Zieht euch auch Wasser so magisch an? Manchmal muss es ein Spaziergang am Rhein sein, vorbei an der Altstadt und den Kranhäusern in Köln oder etwas weiter südlich an der kölschen Riviera in Rodenkirchen. Aber auch die Städte des Nordens üben einen ganz besonderen Reiz auf mich aus. Schon in Wilhelmshaven war ich vollkommen verzaubert von dem sanften Licht, das für mich so ungewohnt ist. Im Binnenland bin ich eher tagelanges Grau, das mir schnell auf´s Gemüt schlägt, gewohnt.
Es war keine Liebe auf den ersten Blick mit Bremerhaven. Der Weg vom Bahnhof in die Stadt ist nicht weit, aber der Himmel ist grau, es ist kühl und nieselt. Gleichzeitig macht es keinen Sinn, einen Schirm aufzuspannen, denn der würde bei dem ordentlichen Wind gleich weggeweht.
Aber der Regen ist auch so schnell weg, wie er gekommen ist. Es scheint, als werde auch hier mehrmals am Tag schönes Wetter. Am Neuen Hafen tut sich eine neue Welt auf für mich. Wow, was für ein Empfang, Bremerhaven!
Salz liegt in der Luft, Möwen kreischen und immer weht eine ordentliche Brise, die den Himmel blank putzt. Der Schiffbau hat in Bremerhaven Tradition und zahlreiche Werften waren einst an den Ufern der Geeste, einem Nebenfluss der Weser, angesiedelt. Ich merke schnell, dass sich hier alles um Schiffe dreht – um historische Segler, hochmoderne Schiffe und Kreuzfahrtriesen.
Dem Licht entgegen
Hinter dem Deich am Neuen Hafen blickt man noch nicht auf das Meer, sondern auf die Weser, aber der Ausblick ist gleichwohl gewaltig. Und erst dieses Licht!
Am Willy-Brand-Platz auf der Seebäderkaje verweist das Auswandererdenkmal des amerikanischen Bildhauers Frank Varda auf ein Thema, das für Bremerhaven eine ganz besondere Bedeutung hat: Auswanderung. Früher war genau hier eins der Docks, von dem die Auswanderer ihren Weg in die neue Welt angetraten. Und nicht weit entfernt liegt das Deutsche Auswandererhaus – eines der schönsten Museen, das ich kenne. Besucher können hier eine sehr persönliche Reise antreten und auf den Spuren eines ganz konkreten Auswanderers seine Biografie nacherleben.
Auf große Reise
Und wenn ich selbst hier auf eine große Reise ginge? Ok, es wird keine große Reise, sondern eine kleine, auf dem Salondampfer Hansa, mit einer Verabschiedung hart an der Grenze zu Kitsch, aber gleichwohl wunderschön: der Shantychor Bremerhaven singt für uns!
Hier stehen vermutlich mehrere Jahrhunderte Lebenserfahrung am Kai, aber welche Vitalität, welche Lebensfreude schallt hier über´s Wasser? Wunderschön und ein echtes Erlebnis.
Der Chor wurde 1968 gegründet und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerung an die Arbeitslieder aus der Zeit der großen Windjammer wach zu halten. Der Gesang sollte den Seeleuten den Rhythmus geben, der zur immer gleichbleibenden Arbeit an Bord notwendig war. Ich muss an Lasotè auf Martinique denken – der Rhythmus der Musik half einst den in die Freiheit entlassenen Sklaven, ihre Äcker am Steilhang in Gemeinschaftsarbeit zu bearbeiten.
Welle und Wal
Aber zurück in den Neuen Hafen – alte Schiffe gucken. Ich bin zwar alles andere als seefest, aber alte Schiffe schaue ich mir liebend gerne an, und in Bremerhaven gibt es tatsächlich einige Prachtexemplare zu sehen.
