Kennt ihr das auch? Manchmal entscheidet allein ein Museum darüber, dass ihr eine Reise antretet. Mir ging es so, als ich durch Zufall ein Foto des Groninger Museums sah. Ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Architekturelementen, der in allen Farben und Mustern leuchtet – ganz so, als habe das Kind im Architekten all seine Bauklötzchen in die Luft geworfen. Jetzt war ich in Groningen, um mir das Haus und die Sammlung einmal anzusehen.
Das Museum Groningen gilt als eines der bedeutendsten Museen im Norden der Niederlande und beherbergt Schätze von der Steinzeit bis in die Gegenwart. Unglaublich spannend ist aber vor allem auch die Architektur – und ganz sicher auch nicht unumstritten.
Die Museumsmacher
Gegründet wurde das Groninger Museum bereits 1874, doch der ursprüngliche Bau platzte irgendwann aus allen Nähten und genügte den Erwartungen der Besucher nicht mehr. Im Jahr 1987 fiel der Stadt Groningen ein Geldgeschenk in Form von sagenhaften 25 Millionen Gulden in den Schoß. Der Geldregen machte den Bau eines funkelnagelneuen Museums möglich, das 1994 von Königin Beatrix eingeweiht werden konnte.
Der damalige Museumsdirektor Frans Haks wählte den italienischen Designer Alessandro Mendini als Architekten aus. Mit einer Werkschau versuchte Haks 1988 die Einwohner Groningens und vor allem auch die Politiker von den Qualitäten Mendinis zu überzeugen – aus dieser ersten Zusammenarbeit entstand eine künstlerische Seelenverwandtschaft, deren Ergebnisse man heute in Groningen bewundern kann.
Alessandro Mendini ist ein typischer Vertreter der Postmoderne. Es gibt keine Hierarchie zwischen künstlerischen und kulturellen Ausdrucksformen, und die verschiedensten Disziplinen lassen sich in seinem Verständnis ohne Weiteres miteinander verknüpfen, um etwas ganz Neues daraus machen.
Die Verzierung der Umgebung ist für Mendini Teil der menschlichen Natur. All die bunten Elemente am Museum sind eine Abgrenzung von der unpersönlichen Produktion der Funktionalisten. Alles und jedes ist hier individuell gestaltet.
Mendinis Ansichten führten ihn zwangsweise zu Kooperationen mit anderen Künstlern, Designern und Architekten. In Groningen sind drei Gastarchitekten mit eigenen Pavillons beteiligt, nämlich der italienische Designer Michele de Lucchi, der Franzose Philippe Starck und das Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au. Dazu kommen noch einige niederländische Architekten und Designer, und auch Nachwuchskräfte kommen zum Zug.
Auf der Museumsinsel
Wer mit dem Zug in Groningen ankommt und in die Innenstadt möchte, der durchquert ein blaues Tor, das an einen Magneten denken lässt, und läuft unweigerlich über die bunte Museumsbrücke. Unmengen von Fußgängern und Fahrradfahrern sind hier unterwegs, und ich kann nur nach und nach all das wahrnehmen, was ich vor Augen habe.
Das Museum Groningen hat die Adresse Museumeiland 1 und tatsächlich liegen drei sehr unterschiedliche Baukörper wie eine langgestreckte Insel im Wasser. Am augenfälligsten wirkt ein goldgelber Klotz. Links findet sich ein großer Rundbau, rechts wird es sehr bunt und scheinbar ungeordnet.
Eine Skulptur als Wegweiser
Eine Piazza mit einer auffälligen Skulptur lässt mich innehalten. Hier geht es zum Eingang des Museums. Die Skulptur ist nicht nur schön bunt – sie dient zugleich als ein Wegweiser, ein aufrecht gestelltes Modell des Gebäudekomplexes. Der Kopf der Figur mit einem Smiley als Gesicht – das ist der Pavillon von Philippe Starck, den man – vom Bahnhof kommend – auf der linken Seite sieht.
