So oft ich auch schon in Marokko war, bei einer Sache war ich mir immer ganz sicher: ich wollte nie nach Agadir. Vor meinem inneren Auge erschien immer sofort ein ziemlich grelles und abschreckendes Bild: Er, mit Schnäuzer, Stiernacken und Schmerbauch, dazu weiße Tennissocken in den Sandalen, die Haut krebsrot verbrannt. Ich und Sonnencreme? Nie im Leben! Und sie: schon moppelig um die Hüften, das Top etwas zu eng und die Stimme etwas zu schrill, dazu eine knallbunte Sonnenbrille und klirrender Modeschmuck. Dazu gerne noch ein paar lärmende und vorlaute Gören im Schlepptau. Und dass am frühen Morgen mit Handtüchern die schönsten Liegen rund um den Pool reserviert werden, das läuft unter Frühsport. Agadir als Traum der Pauschaltouristen, die am liebsten auch in der Ferne Wiener Schnitzel und Hämmchen serviert bekommen, und gleichzeitig meine ganz persönliche Horrorvorstellung. So hatte ich das Land bisher nicht kennengelernt und so wollte ich es auch nicht kennenlernen.
Doch dann kam es plötzlich ganz anders. Wir hatten uns nicht rechtzeitig um Flüge gekümmert und es gab nur noch vollkommen überteuerte Tickets, Direktflüge schon gar nicht. Eigentlich wollten wir nach Casablanca, aber plötzlich standen nur noch die Flughäfen von Marrakech und Agadir zur Auswahl, das Package aus Flug und Hotel günstiger als das Flugticket alleine, und da wir unbedingt Meer sehen wollten, fanden wir uns mit einer Buchung für Agadir wieder.
Was soll ich sagen? Es war gar nicht so schlimm, im Gegenteil. Es wurde sogar sehr schön. Agadir ist eine Hafenstadt am Atlantik, im Süden Marokkos, rund 500 km von Casablanca entfernt. Ursprünglich war der Ort eine portugiesiche Gründung und wurde später von den Saadiern erobert – doch von dieser Pracht ist nicht mehr viel zu sehen, denn Agadir wurde 1960 durch ein schweres Erdbeben fast komplett zerstört. Diesem Neuanfang ist es zu verdanken, das Agadir heute die europäischste Stadt Marokkos ist.
La mer!
Das Schönste an Agadir ist ohne jeden Zweifel das Meer – der Atlantik mit seinen angenehmen Temperaturen und Fischschwärmen schon in Ufernähe. Die Wellen entwickeln eine tolle Wucht, bevor sie am Ufer sanft auslaufen. Der feine Sandstrand bietet ganz viel Platz für Strandläufer, Fußballspieler oder Sandburgenbauer. Zahlreiche internationale Hotels befinden sich in schönen Gartenanlagen direkt am Wasser, und sie sind von der Wasserkante nur durch die Uferpromenade getrennt. Am Strand sind private Bereiche für die Hotelgäste abgegrenzt. Hier gibt es Personal, das Strandliegen und Sonnenschirme bereit hält. Die Hotels verfügen natürlich über eigene Schwimmbäder, so dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden kann.
Mein Tipp: sucht euch ein Hotel, das etwas entfernt vom ummittelbaren Zentrum liegt. Dann könnt ihr das Meer genießen, habt aber nicht den Trubel direkt vor der Tür.
Das Besondere an Marokko sind zweifelsohne die Menschen. In Agadir sieht man ganz deutlich, vielleicht deutlicher als in anderen Städten, wie sehr das Land vom Tourismus abhängt. Der 11. September war ein einschneidendes Ereignis, denn plötzlich bekamen viele Menschen Bedenken, in islamische Länder zu reisen, mochten Strand und Meer auch noch so verlockend und die politische Situation stabil sein. Dies erklärt vielleicht, warum die Hotels in Agadir heute nicht mehr fest in deutscher Touristenhand sind, sondern eine sehr gemischte Gästeschar beherbergen, mit Gästen aus Marokko und ganz Europa sowie vielen arabischen Ländern. Für mich hat das sehr gemischte Publikum den Aufenthalt sehr viel angenehmer gemacht.
