Endlich wieder ein richtiges Barcamp! Künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant weiter und wir können noch gar nicht absehen, wie sich unser Alltag in Zukunft verändern wird. Einen ersten Vorgeschmack auf das Thema KI bot mir bereits das Barcamp Ruhr 2024. Das Format Barcamp jedenfalls scheint genau richtig, um einen fruchtbaren Dialog zu ermöglichen und den Brückenschlag von den Technik-Nerds zu den Touristikern zu schlagen. Eine überaus spannende und agile Diskussion ermöglichte nun das Barcamp KI im Tourismus, Hashtag #bcki25, das von Realizing Progress und dem Verband Internet Reisevertrieb e.V. vom 23. bis 25. Mai 2025 in Heilbronn organisiert wurde. Berührungsängste zwischen den so unterschiedlichen Teilnehmern gab es jedenfalls keine.
Heilbronn war mir bislang vollkommen unbekannt, das Institute of Tourism, Travel & Hospitality der Hochschule Heilbronn – Hochschule für Technik, Wirtschaft und Informatik, erwies sich aber als perfekter Austragungsort des Barcamps, und Professor Stephan Bingemer als enthusiastischer Gastgeber. Ich muss an den Tourismuscampus in Wilhelmshaven denken. Heilbronn ist ein weiteres schönes Beispiel, das zeigt, wie fruchtbar die Verbindung von Hochschulen zu Praktikern aus dem Tourismus sein kann. Wären doch zu meiner Studienzeit die Universitäten so perfekt ausgestattet gewesen, die Professoren so offen, neue Formate auszuprobieren! Aber nicht schlimm – heute genieße ich es, für eine kurze Stippvisite an die Hochschule zurückzukehren. Um eins vorwegzunehmen: ich kehre grundsätzlich mit mehr Fragen an meinen Schreibtisch zurück, als ich vorher hatte.
Endlich wieder ein Barcamp!
Seit den fernen Tagen des Tourismuscamps bin ich ein großer Fan des Formats Barcamp geworden. Ein Wiedersehen mit der Barcampfamilie tut einfach gut. Bei dem Barcamp KI im Tourismus fiel mir auf, dass extrem viele Newbies dabei waren, auch viele Reiseveranstalter und Busunternehmer. Bei den Touristikern schein ein Wechsel der Generationen in vollem Gange. Eine spannende Mischung an Menschen mit einem ganz unterschiedlichen Hintergrund kam da in Heilbronn zusammen.
Spannende Sessionauswahl
Es ist jedes Mal das gleiche: der Sessionplan füllt sich rasend schnell und ich habe ein riesengroßes Problem, dass ich mich für einzelne Sessions entscheiden muss. Sechs Slots von je 45 Minuten, gefolgt von einer viertelstündigen Pause, stehen zur Verfügung. und jeweils vier Sessions finden parallel statt. Gäbe es doch eine Möglichkeit, dass ich mich vierteilen könnte! Meine Wahl fiel letztendlich auf die Sessions, die ich euch im Folgenden kurz vorstelle. Was in meiner kurzen Zusammenfassung nicht unbedingt deutlich wird, das sind die vielstimmigen und kontroversen Diskussionen, die sich in den einzelnen Sessions entwickelten. Jeder Teilnehmende kommt schließlich mit seinem ganz eigenen Erfahrungsschatz zum Barcamp. Und es gibt keine abschließenden Antworten auf die vielen Fragen.
KI und Google / SEO
Jasmin hat es sich mit den Traveljunkies zum Ziel gesetzt, Abenteuerreisen für alle anzubieten. Das Angebot ist bislang darauf optimiert, bei Google gefunden zu werden. Da allerdings gehen die Zugriffszahlen rapide zurück, wie allerseits geklagt wird. Welche Kanäle nutzt denn nun die Zielgruppe in Zeiten von ChatGPT und Gemini? Sistrix oder Perpexity geben einen AI-Überblick. Peec AI bietet eine gute Grundlage, zu verstehen, wo man steht. Spannende Erkenntnis aus dem Plenum: nicht die eigene Website zählt, sondern zum Beispiel eine Wikipediaseite oder das Auftauchen in Bestenlisten, die neutral formuliert sind und auch Mitbewerber nennt. Und falls jemand an der eigenen Seite festhält, dann kann es sinnvoll sein, die Seiten mit W-Fragen zu bauen oder eine Seite mit lauter W-Fragen zu schreiben. Wichtig dabei: die Texte müssen neutral formuliert sein, also ohne touristische Emotionen. Warum nicht einmal den Fokus ganz neu setzten und zum Beispiel Bing als Suchmaschine ausprobieren? ChatGPT liebt übrigens Blogger, weil sie oftmals ganz aus der Perspektive der User schreiben und konkrete Empfehlungen geben. Klar ist: wenn ChatGPT die Antwort gibt, dann landen User gar nicht mehr auf der Website des Reiseveranstalters. Erfolg kann dann daran gemessen werden, wie oft man von der KI erwähnt wird – Social Listening Tools helfen, das nachzuverfolgen. Inspiration findet auf Social Media statt, Information oft auch. Websites der Destinationen verstehen sich oftmals auch als Informationsquelle, und KI greift auf die Infos zu. Möglich also, die Website für eine Chatbox zu nutzen – wenn die Information aktuell und vollständig ist sowie Antworten auf die Fragen der User gibt.