Die Welle zum Beispiel ist ein Dampfer aus dem Jahr 1915, mit mächtigem schwarzen Kamin. Der schwarz lackierte Rumpf und Deckaufbauten aus Teakholz sehen sehr gepflegt aus – dieses Schiff steht unter Denkmalschutz. Die nackten Zahlen kann man im Vorbeigehen lesen: 37,36 Meter Länge, 7,2 Meter Breite und 2,9 Meter Tiefgang. Zu seiner Zeit war das Spitzentechnologie: Ein Dampfer mit Doppelschraubenantrieb, der genutzt wurde, um die Baustellen zu erreichen, die im Rahmen der Vertiefung der Weser entstanden. Die Unterweser sollte nach dem Willen der Stadt Bremen für große Handelsschiffe erreichbar und schiffbar sein. Die Welle ist heute das letzte verbliebene Schiff dieser sog. Weserkorrektion.
Ein paar Schritt entfernt liegt ein Wal – ein Dampf-Eisbrecher, Baujahr 1938, der 50 Jahre lang als Eisbrecher auf dem Nord-Ostseekanal genutzt wurde. Der bauchige Rumpf verheißt Stabilität und Sicherheit. In den 1960er Jahren wurde von Kohle auf Öl umgestellt und seit 1990 liegt das Schiff in Bremerhaven. Ein ehrenamtlicher Verein kümmert sich um den Erhalt des Museumsschiffs, das gleichwohl immer wieder auf Törn geht und an maritimen Events entlang der deutschen Küste teilnimmt.
Die Schiffahrts-Compagnie Bremerhaven kümmert sich auch um die Quarantäne – kein Seitenhieb auf die aktuelle Situation, sondern die Barkasse des Bremerhavener Hafenarztes. 1960 wurde die Barkasse gebaut und 40 Jahre lang genutzt. Wenn ein Seemann an Bord eines Schiffes erkrankte oder einen Unfall hatte, dann machte der Hafenarzt sich mit der Quarantäne auf den Weg. Als schwimmende Isolierstation für erkrankte Seeleute musste das Schiff zum Glück nie eingesetzt werden. Und heute kann man es für Ausflugsfahrten chartern.
Ein Mythos: Schulschiff Deutschland
Dieses Schiff ist ein Mythos. Ich weiß nicht, wie viele Bilder ich schon gesehen, wie viele Berichte ich schon gelesen habe über die Schulschiff Deutschland. Und dann komme ich nach Bremerhaven und dieses Traumschiff liegt ganz einfach da im Neuen Hafen und wartet auf meinen Besuch!
Ganz viel Seefahrerromantik verheißt die Schulschiff Deutschland. Das Schiff gilt heute als maritimes Kulturdenkmal – das ehemalige Segelschulschiff der deutschen Handelsschifffahrt ist das letzte deutsche Vollschiff, ein Dreimaster mit 86 Metern Länge und knapp 12 Metern Breite.
Der Bau wurde vom Deutschen Schulschiff-Verein in Auftrag gegeben; die Schulschiff Deutschland war das vierte Ausbildungsschiff des Vereins. Am 14. Juni 1927 fand der Stapellauf in der Tecklenborg-Werft in Wesermünde, heute Bremerhaven, statt. Mit angehenden Matrosen fanden Ausbildungsfahrten statt, im Sommer in der Nord- und Ostsee, im Winter nach Südamerika, auf die Bahamas oder in Richtung Südafrika. Zwölf Überseereisen absolvierte der Segler zwischen 1927 und 1939.
Der Zweite Weltkrieg setzte den Ausbildungsfahrten ein Ende. Durch die Nutzung als Lazarettschiff konnte gegen Ende des Krieges verhindert werden, dass das Schiff als Reparationsleistung an die Alliierten ausgeliefert werden musste. Es diente dann als Wohnschiff für Minenräumdienste und zuletzt als schwimmende Jugendherberge. In den 1950er Jahren wurde die Schulschiff Deutschland zum stationären Schulschiff. Es fanden zwar keine Ausbildungsfahrten mehr statt, doch angehende nautische Offiziere konnten hier ihre praktische Ausbildung absolvieren. 1972 wurde dann auch der stationäre Schulschiffbetrieb eingestellt, aber noch bis 2002 wohnten Auszubildende auf dem Schiff, die in Bremen den Beruf des Schiffsmechanikers erlernten.
