Aschaffenburg, die nördlichste Stadt Bayerns, ist nur einen Katzensprung von Frankfurt entfernt. Ein Bummel rund um das prächtige Schloss Johannisburg und durch die Altstadt, das ist ein Sonntagsausflug für alle, die im Rhein-Main-Gebiet leben. Oder ein Spaziergang durch Park Schönbusch mit seinen prächtigen alten Bäumen und die Einkehr in dem schönen Biergarten nach einer Stunde im Ruderboot. Es gibt jedoch auch ein wahres Kleinod, von dem ich erst kürzlich erfahren habe: das Gentil-Haus – ein Gesamtkunstwerk und zugleich ein Haus für die Kunst, erbaut von Anton Gentil, der in Aschaffenburg vor allem als Pumpen-Anton bekannt ist.
Ein exzentrischer Kunstliebhaber: Anton Gentil
Ist Anton Gentil über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus gekannt? Vermutlich eher nicht. Geboren wurde er 1867 als Sohn eines Konditors. Zunächst lernte er Schlosser und Dreher und eröffnete eine kleine Werkstatt. Vermögend wurde Gentil später durch die Herstellung von Pumpen – Kreiselpumpten, Kesselspeisepumpen, Pumpen für Salzwasser oder Bier und ähnlich spannende Dinge. Daher auch sein Spitzname: Pumpen-Anton. Anton Gentil war ein Aschaffenburger Original, ein sehr eigener, sturer Charakter, der selten andere Meinungen gelten ließ – eine echte Persönlichkeit, tief in der Heimat verwurzelt.
Gentil erbaute in Aschaffenburg drei Häuser. Das erste Haus in der Lindenallee 26 aus dem Jahr 1909 diente ihm als Wohnhaus. Als das zu eng wurde, erwarb er 1923 ein Grundstück direkt gegenüber, in der Grüneburgstaße. Das dritte Haus ist die Gentilburg aus dem Jahr 1933 am Stadtrand von Aschaffenburg.
Ein Haus für die Kunst: Das Gentil-Haus
Ich schaue mir Haus Nummer 2 an, das Gentil-Haus am Ende der Grüneburgstraße, das heute ein Museum der Stadt Aschaffenburg ist. Es ist ein ebenso schönes wie geheimnisvolles Haus. Keine Bauseite gleicht der anderen. Es gibt Fachwerkelemente, einen Turm, kleine Dachfenster und einen Giebel mit auffällig starker Neigung. Symmetrie sucht mach hier vergebens. Aber der Bau hat viel Charme. Antons Traumhaus ist genau das Gegenteil des modernen, sachlichen Baustils des Bauhauses.
Und erst das Innere des Hauses! Ich finde mich in einer völlig anderen Welt wieder. Es ist eng und recht dunkel, und überall Kunst. Wirklich jede Ecke ist vollgestellt. Anton Gentil verwirklichte in diesem Haus seinen Traum. Er baute ein Haus für die Kunst, ein Ausstellungshaus, das zugleich Museum und Wohnhaus ist, und die Kunst würdig präsentiert. Ein Refugium, in dem er Kunst genießen konnte.
Sein Opa, ein Glasermeister, hatte ihn einst an die Kunst herangeführt und eine Idee von Schönheit vermittelt. Anton hat kein Architekturstudium absolviert, aber schreinerte und zimmerte für sein Leben gern. Er entwarf alle seine Häuser selbst und begann jeweils mit einem Modell des Hauses, das er bauen wollte, um den Effekt jedes einzelnen Elements auf sich wirken zu lassen. Sein Faible für mittelalterliche Burgenarchitektur und Gotik ist unverkennbar, gewürzt mit einer Prise Jugendstil. Solides Handwerk war ihm überaus wichtig. Während seiner Dienstreisen knüpfte Anton Kontakte zur Kunstszene, kaufte Stücke für seine Sammlung. In München zum Beispiel besuchte er den Malerfürsten Franz von Stuck.
