Die Lage könnte zentraler nicht sein: mitten im historischen Zentrum von Berlin und auf der Spreeinsel hat das Humboldt Forum seit Juli 2021 seine Tore für Besucher geöffnet. Ich habe mir vorgenommen, jeden Berlin-Besuch mit einem Museumsbesuch zu verbinden – nur so wird mir diese Stadt mit ihren enormen Ausmaßen einigermaßen erträglich. Und was liegt näher, als diesen Bau anzuschauen, um dessen Planung und Entstehung sich so viele Diskussionen entzündeten? Ist das Humboldt Forum tatsächlich ein Ausdruck des Berliner Größenwahns und ein weiteres Beispiel für Fehlplanung und Mißwirtschaft? Ich bin neugierig!
Ich komme zu Fuß vom Gendarmenmarkt und sehe zunächst vor allem Baukräne und Baustellenabsperrungen, direkt vor der Rekonstruktion der historischen Kuppel. Staub liegt in der Luft und es wird unüberhörbar gearbeitet. Die Ausmaße des Komplexes werden langsam sichtbar, und ich gehe zunächst an den Außenmauern entlang, um mir einen Überblick zu verschaffen.
Vom Schlossplatz aus, der in Richtung Nicolaiviertel weist, hat man einen Blick auf den Fernsehturm am Alexanderplatz. Ich gehe zunächst an der Fassade entlang zur Spree. Hier sind Terrassen angelegt und die Architektur ist modern. Der Blick auf den Berliner Dom, der ebenfalls eingerüstet ist, wird frei und direkt daneben liegt das prachtvolle Alte Museum. Hier beginnt die Museumsinsel.
Auf historischem Grund
Der Ort, an dem sich heute das Humboldt Forum befindet, steht für die wechselvolle Geschichte Berlins im 20. Jahrhundert, die Ursprünge reichen aber sehr viel weiter zurück. Im 13. Jahrhundert gab es hier erste städtische Besiedlung, bevor Platz geschaffen wurde für ein Dominikanerkloster. 1415 kommen die Hohenzollern in die Stadt und Kurfürst Friedrich II errichtet gegen den Willen der Bevölkerung sein erstes Schloss. Rund 500 Jahre bleibt die Geschichte Berlins mit der Dynastie der Hohenzollern verbunden. Sie stellen zunächst die preußischen Könige, ab 1871 dann auch die deutschen Kaiser. Am Stadtschloss wird beständig gewerkelt und erweitert, bis 1918 das Kaiserreich untergeht. Walter Ulbricht ruft vor dem Schloss die sozialistische Republik aus. Das Schloss wird in den folgenden Jahren vielfältig genutzt, unter anderem als Studentenwohnheim und Suppenküche. Im Zweiten Weltkrieg wird es komplett zerstört und die Ruine findet sich in der russischen Besatzungszone wieder. Die frisch gegründete DDR macht Tabula Rasa und bricht vollständig mit der adligen Geschichte – sie errrichtet den Palast der Republik und damit den Sitz der Regierung. Mit der Wiedervereinigung wird die DDR dann ebenfalls Geschichte; der Palast der Republik ist asbestverseucht und wird abgerissen. Das Humboldt Forum versteht sich heute als ein weltoffener Ort des Austausches, an einem Ort mit wechselvoller Geschichte.
Architektur zwischen Beton und Barock
Das Humboldt Forum erstreckt sich auf einer Fläche von 30.000 Quadratmetern. Die Nord-, Süd- und Westseite des Forums zeigen rekonstruierte Fassaden des barocken Schlosses. An der Ostseite des Forums, zur Spree hin, liegt die modern gestaltete Fassade. Schöpfer dieser kontrastreichen Verbindung ist der italienische Architekt Franco Stella, der 2008 den Architekturwettbewerb gewann.
War es richtig und sinnvoll, mit der DDR-Geschichte so radikal zu verfahren und an alte, vermeintlich glorreiche Hohenzollern-Zeiten anzuknüpfen? 2002 beschließt der Bundestag die Teilrekonstruktion des Berliner Stadtschlosses: drei barocke Außenfassaden, die Kuppel und drei barocke Fassaden des Schlüterhofes sollten rekonstruiert werden. Verschiedene Portale und einige Durchgänge vervollständigen das Bild.
Der Schlüterhof
Der Schlüterhof ist heute das baukünstlerische Herz der Schlossrekonstruktion. Andreas Schlüter hatte im 17. Jahrhundert den ursprünglichen Entwurf des Hohenzollernschlosses gezeichnet. Einst war hier der Ort höfischer Empfänge. Heute kann man hier Architektur bewundern, die einer Großstadt würdig ist. Der Schlüterhof ist rund 50 x 80 Meter groß und zeigt prächtige Fassaden und Portale. Der Platz ist rund um die Uhr zugänglich und Treffpunkt für zahlreiche Veranstaltungen.