Der goldene Turm
Der goldene Turm bildet das Herzstück des Museums. Hier befindet sich der Eingang und die Besucher werden in die verschiedenen Bereiche des Museums gelenkt und können in Richtung Museumsshop oder Café abbiegen. Nach dem Entwurf von Mendini bekommt hier das Museumsdepot ganz besondere Aufmerksamkeit. Die Schätze des Museums werden nicht vor den Augen der Besucher im Keller verborgen, sondern überragen deutlich von allen Seiten sichtbar das Museum und die Stadt. Die goldene Farbe kann zudem als Hinweis auf den Wert dieser Kulturschätze gedeutet werden.
Eingangsbereich und Wendeltreppe
Im Eingangsbereich fällt sofort eine Lichtskulptur ins Auge, aber der eigentliche Hingucker ist eine Wendeltreppe, die hinunter in den Ausstellungsbereich führt. Mendini führt die Besucher nicht hinauf in die Höhen der Kunst, sondern hinab auf die Wasserebene. Die Wendeltreppe ist aus unzähligen bunten Mosaiksteinen gestaltet. In ihrer Mitte und zugleich in der Mitte des Gebäudes findet sich eine Säule mit einer Kristallkugel – das größte Objekt, das je von Swarovski gestaltet wurde. Ich werfe einen Blick in die Glaskugel und frage mich, welche Überraschungen der Museumsbesuch wohl für mich bereit hält.
Der Mendini-Pavillon
Im östlichen Teil des Museums befinden sich die Räume für Wechselausstellungen. Der Mendini-Pavillon fällt durch seine Buntheit auf. Von außen ist er mit dem sog. Proust-Motiv verkleidet. Dieses Muster setzte Mendini erstmals 1979 bei seinem opulenten ´Sessel für Proust´ ein. Mal keine Inspiration durch den Duft frisch gebackener Madeleines, sondern eine Anspielung auf ein pointillistisches Gemälde, das bei Proust an der Wand hing. Mendini vergrößert einen Ausschnitt eines Signac-Gemäldes, gestaltet zunächst einen Sessel daraus und später diesen Museumspavillon. Man muss das Rad tatsächlich nicht immer neu erfinden.
Die Räume zweier Stockwerke sind nach dem gleichen Grundriss angeordnet und folgen den Prototypen der ersten Museen. Insbesondere Karl Friedrich Schinkels Entwurf des Alten Museum von 1823 in Berlin lässt grüßen. Ein größere Mittelsaal wird an drei Seiten von kleinen Sälen umgeben – der Besucher wird logisch durch die Räume geführt.
Der Pavillon von Coop Himmelb(l)au
Mit dem Pavillon des österreichischen Architekturbüros Coop Himmelb(l)au wird es chaotisch. Er ist wie eine Skulptur dem Mendini-Pavillon aufgestülpt, ragt zum Teil darüber hinaus und wirkt insgesamt schief und ungeordnet. Hier ist nichts mehr harmonisch und symmetrisch. Die beherrschenden Baustoffe sind Beton und Stahl. Hier sind Dekonstruktivisten am Werk – Bestandteile und Materialien bekommen eine neue Bestimmung.
Behind the scenes – 150 Jahre Groninger Museum
Was ist nun aktuell zu sehen im Museum Groningen? Eine spannende Ausstellung wirft anlässlich des 150. Geburtstages des Groninger Museums einen Blick ´Behind the scenes´, hinter die Kulissen, und auf die großen Veränderungen, die diese Institution über die Jahre durchlaufen hat.
Begonnen hat alles mit einer Raritätensammlung, die in der Provinzverwaltung untergebracht war. Groninger Museum für Altertümer der Provinz, so lautete der damalige Name. 1894 öffnete das Museum für die Öffentlichkeit, rund 500 Meter vom heutigen Standort entfernt. Alles drehte sich um Geschichte. Es gab ein Lapidarium, eine Sammlung von Gebäudefragmenten und Grabsteinen. 1994 fand das Museum eine neue Heimat im Mendini-Bau direkt am Wasser. 200.000 Besucher kommen jährlich.
Wie kommt eine Sammlung zustande? Oftmals durch Schenkungen oder Vermächtnisse – hier durch die Sammlungen von Cornelis Hofstede de Groot und Reurt Jan Veendrop. Ersterer war Kunsthistoriker und Kenner der niederländischen Werke des 17. Jahrhunderts – auch wenn seine Zuordnungen nicht immer richtig waren. Veendrop stammte aus einer Familie von Ziegelfabrikanten. Er trug eine Sammlung von Werken der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und des beginnenden 20. Jahrhunderts zusammen.
