Sanary-sur-Mer – Land des Exils

Traumkulisse: Sanary-sur-Mer und seine bunten FischerbooteTraumkulisse: Sanary-sur-Mer und seine bunten Fischerboote

Sanary-sur-Mer – allein der Name des Ortes klingt wie die Verheißung von Sommer und Leichtigkeit. Das kleine Hafenstädtchen an der Mittelmeerküste verzaubert Besucherinnen und Besucher sofort. Sanary liegt in der Provence, 12 Kilometer westlich von Toulon und rund 60 Kilometer von Marseille entfernt. Das Blau des Mittelmeers, die Farben des Südens und eine wärmende Sonne begeistern mich sofort. Zugleich hat Sanary eine enorme Bedeutung für die europäische Kulturgeschichte: In den 1930er Jahren wurde Sanary-sur-Mer zu einem Ort der Zuflucht für zahlreiche deutsche und österreichische Künstler und Schriftsteller – ein Land des Exils für europäische Intellektuelle.

Angekommen in Sanary-sur-Mer

Angekommen in Sanary-sur-Mer

Ein Spaziergang durch das Dorf

Wir beginnen unseren Spaziergang auf dem Markt im Herzen des Ortes. Hier findet man eine unvergleichliche Farbenpracht und die ganze Vielfalt regionaler Produkte. Wir können uns kaum satt sehen an den kunstvoll aufgetürmten Früchten. Die frischen Feigen werden uns besonders angepriesen, aber auch die Walnüsse sehen unverschämt gut aus. Die Händler bieten Käse und Wurstwaren zur Verkostung an. Verlockung pur!

Auf dem Markt in Sanary-sur-Mer

Auf dem Markt in Sanary-sur-Mer

Am Hafen haben einige Fischer ihre Stände aufgebaut, den Fang des Tages sorgfältig vor der Sonne geschützt. Die Fischer von Sanary sind in der alten Prud´homie des pêcheurs de Sanary-sur-Mer, gegründet im Jahre des Herrn 1792, zusammengeschlossen.

Pointus, die traditionellen Fischerboote in Sanary-sur-Mer

Pointus, die traditionellen Fischerboote in Sanary-sur-Mer

Die traditionellen Boote der Fischer, die im alten Naturhafen festgemacht sind, sind ein farbenfroher Hingucker. Die sog. Pointus zählen zum Kulturerbe des Ortes und bieten eine äußerst malerische Kulisse. In der Adventszeit werden sie gar mit Lichterketten geschmückt.

Auch die Gassen von Sanary-sur-Mer laden zum Flanieren ein. Hier kann man sich in zahlreichen Geschäften mit provenzalischen Spezialitäten eindecken oder in Boutiquen stöbern. Restaurants und Cafés laden zum Verweilen.

 

Die Welt ist eine Bühne – das sieht man besonders rund um den Hafen. Sanary ist ein Paradies für Ruheständler. Viele Menschen der Region, die ihr Arbeitsleben in Paris verbracht haben, kommen im Ruhestand in die alte Heimat zurück. Gepflegte ältere Damen flanieren rund um das Hafenbecken und die Dichte kleiner Handtaschenhunde ist erstaunlich hoch. Ältere Herren halten einen Schwatz, und es fehlen eigentlich nur noch die Boulespieler, um das Klischeebild zu vervollständigen. Aber auch die haben bestimmt irgendwo einen Platz.

Reges Treiben in der Fußgängerzone am Hafen - Sanary-sur-Mer

Reges Treiben in der Fußgängerzone am Hafen – Sanary-sur-Mer

Auch die jüngere Generation hat ihre Orte zum Feiern. Im Restaurant Le Bard´O zum Beispiel, am Strand von Portissol, findet sich am Freitagabend die Jeunesse dorée des Ortes zum Speisen und Feiern ein. Livemusik sorgt für ausgelassene Stimmung und sogleich sieht man die ersten tanzenden Paare. Unbeschwertheit pur.

Sanary-sur-Mer – Land des Exils

Für heutige Besucher ist es kaum vorstellbar, dass das kleine Sanary-sur-Mer in den 1930er Jahren eine ganz andere Bedeutung hat – als die Welthauptstadt des künstlerischen und literarischen Exils. So bezeichnete der Journalist Ludwig Marcuse seinen Wohnort.