Gemeinsam die KI-Zukunft gestalten, offen und europäisch
Der große Sonderpreis für den Schnellsprecher des Barcamps geht ganz eindeutig an Stefan, den Technik-Nerd von neusta destination.one. Er hat allerdings auch eine Botschaft. Er will Tools an die touristische Basis bringen und damit auch Nutzer unterstützen, die sich in der Technologie vielleicht nicht ganz so genau auskennen. Es geht nicht darum, schlechte Prozesse zu digitalisieren, denn es bleiben schlechte Prozesse, sondern Prozesse ganz neu zu denken, alte Strukturen zu hinterfragen und die Mitarbeiter bestmöglich und nach ihren individuellen Fähigkeiten zu unterstützten. Stefans Gedanke: freie Wahl des Modells, dabei Datenschutzprobleme vermeiden, da die Rechenzentren in Europa stehen. Mit one.intelligence bietet er einen KI-Service speziell für den Tourismus. Auf der Website, die am 2. Juni online geht, kann man das gewünschte Modell auswählen – Oberfläche und Plattform sind getrennt. Auch ein Vergleich möglicher Modelle ist denkbar. Stefans Ideal ist es, einen Marktplatz zu gestalten, bei dem jeder seine Kompetenzen zur Verfügung stellen kann. Beispiel: Christian Leetz mit seiner sprachlichen Kompetenz, die sich im Newsletter über Tourismusnews Deutschland zeigt. Ich sehe viel Idealismus, auch wenn das Unternehmen natürlich wirtschaftlich denken muss. Stefan zeigt uns den digitalen Reise-Assistenten von Leipzig Tourismus, der Auskunft zu Events und der Wettervorhersage geben kann. Zugleich lässt sich aus den gleichen Infos ein Instagrampost gestalten oder eine Pressemeldung schreiben. Spannend, der Dialog von Mitarbeitern im Tourismus mit den Daten!
Megatrends, Transformation & KI
Anja Kirig arbeitet als Zukunfts- und Trendforscherin und ist eng mit dem Zukunftsinstitut Frankfurt / Wien verbunden. Sie fragt sich und uns: Wie wollen wir in Zukunft reisen, leben und arbeiten? Als Sozialforscherin beobachtet sie die Transformation der Gesellschaft, demografischen Wandel und eine zunehmende Individualisierung. Die rasante Entwicklung bedeutet Chance und vor allem auch Aufgabe, die Zukunft mitzugestalten. Der Megatrend Digitalisierung und KI scheint ihr als eine soziale Aufgabe, und der Tourismus kann dabei als Labor der Transformation angesehen werden. Eine Frage für mich: welche neuen Rollen nehmen Destinationen in Zukunft ein? Werden sie Lernorte, Rückzugsorte, Resonanzräume? Kann ein KI-Bot, der mit einer Person spricht, die Bindung an den Urlaubsort stärken? Sicher scheint: ein KI-Assistent füllt eine Lücke auf der Suche nach Begegnung. Wie gestalten wir einen Tourismus, der nicht nur konsumiert, sondern co-produziert wird? Wir beobachten, dass die Marktmacht der großen Player immer größer wird. Das Social Media-Geschehen wird von Multimilliardären bestimmt, und wir werden vermutlich keine demokratische KI erleben. Für Destinationen wird es damit immer schwieriger, den Blick zu ändern. Wie verändert KI das Zusammenspiel von Reisenden und Einheimischen, Orten und Systemen? Wir müssen uns fragen, ob wir überhaupt in der Lage sind, die Konsequenzen der Entwicklung zu überblicken. Der Idealfall ist sicherlich eine ´responsible AI´ – eine KI, die Verantwortung übernimmt, sicher, fair und vertrauenswürdig. Ist dieser Zug nicht längst abgefahren?
