lagerraum konzipiert war, kalt und feucht.
Die üppigen barocken Deckenmalereien – sogenannte Scheinarchitekturmalereien – sind 1725 zur 900-Jahrfeier der Abtei entstanden.
Eine Apotheke für Angeber
Ein ganz besonderer Ort ist die Apotheke der ehemaligen Benediktinerabtei. Seit 1720 gab es hier eine Apotheke, ganz gemäß der Ordensregel, sich um Kranke zu kümmern. Die Apotheke, die man heute sehen kann, ist eine Rekonstruktion mit Gegenständen aus dem Deutschen Apothekenmuseum in Darmstadt.
In der Klosterapotheke wurden Mixturen aus Kräutern oder Kuriositäten wie Kugelfischen oder ähnlichem gemischt, die den Kranken helfen sollten. Sie ist aufgeteilt in drei Räumlichkeiten: die Offizin, d.h. die Werkstatt zur Herstellung von Medikamenten und Verkauf der Mittel, das Laboratorium und die Kräuterkammer. Es handelt sich hierbei um eine Rekonstruktion, die 2002 eröffnet wurde.
Ich habe den Apotheker quasi vor Augen, der hier in der alten Apotheke Kräuter destilliert, Körner zerstösst, Mengen abmisst und Tinkturen mischt.
Eine großartige Inszenierung ist das in der Apotheke von Kloster Seligenstadt! Exotische Zutaten wurden auch gerne einmal gut sichtbar ausgestellt – schließlich konnte man damit Kunden beeindrucken.
Und zum Abschluß…
Wie wäre es zum Abschluß des Besuches mit einem Besuch im Klostershop und mit einem Glas Wein? Hier im Glas ein trockener Silvaner aus der Benediktinerabtei Seligenstadt. Der Klostershop hat ein schönes Sortiment, nicht nur an Weinen. Und ein schöner Platz zu Genießen bietet sich im Hof, unter dem mächtigen Baum.
Offenlegung: In Seligenstadt und vor allem im Klostergarten war ich schon oft, aber tatsächlich hat mich mein erster richtiger Instawalk in die ehemalige Benediktinerabtei geführt. Die Verwaltung der staatlichen Schlösser und Gärten in Hessen sowie Visit Hessen hatten eingeladen und Paul Dylla hat den Walk perfekt organisiert. Mit Instagramern unterwegs zu sein, ist schon – anders. Erster Fauxpas: ich hatte mein Outfit nicht farblich auf den zu erwartenden Hintergrund angepasst. Dauernd stand jemand im Bild, worauf lautstark hingewiesen wurde, und manche Fotos haben etwas länger gedauert, weil akrobatische Verrenkungen notwendig waren, um die richtige Perspektive zu finden… Aber Spaß hat’s gemacht! Alle Ergebnisse des Walks sind unter dem Hashtag #HessenWalkKlosterSeligenstadt zusammengefasst. Informationen über die ehemalige Benediktinerabtei finden sich auf der Website der hessischen Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten.