Ort der Erinnerung: Camp des Milles

Wandmalerei im Speisesaal der Wärter: "Le Banquet des Nations", Karl Bodek zugeschrieben, der aus Les Milles deportiert wurde und in Auschwitz starbWandmalerei im Speisesaal der Wärter: "Le Banquet des Nations", Karl Bodek zugeschrieben, der aus Les Milles deportiert wurde und in Auschwitz starb

Aix-en-Provence ist für mich eine der schönsten Städte in der Provence. Die Eleganz der Architektur, die Omnipräsenz des Wassers dank der vielen Brunnen und die Farbenfreude der Märkte lassen bei jedem Besuch mein Herz aufgehen. Und nicht zuletzt die Kunst hat es mir angetan – etwa im Centre Caumont, in der Fondation Vasarely oder im Musée Granet II. Auch auf den Spuren Cézannes kann man wandeln oder mit dem E-Bike bis zur Montagne Victoire radeln. Und der Besuch in Château La Coste mit der Mischung aus Kunst, Wein und Naturerlebnis ist ein ganz besonderes Erlebnis. In einem Ortsteil von Aix-en-Provence gibt es eine Stätte, von der ich schon einiges gehört und die ich jetzt endlich einmal besucht habe: das Camp des Milles. Der Besuch bedeutet einen radikalen Themenwechsel, denn es geht um ein düsteres Kapitel europäischer und französischer Geschichte. Camp des Milles ist das einzige provenzalische Internierungslager, das noch intakt und für Besucher geöffnet ist. Man hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Wissen über die Vergangenheit zu wahren und eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen. 

Von einer Ziegelei zur Gedenkstätte

Als wir bei Camp des Milles vorfahren, sehen wir gleich, dass dies ein besonderer Ort ist. Die Gedenkstätte zeigt nach außen den ganzen Charme eines Gefängnisbaus und ist gesichert wie Fort Knox. Das gesamte Gelände ist eingezäunt. Besucherinnen und Besucher dürfen nur einzeln durch eine Sicherheitsschleuse eintreten und müssen sich wie an einem Flughafen kontrollieren lassen; auch Taschen werden durchleuchtet. Es scheint, als sei die Gedenkstätte einigen Anfeindungen ausgesetzt, die diese Kontrollen notwendig machen. 

Hinter dem Eingang nimmt uns Magdalena Schräder in Empfang, eine deutsche Kulturvermittlerin. Magdalena stammt aus Warendorf im Münsterland und ist von ihrer Ausbildung her Molekularbiologin, hat sich während ihrer wissenschaftlichen Laufbahn mit dem Thema Genregulation befasst. Und jetzt also Camp des Milles – hat ja auch in gewissem Sinne mit Genen zu tun, wenn auch in einer pervertierten Form.  

Erst Ziegelei, dann Internierungslager: Camp les Milles in Aix-en-Provence

Erst Ziegelei, dann Internierungslager: Camp les Milles in Aix-en-Provence

Das alte Gebäude leuchtet unter der Sonne des Midi. Ursprünglich wurde das Gebäude als Ziegelfabrik genutzt, erbaut Ende des 19. Jahrhunderts. Die Produktion wurde 1937 geschlossen. Zwischen 1939 und 1942 fand die Anlage eine neue Nutzung als Internierungs- und Deportationslager. Mehr als 10.000 Menschen, die vor Totalitarismus und Verfolgung aus ihrer Heimat geflohen waren, wurden hier unter miserablen Bedingungen interniert. Heute hat  die Gedenkstätte es sich zur Aufgabe gemacht, das Wissen über die Vergangenheit zu wahren. Die Menschen sollen die Möglichkeit haben, die Gegenwart zu verstehen und mit diesem Wissen zu verhindern, dass die Geschichte sich wiederholen kann. Rund 80.000 Besucher kommen pro Jahr hierher, darunter viele Schulklassen. Die Deutschen sind unter den ausländischen Besuchern die größte Gruppe. 