Seit dem 26. August 2021 liegt die Schulschiff Deutschland nun im Neuen Hafen in Bremerhaven. Man kann das Schiff besichtigen, hier übernachten, Veranstaltungen durchführen oder auch heiraten. Die Besatzung des Seglers bestand ursprünglich aus acht Offizieren, zehn Unteroffizieren und 140 Mannschaften. Im Zwischendeck stehen 30 Doppelkammern zur Verfügung. In zwei Kojen übereinander wird hier übernachtet. Bettwäsche und Handtücher werden zur Verfügung gestellt, aber das Bauen der Koje ist Aufgabe des Mieters. Luxus sieht anders aus, und auch die Privatsphäre ist begrenzt: Gemeinschaftswaschräume mit Duschen und WC finden sich ebenfalls auf dem Zwischendeck.
Die Kapitänssuite ist da schon luxuriöser. Es gibt den Kapitänssalon mit Originalinventar, die Reederkammer mit Koje und die Kapitänskammer mit Koje und angrenzendem Bad.
Mich fasziniert bei solch alten Seglern immer der Blick nach oben. 25 Segel hat die Schulschiff Deutschland, mit insgesamt 1.950 Quadratmetern Segelfläche. Mein ganzer Respekt gibt all jenen, die hier in die Masten klettern, denn die sind bis zu 52 Meter hoch. Slow Travel gab es auch vor knapp hundert Jahren schon – damals war Langsamkeit noch Standard: maximal 16 Knoten oder umgerechnet 30 Kilometer pro Stunde beträgt die maximale Geschwindigkeit.
Exkurs: Die Duchesse Anne in Dunkerque
Ich hatte euch ja schon berichtet, dass die Schulschiff Deutschland das vierte Ausbildungsschiff des Schulschiff-Vereins war. Im Jahre 1901 wurde als erstes Vollschiff des Deutschen Schulschiff-Vereins die Großherzogin Elisabeth in Dienst gestellt. Die ging nach dem Zweiten Weltkrieg an Frankreich und liegt heute als Duchesse Anne in Dunkerque – in Dünkirchen.
Tatsächlich erinnert mich beim Besuch der Schulschiff Deutschland einiges an die Duchesse Anne. Die beiden Schiffe können ihre Verwandschaft nicht leugnen. Ich musste nachschauen, in welchem Jahr ich in Dunkerque war: 2017.
Nicht nur die Schiffe sind sich ähnlich, auch die beiden Städte. Dunkerque liegt in der Region Hauts-de-France, die immer noch selbst einfleischten Frankreichfans Fragezeichen ins Gesicht zeichnet. Dabei ist die Region mit ihrer flämisch geprägten Kultur ein echter Geheimtipp mit grandiosen Naturräumen, vielen sehenswerten Städtchen, Dörfern sowie Museen und zugleich überschaubaren Touristenströmen.
Und Dunkerque? Lebensfreude pur und eine enorme Gastfreundschaft! Die Stadt ist vielleicht nicht bilderbuchschön und pittoresk, aber hier wird ausgelassen Karneval gefeiert. Die maritime Kultur prägt, und so werden nicht Kamelle, sondern Heringe geworfen. Den Geruch von Muscheln mit furchtbar stinkendem Maroilles-Käse, die ich in Dunkerque gegessen habe, habe ich immer noch in der Nase – köstlich!
Die Duchesse Anne ist heute ein Museumsschiff und das einzige erhaltene französische Vollschiff, benannt nach der Herzogin Anne de Bretagne. Es lag lange Jahre in Brest und Lorient und war schon zur Abwrackung vorgesehen, bis sich auch hier eine Privatintiative bildete, die es als Schulschiff erhalten wollte. Und die Stadt Dunkerque kaufte den Segler schließlich 1981 für den symbolischen Preis von einem Franc.
Heute ist das Schiff ein echter Hingucker im Hafenbecken von Dunkerque. Das 92 Meter lange Schiff mit dem 48 Meter hohen Mast ist ein Teil des Musée Portuaire. Der Besuch lohnt sich!
Im Überseehafen
Zurück von Dunkerque nach Bremerhaven. Der Überseehafen ist das wirtschaftliche Zentrum Bremerhavens. Hier ist Fotografieren größtenteils verboten, so dass ich tatsächlich nur ein einziges Foto von der Tour mit dem Hafenbus mitbringe.