Nach Hitlers Machtergreifung im Jahr 1933 und den Bücherverbrennungen verließen zahlreiche Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler Deutschland und suchten Zuflucht im als sicher geltenden Frankreich. Eine Tafel am Office de Tourisme führt all jene auf, die mehr oder weniger lange in Sanary lebten und arbeiteten.

Die Gedenktafel für die Exilanten am Office de Tourisme in Sanary-sur-Mer

Die Gedenktafel für die Exilanten am Office de Tourisme in Sanary-sur-Mer

Dass ausgerechnet Sanary zum Ziel des Exodus der literarischen Elite Deutschlands wurde, ist letztendlich dem Zufall zu verdanken. Sybille von Schoenebeck, später in einer Scheinehe verheiratete Bedford, Kosmopolitin und Schriftstellerin, lebt bereits ab 1926 in Sanary. Sie kommt als 15jährige mit ihrer Mutter an die Côte d´Azur und bleibt bis 1940. Eine lebenslange Freundschaft mit Aldous Huxley, dem Autor von Brave new World, entsteht. Britische Intellektuelle hatten die Côte d´Azur schon in den 1920er Jahren für sich entdeckt; D.H. Lawrence, der Erfinder von Lady Chatterley, lebt in Bandol, quasi eine Bucht weiter. Sybille von Schoenebeck-Bedford wird jedenfalls zum Bindeglied zwischen der britischen und deutschen Kolonie. In den 1950er Jahren schreibt sie in englischer Sprache über die Zeit in Sanary.

Der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe wohnte ab 1930 in Saint-Cyr. Sein Haus wurde zum Anziehungspunkt für Walter Bondy, der eigentlich nach Mallorca wollte, und René Schickele. Von Meyer-Graefe ging so der entscheidende Impuls zur Entstehung der Künstlerkolonie in Sanary-sur-Mer aus. Das Leben war günstig an der Côte d´Azur, allerdings auch längst nicht so komfortabel wie heute.

Traumhafte Architektur und üppige Vegetation - Sanary-sur-Mer

Traumhafte Architektur und üppige Vegetation – Sanary-sur-Mer

Heute lädt ein Rundweg durch Sanary ein, auf den Spuren der Exilanten zu wandeln und ihre Geschichten zu entdecken. Zwei Rundwege werden auf einem Faltblatt vorgeschlagen: ein kürzerer von drei Kilometern durch das Stadtzentrum und ein längerer von acht Kilometern Länge. 21 Stationen sind markiert, allerdings sind alle Häuser im Privatbesitz und keines ist für die Öffentlichkeit zugänglich.

Der Aufstieg auf den Hügel garantiert traumhafte Ausblicke über Sanary-sur-Mer

Der Aufstieg auf den Hügel garantiert traumhafte Ausblicke über Sanary-sur-Mer

Katia und Thomas Mann

Der vielleicht prominenteste Einwohner Sanary ist sicherlich Thomas Mann. Er entstammt einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie aus Lübeck. Nachdem die Familie nach München umgezogen war, heiratet er die einer jüdischen Familie entstammende Katia Pringsheim. Die beiden bekommen sechs Kinder. Für seinen 1901 erscheinenden Roman Die Buddenbrooks wird Thomas Mann 1929 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Später folgen Der Zauberberg, Dr. Faustus und viele weitere Romane und Novellen, die zu dem Besten zählen, was die deutsche Literatur zu bieten hat.

In diesem Haus in Sanary-sur-Mer wohnte der Zauberer Thomas Mann im Sommer 1933

In diesem Haus in Sanary-sur-Mer wohnte der Zauberer Thomas Mann im Sommer 1933

In Sanary-sur-Mer verbringen Katia und Thomas Mann einen Sommer. Im Februar 1933 ist Thomas Mann auf Vortragsreise im Ausland, als eine Hetzkampagne der Nazis seine Heimkehr unmöglich macht. Er geht zunächst in die Schweiz und von dort aus weiter in den Süden Frankreichs. Sein Freund und Münchener Nachbar René Schickele rät ihm, nach Sanary zu gehen. Seine Kinder Erika und Klaus – beide entschiedene Kämpfer gegen Nazi-Deutschland finden dank der Unterstützung von Sybille von Schoenebeck die Villa La Tranquille. Katia und Thomas Mann können hier tatsächlich ein ruhiges Leben führen und leiden keine Not wie andere Exilanten. Sie konnten einen Teil ihres Vermögens vor dem Zugriff der Nazis in Sicherheit bringen und Thomas bekommt zudem Tantiemen seiner ausländischen Verleger. Die beiden behalten ihren gewohnten Lebensstandard bei. Sie genießen das mediterrane Klima, Thomas kann schreiben und organsiert gar gemeinsam mit Lion Feuchtwanger exklusive Lesezirkel.