Wissen: Drei Phasen der Geschichte

Die Geschichte von Camp les Milles lässt sich in drei Phasen teilen. Die erste Phase der Geschichte des Lagers wird mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs eingeleitet, als die französische Regierung die Entscheidung traf, sog. ´feindliche Subjekte´ zu internieren. Zwischen September 1939 und Juni 1940 war Camp des Milles ein Internierungslager. Nach Ausbruch des Krieges gab es in Frankreich eine Meldepflicht für deutsche Männer. Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass dies vor allem all jene waren, die aus Nazideutschland geflüchtet waren, um im vermeintlich freien Frankreich Schutz zu suchen. Gerade die Antifaschisten wurden jetzt als feindliche Ausländer betrachtet und nicht als Verbündete im Kampf gegen die Nazis angesehen. Sie waren einer allgemeinen Ausländerfeindlichkeit ausgesetzt und gezwungen, in prekärer Lage unter dem französischen Militärkommando zu leben. Rund 2.000 Menschen lebten im Camp les Milles – Deutsche, Österreicher und Tschechen, Juden und Intellektuelle. Insgesamt gab es 60 Lager in Südfrankreich, manche davon einfache Zeltstädte am Strand. Heute sind all diese Lager spurlos verschwunden. mit dieser einen Ausnahme.

Historischer Kontext: die Daten europäischer, nationaler und regionaler Geschichte rund um les Milles

Historischer Kontext: die Daten europäischer, nationaler und regionaler Geschichte rund um les Milles

Im Juni 1940 beginnt die zweite Phase der Geschichte mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich. Das Vichy-Regime und damit die französische Polizei übernimmt das Lager und weitet das System aus. Diese Phase dauert bis 1942. Das Lager füllt sich nun schnell mit den sog. ´unerwünschten Ausländern´, aber auch französische Kommunisten – kurz allen, die der Regierung ein Dorn im Auge waren. Der Lagerkommandant organisiert einen Zug, der rund 2.000 Internierte vor der erwarteten Ankunft der deutschen Truppen in Sicherheit bringen soll. Eine mehrtägige Irrfahrt, die für einige wieder in Les Milles endet. 

Vor dem amerikanischen Konsulat in Marseille - Warteschlangen der Ausreisewilligen

Vor dem amerikanischen Konsulat in Marseille – Warteschlangen der Ausreisewilligen

Camp les Milles war das einzige französische Transitlager, d.h. den Internierten war es gestattet, sich um Ausreisepapiere zu bemühen. Europa ab dem Sommer 1940 zu verlassen, das bedeutete viel Hartnäckigkeit und endloser Papierkrieg. Man benötigte ein Ticket für die Schiffspassage und ein Einreisevisum für das Zielland. Dazu kam das Ausreisevisum und ein Gesundheitsattest, um Frankreich verlassen zu können. Alle Dokumente hatten eine begrenzte Gültigkeit. Helfer wie Varian Fry und sein Emergency Rescue Committee leisteten hier schier Unglaubliches. 

Varian Fry und das American Rescue Committee

Varian Fry und das American Rescue Committee

Die dritte Phase im August und September 1942 ist recht kurz, dafür aber umso grausamer: Les Milles wird zum Deportationslager. In manchen Papieren aus jener Zeit findet sich auch die Bezeichnung ´Konzentrationslager´. Das Vichy-Regime verpflichtet sich, namentlich benannte jüdische Menschen an das Deutsche Reich auszuliefern. Die Polizei in Marseille verhaftet zahlreiche Menschen, die in Les Milles interniert werden. In nur zwei Monaten fahren fünf Züge aus dem Lager ab. Rund 2.000 Juden werden via Drancy oder Rivesaltes nach Auschwitz deportiert – vor der deutschen Besatzung der freien Zone im November 1942. Pierre Laval spielt dabei eine unrühmliche Rolle: er bietet in vorauseilendem Gehorsam an, auch Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren auszuliefern. So muss Frankreich die von ihren Eltern getrennten Kinder nicht versorgen. 

Camp les Milles: Schicksale greifbar machen

Camp les Milles: Schicksale greifbar machen

Im November 1942 wird das Lager geschlossen und von der Wehrmacht fortan als Munitionslager genutzt. Nach Kriegsende nahm dann die Ziegelfabrik die Produktion wieder auf, bis im Jahr 2006 die Öfen endgültig ausgehen. 

Karikatur von Franz Meyer: Die Visastelle in Camp les Milles 1942

Karikatur von Franz Meyer: Die Visastelle in Camp les Milles 1942

Kreatives Schaffen, um zu überleben

Im Lager war es permanent kalt. Das Gebäude war so errichtet, dass immer ordentlich Zugluft durch die Mauern ging, um die heiße Luft der Brennöfen zu kühlen. Im Salle des Presses wurden einst 5.000 bis 6.000 Ziegel pro Tag geformt. Es war der einzige Raum, in dem es Tageslicht gab. 

Salle des Presses - das zugige Herzstück der alten Ziegelei in Les Milles

Salle des Presses – das zugige Herzstück der alten Ziegelei in Les Milles

Es gab nichts zu tun für die Internieten. Andererseits: es waren viele Künstler und Intellektuelle interniert, die sich betätigen wollten, auch wenn das Material an allen Ecken und Enden fehlte. Vor allem die Frühphase ist von einer außerordentlichen künstlerischen Produktion geprägt. Mehr als 300 Kunstwerke entstehen zwischen 1939 und 1940. Die Kreativität hält bis zum Sommer 1942 an, wenn auch mit geringerer Intensität. 

Le Camp des Peintres - Kreativität der frühen Jahre in Camp les Milles

Le Camp des Peintres – Kreativität der frühen Jahre in Camp les Milles

Alle Disziplinen sind vertreten und die Namen lesen sich wie ein Who is Who der europäischen Geistesgeschichte. Zu den internierten Malern und Zeichnern zählen Max Ernst, Hans Bellmer, Robert Liebknecht, Gustav Ehrlich und viele andere.

Die Literatur spielt eine wichtige Rolle – Schriftsteller, Dichter, Übersetzer oder Kritiker wie Alfred Kantorowicz, Golo Mann, Lion Feuchtwanger, Franz Hessel und Friedrich Wolf. Auf ihren Spuren kann man im nahe gelegenen Sanary-sur-Mer wandeln. 

Der Österreicher Max Schlesinger, interniert von September 1939 bis Februar 1940. dirigiert das Lagerorchester in Les Milles

Der Österreicher Max Schlesinger, interniert von September 1939 bis Februar 1940. dirigiert das Lagerorchester

Im Camp les Milles wird auch musiziert und Theater gespielt. Hier kann man die Namen Erich Itor Kahn, Adolf Siebert, Ernst Mosbacher, Joseph Schmidt, Leo und Siegfried Kurzer sowie Friedrich Schramm und Max Schlesinger nennen. Ganz erstaunlich: das Foto strahlt vor allem Freude am Musizieren aus – das Leid des Lagerlebens kann zumindest für einen Moment ausgeklammert werden. 

Der Kreativität werden kaum Grenzen gesetzt und der Humor mancher Werke ist ganz erstaunlich. Es werden Kurse gegeben und Konferenzen abgehalten, wobei die französischen Autoritäten sich wohlwollend zeigen. Es gibt sogar offizielle Aufträge. 

Entdecken: Die Gedenkstätte

Die nach dem Berliner Ingenieur Friedrich Hoffmann benannten Öfen waren einst das industrielle Herzstück der Ziegelei. Einst herrschte hier Dauerbetrieb. Die Öfen waren in der Lage, große Mengen an Ziegeln zunächst mit Kohle und später mit Gas zu brennen. Die Abkühlphase wurde penibel überwacht. Während der Zeit des Internierungslagers jedoch waren die Öfen aus. 

Die Katakombe - kulturelles Refugium in Les Milles

Die Katakombe – kulturelles Refugium in Les Milles

Hier lang zur Abendkasse! Die Katakombe - kulturelles Refugium in Les Milles

Hier lang zur Abendkasse! Die Katakombe – kulturelles Refugium in Les Milles

Während der ersten Phase des Lagers waren die Katakomben der Ort, an dem das kulturelle Leben stattfinden konnte, von den Internierten selbst organisiert: Kabarett oder Oper, Lesungen oder Konferenzen. Benannt waren sie nach einem 1929 in Berlin eröffneten und 1935 von den Nazis geschlossenen Kabarett.

Das Leben in der ersten Etage von Camp Les Milles war geprägt von Dunkelheit, Schmutz, Parasiten und Staub. Lion Feuchtwanger beschreibt in seinem autobiografischen Buch Der Teufel in Frankreich den Unterschied zwischen der Helligkeit und der unerbittlich brennenden Sonne im Hof mit dem Halbdunkel im Gebäude. 

Im ersten Stock von Camp les Milles lebten die Männer

Im ersten Stock von Camp les Milles lebten die Männer

Wenn man als heutiger Besucher die erste Etage betrachtet, kann man sich ausmalen, dass die Würde des Menschen hier nicht mehr viel zählte. Enge und Gestank, keinerlei Privatsphäre, nur wenige Latrinen für viel zu viele Menschen – schlicht unfassbares Elend. 

Der zweite Stock in Camp les Milles war Frauen und Kindern vorbehalten

Der zweite Stock in Camp les Milles war Frauen und Kindern vorbehalten

Der zweite Stock war in der dritten Phase des Lagers – der als Deportationslager – Frauen und Kindern vorbehalten. Im provenzalischen Sommer muss hier eine schier unerträgliche Hitze geherrscht haben. Und von einem Fenster aus konnten die Internierten die Züge sehen, die für die Deportationen bereitstanden. Für manche erschien Selbstmord durch einen Sprung aus dem Fenster eine bessere Lösung. 

La liberté - la vie - la paix - Les Milles in Aix-en-Provence

La liberté – la vie – la paix – Les Milles in Aix-en-Provence

Verstehen: Nachdenken über die Gegenwart

Die Gedenkstätte von Camp des Milles hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Vergangenheit zu verstehen und die Lehren und Erkenntnisse für die Gegenwart zu nutzen. Im dritten Teil des Besuchs, im Kapitel Verstehen, erkennt man deutlich den wissenschaftlichen und pädagogischen Ansatz. Vier Völkermorde werden betrachtet: der an Armeniern, an Juden, Zigeunern und Tutsi in Ruanda.

Révolution Nationale - Vichy-Regime

Révolution Nationale – Vichy-Regime

Ziel ist es, die Mechanismen aufzuzeigen, die zwar menschlich sein mögen, aber letztendlich ins Verderben führen: Vorurteile, Gruppenzwang, Passivität und die blinde Akzeptanz von Autoritäten. Eine schematische Darstellung verdeutlicht den Weg von Rassismus zum Verbrechen. Erschreckend, dass wir selbst vielleicht schon in Etappe 2 stecken, zwischen Demokratie und autoritärem Regime, das so vielen als eine einfache Lösung erscheint. Der Wunsch nach autoritärer Führung, Radikalisierung, Betonung der Unterschiede statt der Gemeinsamkeiten… Eine kleine Broschüre im Museumsshop sollte vielleicht zur Pflichtlektüre für Schülerinnen und Schüler wie für Politiker werden: das Petit manuel de survie démocratique – Das kleine Handbuch zum Überleben der Demokratie. 