Die europäische KI-Verordnung
Man ist es gar nicht gewohnt, aber in diesem Fall war die EU einmal richtig schnell: seit 2019 wurde daran gearbeitet und in Mai 2024 wurde sie von den Mitgliedstaaten verabschiedet: die KI-Verordnung oder auch EU AI Act – die weltweit erste Verordnung zur Regulation von Künstlicher Intelligenz. Seit August 2024 ist sie in Kraft. Alex greift als Thema seiner Session gezielt Artikel 4 heraus: „Anbieter und Betreiber von KI-Systemen ergreifen Maßnahmen, um nach bestem Wissen und Gewissen sicherzustellen, das ihr Personal … die in ihrem Auftrag mit dem Betrieb und der Nutzung von KI-Systemen befasst sind, über ausreichende KI-Kenntnisse verfügen.“ Es geht also um den Aufbau von Kompetenzen, um Schulungen und Wissenstransfer für alle. Das hört sich gut an, aber wie soll das eigentlich klappen? Der Knackpunkt: Es gibt bislang keine klare Definition eines KI-Systems, nur Kommentierungen. Zugleich verletzt der Arbeitgeber seine Sorgfaltspflicht, wenn er die Kompetenzen seiner Mitarbeitenden nicht aufbaut. Auch ein Head of… muss seine Kompetenzen nachweisen. Unklar nur, wie diese konkret aussehen sollen und wer das alles überprüft. Geht es um Grundkompetenzen im Umgang mit KI oder um die Schulung an konkreten Tools? Die Lehrgänge der Bitkom Akademie werden als Orientierung genannt. Im Lauf der Diskussion kristallisiert sich heraus, dass es eher darum geht, die Haltung eines Unternehmens zu KI und die Spielregeln im Umgang mit KI zu vermitteln sowie das Bewusstsein für die Risiken zu schärfen. Ein Problem dabei: wir verwalten uns zu Tode und machen ungefähr das Gegenteil von Bürokratieabbau. Sei einfach vorsichtig, so ein mögliches Fazit. Und für alle Zweifelsfälle könnte ein KI-Wächter zum Einsatz kommen, analog einem Datenschutzbeauftragten.
KI in der Praxis: wie macht man Gäste zu Fans?
Tom von urbnups fragt sich und uns, wie es gelingen kann, Gäste mit Hilfe von Technologie zu Fans einer Destination zu machen. Die Lösung: AI Travel Assistants, die ganz die Perspektive des Gastes einnehmen. Die Customer Journey besteht aus Inspiration, Recherche und – wenn alles passt – dem Aufenthalt. Generative KI kann bei der Suche nach Informationen helfen und auch Vergleiche erstellen. Tom präsentiert unglaubliche Zahlen: im Jahr 2024 haben 90 % der User online recherchiert und 80 % online gebucht, wobei sie bis zu fünf Stunden zur Buchung einer Reise auf einer Website verbringen. Destinationen haben ein Interesse daran, dass die Besucher kommen – egal, wo die Buchung konkret gemacht wird. Ein Busunternehmer in der Runde wendet ein, dass seine Kunden vorrangig bei den Anbietern der eigenen Region schauen. Klar, für eine ältere Kundschaft geht es ja auch um die Abholung an der Haustür. Das Potential von KI liegt ganz sicher darin, individualisierte Angebote schnell zu erstellen – und nicht erst am ersten Arbeitstag nach einem langen Wochenende. Noch ein heißer Tool-Tipp: NotebookLM – ein Tool, das kostenlos, auf Deutsch und als App verfügbar ist. Es macht Datenanalyse ganz leicht, kann Studien zusammenfassen und kann sogar ein Podcast ganz leicht erstellen. Das muss ich mir mal anschauen… Einen digitalen Reiseassistenten könnt ihr übrigens auf der Seite von Niedersachsen Tourismus ausprobieren. Das System nutzt Open Data der DZT, sorgt für eine höhere Erreichbarkeit, Personalisierung und insgesamt eine Effizienzsteigerung durch Entlastung der Mitarbeiter.
Innovationstempo vs. öffentlicher Tourismus – eine unmögliche Transformation?
Yves arbeitet im Bereich Datamanagement für einen regionalen Tourismusverband. Seine Klage kann ich nur zu gut nachvollziehen: das Entwicklungstempo kollidiert mit der Schwerfälligkeit von Institutionen. Dazu kommt der Zwang, Budget, das einmal bewilligt wurde, im selben Jahr auszugeben. Die Schwerfälligkeit kennt wohl jeder, der in diesem Bereich tätig ist. Informationen werden oben erstellt, erreichen aber nicht die unterste Ebene. Problematisch auch: es gibt keinen Mitarbeiter, der sich nur um KI kümmert – im Gegenteil, er hat 1000 andere Aufgaben. Auch beim wirtschaftlichen Rechnen hapert es gerne mal: eine Lizenz für ChatGPT kostet 30 € pro Monat. Das Geld wäre jedoch gut eingesetzt, um Kosten einzusparen. Gegen Ende der Session kristallisiert sich eine These heraus: Destinationsseiten spielen in Zukunft keine große Rolle mehr; Hotels bekommen ihre Buchungen über Portale wie Booking. Und wenn es mit dem Vertrieb zu Ende geht, dann werden Destinationen in Zukunft zu Beratern. Eins ist gewiss. Neue Mitarbeiter müssen flexibel sein und das richtige Mindset für neue Positionen haben.