Gedenktafel für Katia und Thomas Mann in Sanary-sur-Mer

Gedenktafel für Katia und Thomas Mann in Sanary-sur-Mer

Das hoch über dem Meer gelegene Haus, in dem Thomas Mann den Sommer 1933 verbringt, hat den Krieg nicht überstanden, wird aber direkt danach originalgetreu wieder aufgebaut. Bei unserem Besuch wird es gerade erweitert. Wie es sich wohl anfühlen mag, in einem Haus zu leben, das einst Thomas Mann bewohnte?

Das Haus von Liesl und Bruno Frank liegt hoch über dem Meer in Sanary-sur-Mer

Das Haus von Liesl und Bruno Frank liegt hoch über dem Meer in Sanary-sur-Mer

Liesl und Bruno Frank

Nur weinige Schritte von Thomas Manns Haus auf dem Chemin de la Colline befindet sich das Haus, in dem Bruno Frank ab März 1934 lebte – heute die Villa La Coste Rouge. Der Schriftsteller entstammt einer wohlhabenden jüdischen Bankiersfamilie. Seine Frau Liesl ist die Tochter der jüdischen Sängerin Fritzi Massary. Die Franks und die Manns beiden waren schon in München Nachbarn und Freunde. Bruno Frank verlässt Deutschland unmittelbar nach dem Reichstagsbrand und kommt über Stationen in Österreich und in der Schweiz nach Sanary. Zwischen 1935 und 1937 pendeln die beiden zwischen London und Salzburg, bevor sie nach Kalifornien emigrieren. Frank stirbt 1945 in Los Angeles – „an überanstrengten Herzen“ nach der Entwurzelung durch die Emigration, wie Thomas Mann in seinen Tagebüchern schreibt.

Liesl und Bruno Frank - Nachbarn der Manns in München und in Sanary-sur-Mer

Liesl und Bruno Frank – Nachbarn der Manns in München und in Sanary-sur-Mer

Alma Mahler & Frank Werfel

Alma Mahler gilt als die Femme fatale der Wiener Gesellschaft. Sie ist die Witwe des Komponisten Gustav Mahler, war mit dem Architekten Walter Gropius verheiratet und liiert mit dem Maler Oskar Kokoschka. 1917 lernt sie in Wien den 11 Jahre jüngeren Franz Werfel kennen, den sie 1929 nach zehn Jahren wilder Ehe auf sein Drängen hin heiratet. Werfel, Schriftsteller, Dichter und Dramatiker, entstammt der deutschsprachigen jüdischen Prager Bourgeoisie. Eine seltsame Schicksalsgemeinschaft hat sich da gefunden, denn Alma Mahler mokiert sich über Werfel, er sei „ein O-beiniger fetter Jude mit wulstigen Lippen und schwimmenden Schlitzaugen“ – also wahrlich keine Schönheit. Doch die gemeinsame Liebe zur Musik führt sie zusammen. Franz hat eine schöne Stimme und Alma begleitet ihn auf dem Klavier.

Alma Mahler und Franz Werfel verband die Leidenschaft für Musik - Sanary-sur-Mer

Alma Mahler und Franz Werfel verband die Leidenschaft für Musik – Sanary-sur-Mer

In Sanary-sur-Mer leben die beiden für fast zwei Jahre in der alten Mühle Le Moulin Gris. Werfel richtet sein Büro in der zweiten Etage des Turms ein, sein Schlafzimmer im Stockwerk darunter. Von außen kann man heute noch erkennen, dass es hier einst zwölf Fenster gab. Werfel wurde einmal verhaftet, und der Vorwurf lautete, er habe Lichtzeichen gegeben. In Wahrheit suchte er nur etwas in seinem Büro, während der allgemeinen Verdunklung. Alma Mahler richtet sich im Erdgeschoss ein, wo neben ihrem kleinen Wohnraum die Küche liegt. Sie leidet unter der Hitze und den Mücken und beklagt sich in ihrem Tagebuch über den jüdisch-kommunistischen Klüngel, zu dem sie nicht gehöre.