Wir nehmen den Weg durch den Hintereingang und landen gleich im Herzen des Hauses. Die Küche ist der Raum, in dem Anton Gentil sich am liebsten aufhielt und mit seinen Freunden am Tisch zusammensaß.
Wir gehen weiter in die große Halle, die nach dem Vorbild englischer Landhäuser gestaltet ist. Eine andere Welt, eine romantische Idealwelt voller Schönheit und ein verspieltes Refugium, das Anton Gentil überdauert. Besucher werden in andere Zeit versetzt und der Zeit entrückt.
Auffällig im ganzen Haus sind die Lampen – in einer Zeit, als die meisten Häuser noch mit Gaslicht erhellt wurden. 22 Varianten von Decken und Wandlampen kann man bestaunen. Zum Teil entwarf Gentil die Modelle selbst und baute die Lampen in seiner Fabrik. Er nutzt durchbrochene Metallplatten, die fast orientalisch wirken und Schattenspiele an die Wand werfen.
Und dann die prachtvollen Kastensessel! Wuchtige Sessel brauchte es, um die Kunst genießen zu können, und so sind einige Exemplare im ganzen Haus verteilt. Die verwendeten Stoffe sind kostbar, opulente Stickereien zeigen folkloristische, vielfarbige Muster.
Der grüne Salon wird wegen des Bodens so genannt. Es ist der Raum der Lieblingsbilder Gentils. Er sammelte nicht nach irgendwelchen wissenschaftlichen Kriterien. Er sammelte die Werke, die ihm gefielen und gute handwerkliche Arbeit darstellten. Hier hängen die Medusa und die Bacchantin, die Gentil persönlich von Franz von Stuck bei einem Besuch in München erworben hatte. Künstlerfürsten unter sich.
In rund 50 Jahren Sammlertätigkeit kamen rund 2000 Objekte zusammen. Ein jähes Ende fand die Sammeltätigkeit 1951, als Anton bei einem Unfall, von einem LKW gerammt, in seinem selbst entworfenen Sportwagen starb. Wer geradeaus fährt, hat nicht immer Vorfahrt. Sein Haus und die Sammlung hatte Gentil schon vor seinem Tod der Stadt Aschaffenburg vermacht, unter der Voraussetzung, das nichts verändert wird.
Das Gentil-Haus ist heute kein klassisches öffentliches Museum. Maximal 10 Personen können es nach Voranmeldung und im Rahmen einer Führung besuchen. Mehr Menschen fasst das Haus schlicht nicht: Die Räume sind klein und verwinkelt, die Treppen so eng, dass man kaum aneinander vorbeikommt und zu groß ist die Gefahr, dass man bei einer unachtsamen Drehung etwas kaputt macht. Der Besuch ist auch nur von April bis Oktober möglich, denn es gibt keine verbaute Zentralheizung und im Winter könnte es sonst unangenehm frostig werden.
Das Atelier am Gentil-Haus
Direkt neben dem Gentil-Haus lebt auch Kunst. Anton Gentil hatte 1922 / 1923 nach eigenen Entwürfen ein Atelier für seinen Sohn Otto, einen Bildhauer, errichtet. 1944 wurde es bei einem Bombenangriff zerstört, aber 1946 wieder aufgebaut. Seit März 2012 hat hier Konrad Franz sein Atelier eingerichtet.
Konrad Franz´ Werkmaterial ist Holz, das er mit der Kettensäge oder der Axt bearbeitet. Sein großes Thema ist der Mensch und all seine Befindlichkeiten.
Eine Wanderung rund um Aschaffenburg
Neben der Kunst gibt es aber noch weitere Entdeckungen in Aschaffenburg. Seit dem Sommer 2024 zum Beispiel kann man die Stadt und ihr Umland auf einem neuen Rundwanderweg entdecken. 70 Kilometer und 1.500 Höhenmeter führen ganz nach dem Motto Stadt – Land – Fluss durch Mittelgebirgslandschaften und am Main entlang.