Im Columbus Cruise Center spürt man hautnah, welche Faszination Kreuzfahrtschiffe ausüben können. Einst betrat hier Elvis Presley als GI erstmals deutschen Boden. Daneben gibt es Container-Terminals zu sehen, ein Auto-Terminal und unglaublich große Flächen, voll mit fabrikneuen Autos, die auf den Export warten. Ro-Ro-Anlagen, das Fruchtterminal und das Stückgut-Terminal. Container, so weit das Auge reicht, und dazu die enormen Kräne mit ihren spinnenlangen Beinen. Hier ist gar nichts pittoresk und ein Zweckbau reiht sich an den anderen, aber man hört das wirtschaftliche Herz der Stadt schlagen.
Im Fischereihafen
Ich gebe es zu: seit ich Kind war, esse ich gerne Fischstäbchen. In späteren Jahren hat sich mein Horizont natürlich erweitert und ich habe gelernt, dass Fisch durchaus keine Kastenform hat, aber ich werde nie ein Fischkenner werden, wie es wahrscheinlich jeder Küstenbewohner ist. Im Fischereihafen in Bremerhaven habe ich jedenfalls eine Möglichkeit gefunden, viel Neues zu lernen.
In den 1970er Jahren lagen bis zu zweihundert Fischdampfer hier im Hafenbecken. Bremerhaven ist das Zentrum der Hochseefischerei. Größere Schiffe waren fünf Tage unterwegs, um weiter entfernte Fanggebiete zu erreichen, fischen zehn Tage und machten sich dann auf den Rückweg. Heutige Fabrikschiffe verbringen bis zu zwei Monate auf dem Meer und bringen den fertig verarbeiteten Tiefkühlfisch mit. Dass es hier um weit mehr als nur Fischstäbchen geht, das kann man in der einzigen Fischlehrküche Deutschlands, im Seefischkochstudio lernen und auch gleich verkosten. Ursprünglich wurden hier angehende Hauswirtschaftsschülerinnen unterrichtet – heute kann jeder hier Kurse bei den Botschaftern für den Fisch, wie die Köche sich selbst definieren, buchen.
Das gesamte Gelände des Fischereihafens lädt zum Flanieren ein und es gibt zahlreiche Lokale für die kleine Rast zwischendurch.
Und wo Wasser ist, da ist in Bremerhaven auch ein Museumsschiff nicht weit. Die FMS Gera ist das einzige deutsche schwimmende Hochseefischereimuseum mit der kompletten Ausrüstung eines Seitentrawlers.
Das Schifffahrtsmuseum
Ich muss auf jeden Fall nach Bremerhaven zurückkommen, denn für ein Museum hat meine Zeit leider nicht gereicht: Das Deutsche Schifffahrtsmuseum mit seiner Sammlung maritimer Ausstellungsstücke. Lediglich an den im Museumshafen liegenden historischen Schiffen bin ich vorbeigegangen – auf dem Rückweg in Richtung Bahnhof. Ich kommme wieder, versprochen!
Neugierig geworden?
Wenn ihr neugierig geworden seid auf die Seestadt Bremerhaven, dann schaut doch einmal auf dieser Website vorbei. Vielleicht bietet sich ja auch ein Event wie die Maritimen Tage für einen Besuch an?
Offenlegung
Im Rahmen der Jahreshauptversammlung 2021 der VDRJ, der Vereinigung deutscher Reisejournalisten, durfte ich Bremerhaven entdecken. Ich bin Mitglied des PR-Kreises des Verbandes. Dörte Behrmann, die Pressesprecherin von Erlebnis Bremerhaven, hat mich in die Seestadt gelockt und mir all die großartigen maritimen Erlebnisse bereitet. Vor meiner Reise hatte ich kein präzises Bild von Bremerhaven, aber ich bin fasziniert von der Lebendigkeit der Stadt und den zahlreichen maritimen Entdeckungen, die man hier machen kann, nach Hause zurückgekehrt. Ich komme garantiert wieder und miete mir ein Fahrrad, um mir noch mehr frische Meeresbrise um die Nase wehen zu lassen! Die beschriebenen Eindrücke sind wie immer meine eigenen.
Monika, was ein toller Bericht, absolut faszinierend. Tolle Photos, man möchte gleich losfahren.