Franco Stellas Passage
Eine Passage führt vom Schlossplatz zum Lustgarten – eine Idee von Franco Stella, der hier einen wunderbaren Kontrast zwischen Alt und Neu zeigt und gleichzeitig an Vasaris Architektur der Uffizien anknüpft. Die Passage ist 17 Meter breit und 77 Meter lang, so dass auch hier die Ausmaße eines Platzes erreicht werden. Auch dieser Platz ist Tag und Nacht zugänglich, und hier findet sich der eigentliche Eingang zum Humboldt Forum, zu den Museen und Veranstaltungsräumen, aber auch zum Museumscafé und zum Shop.
Das Foyer – Theater der Gegenwart
Im Foyer ist alles ein bisschen größer, als es sein müsste. Ein enorm großer Kubus mit 35 Metern Seitenlänge und einem durch Stahlkassetten gegliederten Glasdach wird ergänzt durch Pfeilergänge und Galerien. Gegenüber des Eingangs und damit am Westportal blickt man auf das sog. Eosanderportal. Eosander war der zweite große Barockarchitekt des Stadtschlosses.
Im Foyer bekommt man Tickets und hier ist der Treffpunkt für Führungen. Zahlen muss man für den Besuch des Humboldt Forums allerdings nicht. Der Eintritt ist frei (warum eigentlich?), aber aktuell muss man ein Zeitfensterticket buchen, was ich vorab im Internet erledigt hatte.
Ein wirklicher Eyecatcher im Foyer ist der sog. Kosmograf – ein 25 Meter hoher Medienturm mit 15 Projektionsflächen. Aktuell gibt es hier eine ganz eindeutige Positionierung gegen den Irrsinn in der Welt.
Die Namensgeber
Namensgeber des Forums sind die Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt. So wie die beiden Brüder neugierig und offen waren, so will auch das Forum sein. Alexander war dabei der Weltreisende, der sich mit Mensch und Natur befasste, während Wilhelm sich mit Sprachen beschäftigte. Beide sind Vertreter des Zeitalters der Aufklärung und der Wissenschaften, Förderer von Kunst und Kultur, zugleich aber Akteure des kolonialen Europa. Ihrem Wirken ist ein eigenen Ausstellungsbereich gewidmet, den ich jedoch bei meinem ersten Besuch im Humboldt Forum bewusst ausgelassen habe.
Zahlensalat
Findet ihr Zahlen rund um Architektur auch so spannend? Im Gebäude des Humboldt Forums wurden sagenhafte 100.000 Kubikmeter Beton verbaut, dazu 20.000 Tonnen Stahl. Die Konstruktion ruht auf bis zu 40 Meter tiefen Bohrpfählen. Im Inneren kann man mit dem notwendigen Ehrgeiz 1.534 Türen öffnen – hoffentlich alle zu mehr Erkenntnis. Der Strom für die Erleuchtung kommt dabei aus 14.625 Steckdosen.
Das ethnologische Museum
Noch sind gar nicht alle Ausstellungsflächen im Humboldt Forum für das Publikum zugänglich – im Herbst 2022 sollen weitere Flächen für Besucher geöffnet werden. Ich habe mir für meinen Besuch zwei Museen vorgenommen, nämlich das ethnologische Museum und das Museum für asiatische Kunst, und die Fülle der Objekte hat mich schier erschlagen. Rund 20.000 Exponate sind zu sehen.
Im zweiten Stock befindet sich die Sammlung des ethnologischen Museums. Hier sind zahlreiche Objekte aus Afrika, vor allem Kamerun und Namibia, sowie Ozeanien zu sehen, die in Folge der kolonialen Herrschaft nach Europa gekommen sind. Der Blick geht also auf die Ursprungsgesellschaften, die Präsentation setzt sich aber auch mit der Frage auseinander, wie die Objekte in europäische Sammlungen gekommen sind.