Drei Etappen auf dem Weg vom Rassismus zum Genozid - Lehren aus der Geschichte in Les Milles

Drei Etappen auf dem Weg vom Rassismus zum Genozid – Lehren aus der Geschichte in Les Milles

Am Ende steht die Allée des Justes – die Wand der richtigen Handlungen – Aktionen des Widerstand und der Rettung. Auch in Les Milles gab es Wächter, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens Kinder der zweiten Etage herausschmuggelten und retteten. 

Im Außenbereich der Ausstellung in Camp les Milles

Im Außenbereich der Ausstellung in Camp les Milles

Der Weg in den Abgrund

Im Außenbereich des Memorials geht der Besuchsparcours auf sehr eindrucksvolle Art weiter. In Kooperation mit dem Museum von Auschwitz ist hier eine Dauerausstellung zu sehen, die die Verbindung zwischen Camp des Milles und Auschwitz anhand von persönlichen Schicksalen greifbar macht. 

Verschiedene Portraits von Deportierten werden auf den Waggon projiziert - Camp les Milles

Verschiedene Portraits von Deportierten werden auf den Waggon projiziert – Camp les Milles

Bilder und Texte geben den deportierten Jüdinnen und Juden ein Gesicht und eine Geschichte zurück. Eine Fortsetzung des Besuchs der alten Ziegelei, der nachdenklich macht. 

Erinnerung wachhalten: die Namen der Menschen, die von Les Milles nach Auschwitz deportiert wurden

Erinnerung wachhalten: die Namen der Menschen, die von Les Milles nach Auschwitz deportiert wurden

Detailaufnahme: Namen der Menschen, die von Les Milles nach Auschwitz deportiert wurden

Detailaufnahme: Namen der Menschen, die von Les Milles nach Auschwitz deportiert wurden

Schicksale im Schatten eines Deportationszuges - Les Milles

Schicksale im Schatten eines Deportationszuges – Les Milles

Die Salle des peintres

Die Jahre 1982 bis 2012 können als Jahre des Kampfes gegen das Vergessen und die Gleichgültigkeit bezeichnet werden. Nach Kriegsende sprach niemand in der Region mehr über das Camp des Milles. Dies änderte sich langsam mit den ersten schriftlichen Zeugnissen, die von den Ereignissen berichteten. Serge Klarsfeld erstellte eine Liste der Namen der Deportieren. Im Jahr 1979 begannen Forscher der Universität in Aix-en-Provence wie Jacques Grandjonc, sich für Les Milles zu interessieren. 

Wandmalerei im Speisesaal der Wärter: "Le Banquet des Nations", Karl Bodek zugeschrieben, der aus Les Milles deportiert und in Auschwitz gestorben

Wandmalerei im Speisesaal der Wärter: „Le Banquet des Nations“, Karl Bodek zugeschrieben, der aus Les Milles deportiert und in Auschwitz gestorben

Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit war sicher, als 1982 der Abriss der Salle des peintres verkündet wurde. Jetzt regte sich Widerstand und ganz fix wurde der Saal unter Denkmalschutz gestellt. Was für ein Glück für die nachfolgenden Generationen! 

 

Der Saal war einst der Speisesaal der Wärter und die Arbeiten, die hier zu sehen sind, wurden vermutlich zwischen Herbst 1940 und Frühjahr 1941 ausgeführt – auf Bestellung der Lagerleitung. Es handelt sich nicht im eigentlichen Sinne um Fresken, denn es wurde nicht auf feuchtem Untergrund gearbeitet, sondern um Malerei auf Beton. 

Das Hauptthema der Malereien sind Nahrungsmittel. Das erklärt sich sicher durch die Funktion des Saals, spielt aber gleichzeitig auf die prekäre Versorgungssituation im Lager an. Die Werke sind zum Teil ausgesprochen humorvoll – ein beeindruckender Teil der Gedenkstätte. Ein Gemälde zeigt den König der Sardinen, der das rettende Papier, das ihm erlaubt, das Land zu verlassen, in der Hand hält. 