Und dann die Straßenhändler! Sie sind überall unterwegs: mit süßen Leckereien, Kaffee und Badetüchern am Strand, mit Schmuck oder Kunstwerken auf der Strandpromenade. Die Verhandlungen mit den arabischen Händlern sind ein amüsantes Spiel. Ein sehr langwieriges Spiel, das oftmals über Tage geht. Man schaut sich Dinge an, sucht – ganz der kritische Europäer – nach schadhaften Stellen, um den Preis drücken zu können, und gerät ins Schwätzen. Die Händler sind wahre Sprachgenies, die sich scheinbar mühelos zumindest einige Brocken der Sprache der verschiedenen Nationalitäten angeeignet haben. Wir haben einige getroffen, die als Gastarbeiter in Deutschland waren und, nachdem sie lange zurück in der Heimat sind, die großen Spieler der Fußballbundesliga immer noch nicht vergessen haben. Aber auch mehr und mehr schwarze Händler arbeiten in Agadir – der Druck aus Schwarzafrika und die Migrationsbewegung in Richtung Europa wird hier deutlich. „Fragst du Ali Baba! Ali Baba zahlt.“ – so optimistisch war der Straßenhändler, der direkt an unserem Hotel Schmuck anbot. Leider sah mein Ali Baba das nicht ganz so, aber wozu verdient man eigenes Geld?
An der sechs Kilometer langen Strandpromenade befinden sich viele Cafés und Restaurants, auch die Filialen einiger europäischer Ketten, die kein Mensch braucht. Wir haben hier sehr schnell unsere Lieblingsorte für den Kaffee am späten Vormittag gefunden. Tagsüber ist auf der Promenade nicht allzu viel los, aber spät abends sind hier Himmel und Menschen unterwegs, nicht nur europäische Touristen, sondern auch viele arabische Familien. Aus manchen Restaurants schallt Live-Musik auf die Promenade hinaus – arabische Popmusik, aber auch französische Chansonklassiker.
Die Marina von Agadir
Ein Ort in Agadir scheint ein wirklicher Geheimtipp zu sein, denn hier sahen wir nicht einen einzigen europäischen Touristen: die Marina von Agadir, die 2007 eröffnet wurde und als eines der bedeutendsten touristischen Projekte in Marokko gilt. Ein sehr schicker Yachthafen mit 65 Liegeplätzen, fast europäisch anmutend. Die Architektur rundherum ist strahlend weiß und sehr modern, und es gibt einige luxuriöse Boutiquen und Cafés sowie Appartments.
Wer mag, der kann mit dem Piratenschiff ´Jack Sparrow´ eine Tour entlang der Küste unternehmen. Dass der Atlantik nicht die Karibik ist – geschenkt.
Wir fanden es reizvoller, das Hafenbecken zu umrunden. An den Booten und Stegen konnten wir uns kaum sattsehen. So viel strahlendes Blau und Weiß!
Souk El Had
Das Shoppingparadies in Agadir liegt einige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und ist gut hinter sechs Meter hohen Mauern versteckt. Ahnunglose Touristen merken nur am großen und leicht chaotischen Parkplatz direkt an der Hauptstraße, dass es hier etwas Besonderes geben muss. Durch 13 Eingänge findet man Zugang zum Marktgelände. Natürlich gibt es auch eine Moschee sowie Cafés und kleine Restaurants.
Der Markt ist nicht so pittoresk wie der von Marrakech oder Fès, sondern wirkt sehr viel moderner und luftiger. Rund 2.000 Händler bieten hier auf sagenhaften 13 Hektar Fläche ihre Waren feil – damit ist der ´Sonntagsmarkt´, so die Übersetzung des Namens, einer der größten Märkte in Marokko. Man bekommt hier einfach alles, von landwirtschaftlichen Produkten der Souss-Ebene und Gewürzen über Textilien inklusive gefälschter Markenware bis hin zu Schmuck und Kunsthandwerk.
Das Museum für Berberkunst
Museen sind Orte, die mich magisch anziehen und das gilt natürlich auch, wenn es 35° warm ist. „Musée du Patrimoine amazigh“, so lautet der Name des städtischen Museums für Berberkunst. Die Sammlung zeigt Schmuck, traditionelle Kleidung und Werkzeuge und bringt dem Besucher die Kultur der Berber rund um Agadir näher. Der normale Tourist interessiert sich vermutlich kaum für die Tatsache, dass es verschiedene Bevölkerungsgruppen in Marokko gibt. Die Berber sind die eigentlichen Ureinwohner, die ab 664 durch die arabische Eroberung verdrängt wurden. Heute bemüht man sich um Gleichberechtigung und mehr und mehr ist auch die Berberschrift im Straßenbild zu sehen.
Das Museum wurde im Jahr 2000 eröffnet, also genau 40 Jahre nach der Zerstörung der Stadt. Heute wirkt es etwas in die Jahre gekommen, ist aber dennoch sehenswert. Und der Eintritt ist wirklich spottbillig: umgerechnet einen Euro muss man zahlen.
Abends sitzen wir am Meer, um noch einmal den Sonnenuntergang auf uns wirken zu lassen. Es gibt Schlimmeres, oder? Morgen geht es weiter, Richtung Casablanca.