Der Besucher taucht zunächst ein in die Weiten des Pazifiks – in eine Region der Welt mit sehr viel Wasser und einigen kleinen Inselchen. Der Pazifik ist hier Teil der Identität; er wirkt nicht trennend, sondern verbindet den Lebensraum. Auf das Luf-Boot weist mich bereits die Museumsmitarbeiterin hin, die meine Eintrittskarte scannt – es hat eine besondere Bedeutung für die Sammlung. Es handelt sich um ein großes Auslegerboot von der Insel Luf, einer Inselgruppe im Bismarck-Archipel im heutigen Papua-Neuguinea. Zwischen 1884 und 1914 wurde diese Region der Welt vom Deutschen Reich kontrolliert. Die Handelsgesellschaft Hernsheim & Co. hatte einen Handelsplatz auf der Insel gegründet, und auf ihre Initiative hin griffen deutsche Truppen die Insel an. Es wurde zerstört, geplündert und getötet, und zahlreiche Objekte gingen an das Berliner Museum für Völkerkunde. Einige Jahre nach dem Angriff begann der Bau des Auslegerbootes, das heute im Humboldt Forum zu sehen ist. 1903 verkaufte Hernsheim & Co. das Boot an das Berliner Museum für Völkerkunde. Wie genau das Boot in die Sammlung gelangte, kann heute nicht mehr einwandfrei belegt werden. Das Boot zeugt einerseits vom künstlerischen und handwerklichen Können und es stößt zugleich eine Debatte über die deutsche Kolonialzeit an.
Was mir besonders gut gefällt: Auch zeitgenössische Kunst findet ihren Platz im Museum. Der angolanische Künstler António Ole verarbeitet in seiner ´Township Wall´ die unterschiedlichsten Materialien. Ich bekomme eine Ahnung von Leben und Kreativität in Luanda, Angola.
Musikalisch geht die Reise weiter, denn der nächste Ausstellungsbereich widmet sich den Klängen der Welt und geht der Frage nach, warum Menschen eigentlich Musik machen. Zahlreiche Musikinstrumente sind zu sehen und ein dreidimensionales Klangerlebnis gibt es im sehr puristisch gestalteten Hörraum.
Die Sammlung des ethnologischen Museums umfasst auch zahlreiche Objekte aus Westafrika: Holzfiguren und Masken, Elfenbeinobjekte oder auch traditionelle Kleidung. Viele Objekte kamen im Rahmen kolonialer Herrschaft nach Europa. Es geht also einerseits um die Gesellschaften, aus denen die Objekte stammmen, andererseits wird die Frage nach den Sammlungsbedingungen gestellt – ein weites Betätigungsfeld für die Forscher des Humboldt Forum.
Das Museum für asiatische Kunst
Im dritten Obergeschoss des Humboldt Forum ist das Museum für asiatische Kunst untergebracht. Hier geht es um Kunst der chinesischen Höfe, um einen Thronsaal bis hin zur Rekonstruktion alter buddhistischer Höhlentempel.
Ich selber habe mit Religion herzlich wenig am Hut, anerkenne aber, dass religiöse Überzeugungen in vielen Kulturkreisen Anlass für künstlerisches Schaffen sind. Diese Darstellung zeigt die erste Predigt des Buddha – eigentlich die Abwesenheit des Buddha, denn zu sehen ist sein leerer Thron. Eine Flammensäule deutet seine Gegenwart an, Anhänger umgeben den Thron, hinter dem auch Dienerfiguren erkennbar sind.
Wenige Schritte weiter wohnen die Besucher der wundersamen und vor allem vollkommen schmerzfreien Geburt des Buddha bei. In dieser pakistanischen Darstellung aus dem 2. bis 3. Jahrhundert flutscht Buddha aus der rechten Hüfte seiner Mutter Maya hervor.
Die indische Religion des Jainismus ist weniger bekannt als der Buddhismus, aber ungefähr genauso alt. Mahavira gilt als der letzte einer Reihe von 24 Lehrern. Bedürfnislosigkeit, Gewaltfreiheit und Meditation – diese Eigenschaften des nackten und stillen Erlösers täten auch manchem Menschen der heutigen Zeit gut. Bombastisch wirkt der Haustempel aus dem Westindien des 18. Jahrhunderts – ein üppiger Rahmen für die Andachten einer wohlhabenden Jaina-Familie.
Der Berg Shatrunjaya mit seinen 300 Tempeln gilt als einer der heiligen Orte des Jainismus. Sehr pragmatisch: ist eine Pilgerreise aus welchem Grund auch immer nicht möglich, dann kann man ersatzweise auch ein Pilgertuch oder einen Pilgerteppich betrachten.
Shivas kosmischer Tanz hält den immerwährenden Kreislauf aus Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung in Gang. Die Sanduhr steht für die Entstehung der Zeit, die Flamme für den Weltenbrand. Eine schöne Vorstellung, dass der Dämon der Unwissenheit unterworfen wird – er ist unter Shivas Fuß liegend zu erkennen.
Das Reittier des Gottes Shiva ist sein weißer Stier Nandin – hier als polychrome Holzfigur aus dem 17. Jahrhundert. Das Reittier ist Shivas treuester Verehrer und zugleich Vermittler zwischen den Gläubigen und ihrem Gott.