Schwierig, ein Fazit aus all den Sessions zu ziehen. In einer Session wurde gesagt, man geht mit einer Frage in die Session und kommt mit drei neuen wieder hinaus. Die Fragen werden mehr, vor allem, wenn man sich klarmacht, auf welche Lebensbereiche die aktuellen Entwicklungen in der KI einwirken. Wie kann die Tourismusbranche mit der Entwicklung umgehen? Wie finden Reisenden in Zukunft der Zugang zu touristischen Informationen? Bin ich eher pessimistisch und gehe davon aus, dass die Tech-Milliardäre bald die Weltherrschaft übernehmen? Oder bin ich optimistisch, das Künstliche Intelligenz zum Wohle der ganzen Menschheit eingesetzt werden kann? Für mich ist klar: ich würde gerne Optimist bleiben.
Unser Gastgeber: Institute of Tourism, Travel & Hospitality
48 Studiengänge und nur 7.500 Studierende – das ist der Bildungscampus Heilbronn auf den ersten Blick. 2011 wurde Eröffnung gefeiert und seit 2020 darf Heilbronn sich mit dem Titel einer Universitätsstadt schmücken. Graue Eminenz im Hintergrund ist Dieter Schwarz, der Chef von Lidl. Seiner großzügigen Förderung ist es zu verdanken, dass Heilbronn sich von einer Industrie- zu einer Technologiestadt entwickelt. Für 150 Millionen Euro entsteht heute in Heilbronn ein Innovationspark – vielleicht das europäische Silicon Valley.
Das Institute of Tourism, Travel & Hospitality wurde im März 2023 als Forschungsinstitut der Hochschule Heilbronn gegründet. Es bündelt die Forschungskompetenzen im Bereich Tourismus, Reisen und Gastgewerbe. DAs ITTH fördert gezielt internationale Kooperationen. Stefan Bingemer leitet das Institut.
Heilbronn historisch
Wein und Wissen am Neckar – das ist das heutige Motto der Stadt Heilbronn. Im Mittelalter war Heilbronn eine freie Reichsstadt, eine Stadt, die sich die Stadtrechte im Jahr 1481 einfach nahm. Das Selbstbewusstsein nahm Heilbronn aus seiner Position als Marktplatz am Verkehrsweg Neckar. Zölle füllten die Stadtkasse, so dass Heilbronn prosperierte. Sehenswert ist die evangelische Kilianskirche, wo ein altes Buntglasfenster mit einer halben Acht an das historische Datum erinnert. Ganz großartig: heute finden hier Stummfilmabende statt, von Orgelmusik begleitet. Heute gibt es nur noch wenige Spuren des alten Heilbronn. Das prächtig restaurierte Rathaus sticht heraus und ebenso das Käthchenhaus, ein gotisches Patrizierhaus, das an die Hauptfigur des Schauspiels Heinrich von Kleists erinnert. Im Zweiten Weltkrieg wurde Heilbronn zu 80 % zerstört. Etwas versteckt liegt der Deutschhof – eine kleine Oase in der Stadt. Hier hatten einst die Deutschherrenritter das Sagen. Sie wollten keinen Kontakt zur Bevölkerung, sondern diese nur ausbeuten. In der malerischen Anlage ist heute eins der kostenfreien Museen beheimatet – direkt neben einer Weinbar, in der man sich zwanglos durch das Sortiment probieren kann. Den Brückenschlag zwischen Forschung und der Stadt Heilbronn schaffen heute Einrichtungen wie uih! Der Urban Innovation Hub versucht, Forschung in die Stadt zu tragen und in das Bewusstsein der Menschen zu bringen. Der Standort in der Innenstadt steht für Besucher offen. Hier lernt man über die Verbindung von Handel, Forschung und Wirtschaft mit der Bevölkerung. Ganz aktuell wird das Thema Mobilität beleuchtet. Besucher auch von weiter her lockt Experimenta an – Deutschlands größtes Science-Museum, das besonders für Familien und Schulklassen viel bietet.
Neugierig geworden?
Wer mehr über das Barcamp ´KI im Tourismus´ wissen möchte, kann sich die Website anschauen. Es lohnt auch die Suche nach dem Hashtag #bcki25 bei LinkedIn und in anderen sozialen Netzwerken.
Danke für den spannenden Beitrag! Ich habe leider zu spät davon erfahren. Das Thema Suchanfragen und ChatGPT und wie sich Blog künftig da positionieren können, finde ich sehr spannend. Ich glaube da wird es in der Zukunft noch drastische Veränderungen geben.
Danke für den so informativen Beitrag!