Im Speisesaal der Wärter: der König der Sardinen hält seine Ausreisepapiere in der Hand

Im Speisesaal der Wärter: der König der Sardinen hält seine Ausreisepapiere in der Hand

Es gibt noch einen weiteren kleinen Raum, dessen Funktion nicht bekannt ist, der aber ebenfalls Wandmalereien enthält. Ein junger Mann in Uniform, der von einem anthropomorphen Mond beobachtet wird? 

Der Mann und der Mond - rätselhafte Wandgemälde

Der Mann und der Mond – rätselhafte Wandgemälde

Auf dem Gemälde daneben ist ein Haus mit rauchendem Kamin zu sehen, ein angelehntes Fahrrad. Auf der rechten Seite kann man ein Industriegebäude erkennen – vielleicht Les Milles? Und im Vordergrund ein Braten. Nahrungsmittel, die Obsession der Inhaftierten. 

Die Botschaft des Camp des Milles

Wenn es eine Botschaft des Camp des Milles gibt, dann die: jeder kann Widerstand leisten. Jeder auf seine Art und auch im ganz Kleinen. Beispielhaft zeigt dies das Foto von August Landmesser, der 1936 den Hitlergruß verweigert – als einziger in einer großen Menschenmenge. 

August Landmesser, der am 13. Juni 1936 den Hitlergruß verweigert.

August Landmesser, der am 13. Juni 1936 den Hitlergruß verweigert.

Landmesser wurde zu zweieinhalb Jahren Haft wegen Rassenschande verurteilt. Anschließend wurde er als Soldat auf ein Himmelfahrtskommando geschickt, von dem er nicht zurückkehrte. 

Neugierig geworden?

Falls ihr neugierig geworden seid und mehr über das Camp des Milles wissen wollt, dann schaut doch einmal auf dieser Website vorbei. Die Seite ist sehr ausführlich gestaltet und auch Presseinformationen sind verfügbar. 

Aix-en-Provence gehört genau wie das nahe Marseille zum Département Bouches-du-Rhône. Informationen über die Stadt findet man in deutscher Sprache auf der Seite des Fremdenverkehrsamtes. Infos über das Département gibt es hier. Die Website der Region Provence-Alpes-Côte d´Azur bietet zahlreiche Informationen über die Region und ist auch in Deutsch verfügbar. 

Ein Lesetipp für alle, die mehr wissen möchten über das Schicksal der Exilanten: Marseille 1940 von Uwe Wittstock arbeitet die Ereignisse minutiös auf und bietet eine fesselnde Lesereise. Der Autor beleuchtet vor allem die Arbeit von Varian Fry. Für weitergehende Recherchen bietet sich das Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt an.

Lion Feuchtwanger hat seine Zeit in der Hölle in Camp les Milles, während der Irrfahrt mit einem Güterzug durch Südfrankreich sowie in einem Zeltlager bei Nîmes sehr eindrucksvoll in seinem Buch Der Teufel in Frankreich beschrieben. Die Geschichte eines Schriftstellers, der vom französischen Präsidenten empfangen wurde und jetzt am Je m´en foutisme der französischen Bürokratie scheitert. 

Camp Les Milles in Aix-en-Provence

Camp Les Milles in Aix-en-Provence

Offenlegung

Ich hatte das große Glück, eine kleine Gruppe deutscher Journalisten auf einer äußerst lehrreichen Pressereise in die Provence begleiten zu dürfen. Die Führung durch das Camp des Milles durch die Kulturvermittlerin Magdalena Schräder war ungemein informativ, lehrreich und ohne erhobenen Zeigefinger, und ganz sicher eine der besten Führungen, die ich in den letzten Jahren erlebt habe. Widerstand kann auch bedeuten, in einer Region, in der die Anteile der Wählerstimmen für Parteien der extremen Rechten traditionell hoch sind, eine Pressereise zum Thema Gedenktourismus anzubieten. Die beschriebenen Eindrücke sind meine eigenen.

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