Die Hochzeit von Shiva und Parvati zeigt diese südindische Bronzefigur. Der Bräutigam Shiva auf der rechten Seite ergreift die Hand der Braut und der links stehende Vishnu besiegelt als Bruder der Braut die Eheschließung.
Farbenfroh leuchtet das Tempeltuch der Vallabhascharya-Sekte, mit dem in einer Vollmondnacht tanzenden Gott Krishna.
Blau-Weiß steht nicht immer für Bayern, sondern im Humboldt Forum für glasierte Fliesen aus Pakistan. Die Region Sindh wurde im 8. Jahrhundert erobert und in der Folge islamisch geprägt. Die Handwerkskunst gibt es heute noch.
Höfischen Zeitvertreib zwischen Sport und Muse kann man im nächsten Ausstellungsbereich erleben. Es geht in das Reich der Moghuln und die gelungene Verknüpfung von indischer und persicher Kultur. Der Raum ist hier unglaublich großzügig gestaltet und Besucher haben viel Platz, sich zu bewegen und in der Betrachtung der einzelnen Werke zu vertiefen.
Im nächsten Raum schaue ich mich zunächst etwas ratlos um – vielleicht auch ein Zeichen der einsetzenden Erschöpfung. Scheinbar unmotiviert liegen hier große geometrische Formen herum. Es dauert einen Moment, bis ich verstehe, dass hier Nachbildungen buddhistischer Höhlentempel zu sehen sind. Das Leben entlang der zentralasiatischen Karawanenstraßen und die Ausbreitung des Buddhismus sind das Thema – spannend! Unter einer gewaltigen Kuppel sind die Wandmalereien der ´Höhle der 16 Schwerträger´ zu sehen. Entdeckt wurden die Höhlen mit den zwischen dem 5. und 11. Jahrhundert entstandenen Fresken im Rahmen preußischer Expeditionen Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie wurden nach Berlin gebracht und restauriert, dann im Museum für Völkerkunde ausgestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie dann – aus Platzgründen nur teilweise – im Museum für asiatische Kunst in Dahlem ausgestellt.
Weiter geht es mit sakraler Kunst in Ostasien – Meditation und Selbstkontrolle. Bodhisattva mit aufgestelltem rechten Knie befindet sich in seinem persönlichen Paradies. Mein persönliches Paradies läge in diesem Moment direkt vor einer gefüllten Kaffeetasse….
Im Wang Shu Saal kann man eine pagodenartige Holzkonstruktion bewundern, die rund sechzehn Tonnen schwer ist und in vier Metern Höhe zu schweben scheint. Darunter ist ein Kaiserthron mit Paravent zu sehen, aus Palisanderholz mit Einlegearbeiten aus Perlmutt, Gold, Silber und Zinn. Es gibt nur wenige Thronsitze in europäischen Sammlungen, und dieser ist der einzige mit Paravent. Die Unsterblichkeit ist gesichert!
Auch in diesem Ausstellungsbereich ist moderne Kunst zu sehen – in meinen Augen eine sehr schöne Mischung der verschiedenen Zeitebenen. Meine Aufnahmekapazität ist allerdings endgültig erreicht. Es gibt so unfassbar viel zu sehen!
Mein Fazit
Unbedingt anschauen! Nach einigen Stunden am und im Humboldt Forum bin ich vollkommen erledigt, aber glücklich. Es lohnt sich, in das Humboldt Forum einzutauchen, und ich bin der festen Überzeugung, dass ich bei diesem ersten Besuch nur die Spitze des Eisberges gesehen habe. Meine Empfehlung ist, für den Besuch ganz viel Zeit mitzubringen. Man kann durch die Säle schlendern und sich nur die Objekte anschauen oder sich in die Begleittexte vertiefen, was eine wahre Herkuslesaufgabe darstellen wird. All das kann auch nur einen kleinen Einblick in die Forschungsarbeit geben, die hier in Sachen Provenzienzforschung geleistet wird. Ich komme auf jeden Fall wieder, einmal für die Erweiterung des ethnologischen und asiatischen Museums, dann aber auch für die Ausstellung zur Geschichte des Ortes. Und vielleicht fahre ich auch zur Terrasse hinauf, um mir Berlin von oben anzuschauen.
Neugierig geworden?
Falls du mehr über die Architektur des Humboldt Forum oder seine aufregenden Museen wissen willst, dann schau auf der Website vorbei. Die Sammlungen werden auf der Seite digital präsentiert, so dass man die Objekte in bester Ausleuchtung und in aller Ruhe betrachten kann. Das ersetzt natürlich nicht den Besuch vor Ort. Was mir auch sehr gut gefällt: der Pressebereich der Website ist umfassend bestückt und frei zugänglich!