Auch spannende Geschichten weiß das Museum zu erzählen – zum Beispiel die des ´Frühlingsgartens´. Das Gemälde wirkt klein und unbedeutend, aber es handelt sich um einen echten van Gogh. Das Werk hatte verschiedene Besitzer, bis es durch ein Vermächtnis ins Museum gelangte – um dann 2020 gestohlen zu werden. Drei Jahre später ist es wieder da, in einer großen, blauen IKEA-Tragetasche. Die Geschichte des Gemäldes und des Diebstahls ist als Comic hinter dem Gemälde zu sehen. Die Ausstellungsmacher beweisen viel Humor: auch die blaue IKEA-Tragetasche ist ausgestellt – nicht ohne die Nennung der schwedischen Designer, Marianne und Knut Hagberg, und den Hinweis, dass die Tasche wenig geeignet ist für den Transport von Kunstwerken.
Von der historischen Zunfttruhe bis zum modernen Designerstuhl, von einem silbernen Miniaturlöffel bis zur raumfüllenden Installation, und nicht zu vergessen Zeichnungen und Zeichnungen: Gut 60.000 Objekte umfasst die Sammlung heute, und ein Blick ins Depot zeigt, wie die Werke, die gerade nicht ausgestellt werden, gelagert werden.
Kinder an die Macht – Kinderbiennale
Die Welt zu einem besseren Ort zu machen und zugleich Kinder und Jugendliche für das kreative Schaffen zu begeistern, das ist Ziel der ´Kinderbiennale: A Better Place´. Künstler aus dem In- und Ausland haben gemeinsam mit Kindern große Installationen erarbeitet, die zum Mitgestalten und Weiterentwickeln einladen.
Verbindungswege & Info Center
Auch die Wege, die die einzelnen Pavillons miteinander verbinden, sind ganz eigene Kunstwerke. Die halbrunden Bogenfenster geben den Blick frei auf das Wasser und lassen zugleich an die Stille mittelalterlicher Klosteranlagen denken.
Durchbrochen werden die Wege durch ovale Räume, von denen einer zum Info Center führt. Der Name lässt mich zunächst ratlos zurück. Der Raum wurde erst 2010 von Jaime Hayon gestaltet. Ein immens großer Spiegel an der Decke reflektiert das Wasser, so dass der Raum insgesamt sehr groß und hell wirkt. Er versteht sich als Einladung, die beim Museumsbesuch gewonnenen Erkenntnisse zu vertiefen. Ab in den Informationskokon!
De-Lucchi-Pavillon – Die ständige Sammlung
An eine Backsteinfestung lässt der Pavillon des italienischen Architekten Michele de Lucchi denken – eine Hommage an die Geschichte der Stadt Groningen, denn im 17. Jahrhundert verliefen hier die Befestigungsanlagen.
Heute ist in diesem Pavillon die ständige Sammlung des Museums zu sehen. Die Ahnengalerie Groningens beginnt mit den ersten Portraits der Honoratioren der Stadt, die im 16. Jahrhundert entstanden. Die Portraitmalerei entwickelt sich über die Jahrhunderte, aber auch die Landschaftsmalerei. Torfmoore waren ein wichtiger Pfeiler der Wirtschaft.
Von den Werken der Künstlergruppe De Ploeg – Wobbe Alkema, Hendrik Nicolaas Werkman und Jan van der Zee – hatte ich noch nie gehört. Avantgardistischer Erneuerungsdrang, inspiriert von Expressionisten und De Stijl bringt eine geometrisch-abstrakte Bildsprache hervor.
Bittersüßes Erbe
Was mir gut gefällt: anhand einiger besonders gekennzeichneter Werke wird die koloniale Vergangenheit der Niederlande thematisiert. Hendrik Trip zum Beispiel, dessen Portrait zu sehen ist, war zu Beginn des 18. Jahrhunderts Kaufmann in Niederländisch-Indien und handelte mit Waren, die von Sklaven hergestellt wurden. Kaffee, Tee, Kakao, Zucker und Tabak – als das waren Produkte, die zunächst einer Elite vorbehalten waren, dann ab immer neue Kundenkreise hinzugewannen. In Groningen gab es zwischen 1800 und 1900 mindestens 23 Kolonialwarenläden.