Der Turm von Alma Mahler und Franz Werfel in Sanary-sur-Mer

Der Turm von Alma Mahler und Franz Werfel in Sanary-sur-Mer

Den Winter 1938 / 1939 verbringen die Werfels in Paris, da es ihnen in Sanary zu einsam wird. Sobald die Temperaturen steigen, kommen die beiden an die Küste zurück. Mit dem Kriegsbeginn dreht sich jedoch die öffentliche Meinung und die deutschsprachige Gemeinde wird nicht mehr gern gesehen. Anfang Juni 1940 fliehen die beiden mit der Hilfe von Varian Fry vom Emergency Rescue Committee gemeinsam mit Heinrich und Nelly Mann sowie Golo Mann über die Pyrenäen in die USA.

Prachtvolle Kulisse in Sanary-sur-Mer

Prachtvolle Kulisse in Sanary-sur-Mer

Camille und Walter Bondy

Walter Bondy ist Maler und Fotograf, in Prag in eine nicht-religiöse Familie hineingeboren. Er verlässt Berlin bereits 1932 und gelangt über die Schweiz nach Saint-Cyr, wo ihn Julius Meyer-Graefe überzeugt, sich in Sanary niederzulassen. Hier lernt er auch Camille Bertron kennenlernt, die er 1937 heiratet. Die beiden eröffnen ein Fotostudio in Sanary, direkt am Hafen. Bondy entwickelt in dieser Zeit eine neue Beleuchtungstechnik und wird zu einem herausragenden Fotografen, dem es gelingt, den Exilanten einen Teil ihrer Würde zurückzugeben.

Eine Gedenktafel erinnert an das Fotostudio von Camille und Walter Bondy am Hafen von Sanary-sur-Mer

Eine Gedenktafel erinnert an das Fotostudio von Camille und Walter Bondy am Hafen von Sanary-sur-Mer

Auch die Bondys bekommen zu spüren, dass der Wind sich dreht. Alle Deutschen werden der Spionage verdächtigt. Die Bondys ziehen mit ihrem Fotostudio nach Toulon um. 1938 verliert Walter Bondy seine Arbeitserlaubnis und nach Kriegsausbruch droht ihm das Internierungslager. Camille versucht das zu verhindern, indem sie den Kommandanten von Toulon um Hilfe bittet. Walter hatte ihn kürzlich portraitiert und der Kommandant bescheinigt ihm tatsächlich Transportunfähigkeit. Bondys Lebenswille ist jedoch gebrochen und er stirbt im September 1940. Er hört auf, das dringend benötigte Insulin zu spritzen. Ein Teil seines Werkes ist heute in Toulon.

Die Gedenktafel für HIlde Stieler und Erich Klossowski in Sanary-sur-Mer

Die Gedenktafel für HIlde Stieler und Erich Klossowski in Sanary-sur-Mer

Hilde Stieler und Erich Klossowski

Erich Klossowski ist Ostpreuße und entstammt einer kleinadligen polnischen Familie. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitet er zunächst als Theaterdekorateur in München, wo er die Malerin und Schriftstellerin Hilde Stieler kennenlernt. Die beiden gehen nach Paris und pflegen dort Kontakte zu den Künstlern im Umfeld des Café du Dôme und besonders zum Kunstkritiker Julius Meier-Graefe. Auf dessen Rat hin kommen sie nach Südfrankreich und leben von 1933 bis 1944 in der Villa L´Enclos.  Die beiden führen ein recht mondänes Leben und pflegen die Kontakte zu anderen Künstlern wie Schickele, Meier-Graefe und Heinrich Mann. aber auch zu englischsprachigen Gemeinschaft sowie zu Feuchtwanger und Thomas Mann. 1939 erhält Klossowski die französische Staatsbürgerschaft; Hilde Stieler wird 1940 zwar als „feindliche Ausländerin“ in das Internierungslager nach Hyères gebracht, wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes und der guten Beziehungen zu französischen Schriftstellern und Verlagen aber nicht nach Gurs weitertransportiert. Sie heiratet einen Niederländer und es entsteht eine Ménage à trois, in bitterster Not. Sie müssen Sanary 1944 verlassen, als der Ort evakuiert wird, und ins Hinterland ziehen. Nach Kriegsende kommen sie zurück und leben bis zu ihrem Tod in Sanary.