Auch werden einige Gemälde gezeigt, die den Gewohnheiten damaliger Zeiten entsprechend, rassistische Vorurteile zu bestätigen scheinen, und in einen Kontext gesetzt. Ein Werk von Henk Melgers aus dem Jahr 1925 zeigt beispielsweise den um 1902 in Surinam geborenen belgischen Boxer Joe Ralph. Als Preisboxer bestritt er in der ganzen Welt Wettkämpfe, wobei oft schwarze gegen weiße Boxer im Ring standen. Die Stereotypisierung der Schwarzen als Aggressoren war Teil des Spektakels. Ralph sprach sich gegen diese Vorurteile aus, wurde jedoch von den Medien ignoriert.
Ein weiteres Beispiel ist ein Gemälde von Jan Wiegers, Tanzpaar, aus dem Jahr 1930, das früher den rassistischen Titel Bal Nègre trug. Es spielt an auf einen Pariser Tanzclub, der eigentlich Le Bal Colonial hieß und ein Treffpunkt farbiger Franzosen aus der Karibik war. Hier gab es Jazz und Kabarett – und für junge Französinnen Gelegenheit, mit einem schwarzen Mann zu tanzen. Im Geist der Zeit ein Akt der Rebellion, genau wie Bubikopf und ärmellose Kleider. Hier zeigt sich, welche Bedeutung Museen in der Bildungsarbeit haben.
Faszinierende Fotokunst: Erwin Olaf
Eine spannende Neuentdeckung ist für mich die Fotokunst von Erwin Olaf. Er begann in den 1980er Jahren seine Karriere als Fotojournalist, entdeckte aber schon bald die Studiofotografie für sich. Mit einer ersten Serie gelang ihm der internationale Durchbruch. Das Groninger Museum zeigte 2003 eine Retrospektive zu 25 Jahren Arbeit als Fotograf. 2016 entstand eigens für das Museum eine von Auguste Rodins Skulpturen inspirierte Fotoserie.
Der Starck-Pavillon
Auf das Eckige kommt das Runde: der Pavillon von Philippe Starck gibt dem Kunsthandwerk eine Heimat. Sein Entwurf sitzt auf dem De-Lucchi-Pavillon. Die runde Form lässt dabei an eine Töpferscheibe denken, die graue Farbe an Töpferton.
Im Inneren führt eine durchgehende Vitrine den Besucher einmal durch den Raum. Nur: man sieht das nicht, wenn man den Raum betritt. Weiße, luftige Vorhänge bilden kleine, thematische Inseln und lassen den Eindruck eines Labyrinths entstehen. Unverhoffte Einblicke sind inklusive.
Im Museumscafé
Ein enorm wichtiger Raum in einem Museum ist für mich immer das Museumscafé. Und das Café im Museum Groningen lässt in dieser Hinsicht überhaupt keine Wünsche offen – ich wollte eigentlich nie wieder weg, aus diesem urgemütlichen und zugleich bunt-modernen Wohnzimmer. Ich habe selten ein solch liebevoll und mit viel Sinn für´s Detail eingerichtetes Museumscafé gesehen. Das Design stammt von Maarten Baas, der sich 2023 kreativ austobte. Gemütliche Sofas, einladende Sitzgruppen, viel Farbe und der Blick auf´s Wasser. Die Karte bietet warme und kalte Getränke, Gebäck und kleine Köstlichkeiten.
Neugierig geworden?
Falls ihr mehr über das Museum Groningen wissen wollt, dann schaut doch mal auf der Website vorbei – sie ist auch auf Deutsch verfügbar. Das Museum schlägt auch einen künstlerischen Bogen nach Ostfriesland: Freunde und Förderer der Kunsthalle Emden, der Kunsthalle Bremen und des Horst-Janssen-Museums in Oldenburg haben ebenso freien Eintritt wie die des Museum Groningen.
Das hört sich toll an, und sieht fantastisch aus, laut Blog muss man dahin und sich das ganze mal ansehen.
Danke für den detaillierten Einblick. Das Museum steht bei mir auf der Bucketlist für den nächsten Besuch in den Niederlanden….
Der Mensch lebt nicht von Brot allein, sondern braucht Kreativität!