Hans Siemsen

Hans Siemsen ist Schriftsteller und einer der bedeutendsten Feuilletonisten der Weimarer Republik, zunächst Kommunist, später Sozialist und zudem noch schwul. Zusammen mit seinem Freund Walter Dickhaut findet er 1940 Zuflucht bei Hilde Stieler und Walter Klossowski. Siemsen veröffentlich ein Buch über Homosexualität in der Hitlerjugend, zunächst in Englisch und nach dem Krieg dann auch auf Deutsch. Varian Fry ist es zu verdanken, dass Siemsen und Dickhaut über Lissabon in die USA fliehen können.

Hans Siemsen, einer der großen Feuilletonisten der Weimarer Republik

Hans Siemsen, einer der großen Feuilletonisten der Weimarer Republik

Hessel & Kantorowicz

Als einer der letzten Exilanten kommt der frankophile Schriftsteller und Übersetzer Franz Hessel mit seiner Frau Helen im Frühjahr 1940 in Sanary an. Gemeinsam mit seinem Sohn Ulrich wird Hessel in Les Milles interniert. Franz erholt sich nicht mehr; er verstirbt 1941 und wird in Sanary begraben. Sein Sohn Stéphane ist Autor von Empört euch.

Alfred Kantorowicz, Begründer der Deutschen Freiheitsbibliothek, wird zunächst in Toulon interniert, dann zweimal in Les Milles. Er findet dann in Sanary Zuflucht, bevor er in die USA entkommen kann.

Der mittelalterliche Turm, um den das Hôtel de la Tour gebaut wurde, ist gut erkennbar - Sanary-sur-Mer

Der mittelalterliche Turm, um den das Hôtel de la Tour gebaut wurde, ist gut erkennbar – Sanary-sur-Mer

Geschichtsträchtiger Ort: Das Hôtel de la Tour

Sichtbarstes Zeichen für die Anwesenheit der Exilanten in Sanary-sur-Mer ist heute das Hôtel de la Tour, in traumhafter Lage direkt am Hafen gelegen. Das Haus wurde rund um einen mittelalterlichen Turm erbaut und 1898 eingeweiht. Zu den Gästen des Hauses gehörten Klaus und Erika Mann, Heinrich Mann und auch Bertolt Brecht.

Das Hôtel de la Tour in Sanary-sur-Mer

Das Hôtel de la Tour in Sanary-sur-Mer

Bertold Brecht bereist die Côte d´Azur seit dem Ende der 1920er Jahre. 1933 steigt er für mehrere Wochen im Hôtel de la Tour ab, gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und Mitarbeiterin Margarete Steffin. Ehefrau Helene Weigel richtet in Dänemark das neue Heim ein, während Brecht in Sanary an der Dreigroschenoper schreibt.

Das Hôtel de la Tour in Sanary-sur-Mer

Das Hôtel de la Tour in Sanary-sur-Mer

Klaus Mann gibt die Adresse des Hotels zeitweise sogar als Korrespondenzadresse an. Als er von der Verbrennung seiner Bücher in München erfährt, gründet er die Zeitschrift Die Sammlung, in der im Laufe der 24 Ausgaben Artikel von Bertold Brecht, Jean Cocteau, Albert Einstein, André Gide, Lion Feuchtwanger, Heinrich und Golo Mann und anderen erscheinen. Seinem Vater ist die Ausrichtung der Zeitschrift zu radikal – er zieht seine Zusage zur Zusammenarbeit zurück.

Haus mit Historie - Das Hôtel de la Tour in Sanary-sur-Mer

Haus mit Historie – Das Hôtel de la Tour in Sanary-sur-Mer

Heinrich Mann hat früh den Charme der Côte d´Azur erkannt und lässt sich nach der Machtergreifung Hitlers in Nizza nieder. In Sanary beendet er seinen historischen Roman Henri IV. Diesem Werk verdankt er seine Bekanntheit in Frankreich.

Das Hôtel de la Tour ist auch ein Symbol der Macht. 1939 logiert hier der französische Führungsstab, ab 1940 der der Italiener und ab 1942 der der Deutschen.

In diesem Haus wohnte der Dramatiker und Homöopath Friedrich Wolf, Sanary-sur-Mer

In diesem Haus wohnte der Dramatiker und Homöopath Friedrich Wolf, Sanary-sur-Mer

In den Cafés am Hafen

Die Cafés am Hafen von Sanary-sur-Mer – Le Nautique, Café de Lyon und Café de la Marine –  sind die Orte, an denen sich das gesellschaftliche Leben der Exilanten abspielt. Hier ist der Treffpunkt all derer, die die gleiche Sprache sprechen und aktuell kein vorzeigbares Zuhause haben. Man tauscht sich über die Sorgen des täglichen Lebens aus oder debattiert über die politische Lage oder spricht über Literatur und Kunst.

Die Terrassen der Cafés werden zu Treffpunkten all derer, die sich vorher im Pariser Café du Dôme getroffen haben. Besonders beliebt ist das Café Le Nautique, das nach dem elsässischen Besitzer auch chez Schwob genannt wird. Bertold Brecht stellt hier gerne seine Werke einem breiten Publikum vor – viel lieber als im exklusiven Lesezirkel im Hause von Thomas Mann.

Das Café de Lyon in Sanary-sur-Mer

Das Café de Lyon in Sanary-sur-Mer

Das Café de Lyon wird vorrangig von Einheimischen aufgesucht. Hier sind viele der frankophilen Exilanten anzutreffen. Das Café de la Marine gilt als Treffpunkt der Intellektuellen.

Für die Exilanten sind die Café ein Ort zum Austausch und zum Arbeiten. Auf den Terrassen der Cafés genießen heute die Einheimischen wie auch wir einen Kaffee, ein Glas Wein oder schlicht die strahlende Sonne. Ob jemand an das Schicksal der Exilanten vor fast 100 Jahren denkt?

Es liegt an uns allen, zu verhindern, dass die Geschichte sich wiederholt.

Der Hafen von Sanary-sur-Mer zeigt den ganzen Charme der Provence

Der Hafen von Sanary-sur-Mer zeigt den ganzen Charme der Provence

Neugierig geworden?

Falls ihr mehr wissen wollt über Sanary-sur-Mer, dann schaut doch auf der Website des Office de Tourisme vorbei. Die Seite ist auf Französisch, Englisch und Deutsch verfügbar und bietet viele ausführliche Informationen zum Thema Exilliteratur. Auch ein Stadtrundgang wird angeboten: Auf den Spuren der Schriftsteller im Exil – Office de Tourisme Sanary sur Mer. Besonders gut gefällt mir, dass alle Texte in Französisch, Deutsch und Englisch verfügbar sind. Die Autoren und Künstler werden alle in alten Fotografien vorgestellt. Die Deutschen stellen in Sanary-sur-Mer die wichtigste ausländische Touristengruppe dar und viele von ihnen wandeln regelmäßig auf den Spuren der Exilanten durch den Ort.

Informationen über das Département Var, zu dem Sanary-sur-Mer gehört, bietet diese Website in Französisch oder Englisch. Im August 2024 fanden die Feierlichkeiten zum Gedenken an den 80. Jahrestag der Befreiung der Provence statt. Die Route du Débarquement informiert über die Stationen und Gedenkstätten.

Wer den Radius noch weiter schlagen möchte, der findet zahlreiche Ideen und Anregungen auf der Website der Region Provence-Alpes-Côte d´Azur.

Ein Lesetipp für alle, die mehr wissen möchten über das Schicksal der Exilanten: Marseille 1940 von Uwe Wittstock arbeitet die Ereignisse minutiös auf und bietet eine fesselnde Lesereise. Der Autor beleuchtet vor allem die Arbeit von Varian Fry. Für weitergehende Recherchen bietet sich das Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt an.

Der Blick von der Mole auf Sanary-sur-Mer

Der Blick von der Mole auf Sanary-sur-Mer

Offenlegung

Ich hatte das große Glück, eine kleine Gruppe deutscher Journalisten auf einer äußerst inspirierenden Pressereise nach Sanary-sur-Mer begleiten zu dürfen. Die Führung durch unseren Guide Ina Berato war enorm informativ und ganz sicher eine der besten Führungen, die ich in den letzten Jahren erlebt habe. Die beschriebenen Eindrücke sind meine eigenen.

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2 Kommentare

  1. Coucou Monika,
    Unglaublich: ich lebe seit fast dreissig Jahren im Midi und habe auch schon fast alle Ecken Frankreichs bereist, dank deiner Artikel erfahre ich aber immer wieder Neues und Interessantes.

    Ich hoffe, deine Reiselust bleibt uns noch lange erhalten.

    Sonnige Grüsse aus der Provence
    Robert

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