Wir fahren mit dem Bus einige Stationen bis zur Sodener Straße in Aschaffenburg-Schweinheim. Nur wenige Schritte, und wir gelangen an einen ehemaligen Truppenübungsplatz der amerikanischen Streitkräfte. Heute ist das Gelände eine Ausgleichsfläche der Deutschen Bahn und gibt Przewalski-Pferden eine Heimat. Die lassen sich zwar nicht blicken, als wir am Gatter stehen, aber das ist auch nicht schlimm.
Der Rundwanderweg nutzt Teilstücke der bereits erschlossenen Wanderwege, den Spessartweg und den Kulturweg des Archäologischen Spessartprojekts. So kommen wir dann auch an einigen Kulturdenkmälern wie der Obernauer Kapelle Marien Frieden vorbei. Wann genau die Kapelle erbaut wurde, weiß man nicht, im Chorraum jedoch lässt sich die Jahreszahl 1712 ablesen. So manche Sage rankt sich um die Kapelle, unter anderem die, sie sei als Sühne für einen Mord errichtet worden.
Vorbei an den drei Kreuzen laufen wir zum Ruhstock. In Schweinheim gab es einst viel Vieh- und vor allem Ziegenhaltung. Nicht jeder Halter hatte die nötige Bodenfläche für den Futteranbau, und so wurde das Umland im wahrsten Sinne des Wortes abgegrast, eine Arbeit, die oftmals Frauen vorbehalten war. Zum Glück muss heute niemand mehr schwere Gras- und Strohbündel auf dem Kopf tragen und hier ausruhen. Schon kommen wir an den Main und erblicken in der Ferne Schloss Johannisburg.
Schloss Johannisburg
Das weithin sichtbare Wahrzeichen von Aschaffenburg ist Schloss Johannisburg, ein prächtiger Baut der Spätrenaissance. Der Mainzer Kurfürst und Erzbischof gab einst den Bauauftrag und der Straßburger Baumeister Georg Ridinger arbeitete von 1605 bis 1618 an der Anlage, wobei der den Bergfried aus dem 14. Jahrhundert einbezog. Ende des 18. Jahrhunderts wurde dann das Innere nach klassizistischen Prinzipien umgestaltet.
Es folgte die Säkularisierung, Aschaffenburg blieb allerdings von den Zerstörungen der Französischen Revolution verschont. Man weiß, dass Napoleon mehrfacht im Schloss residierte. 1814 wurde Aschaffenburg Bayern zugeschlagen und Ludwig I machte aus dem bayerischen Nizza seine Sommerresidenz. 1932 wurde das Aschaffenburger Schloss als Museum eröffnet. 1964 erfolgte die Wiedereröffnung nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs.
Im ersten Stock befindet sich die Staatsgalerie der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Rund 400 Gemälde europäischer Künstler vom 15. bis 18. Jahrhundert gehören zum Bestand – Werke aus dem Umfeld von Lucas Cranach d.Ä. sowie flämische, niederländische und deutsche Landschaftsmalerei sind hier zu finden.
Beeindruckt hat mich die Schlosskirche mit ihrem Altar, der prächtigen Kanzel und vor allem auch der Empore. Diese war von den Wohnräumen des Kurfürst-Erzbischofs aus bequem zu erreichen und bietet einen wunderbaren Blick in das Kircheninnere.
In der Paramentenkammer sind prächtige Meßgewänder der Mainzer Erzbischöfe und Domherren zu sehen. Spannend ist die Geschichte der liturgischen Gewänder, denn ein Teil wurde vor den herannahenden französischen Revolutionstruppen zunächst nach Prag in Sicherheit gebracht und später versteigert. In Aschaffenburg sind quasi nur die Restbestände zu sehen.
Um 1800 kam es in Mode, antike Bauten aus Kork nachzubauen – als Souvenir für die Reisenden. Einige Werke kann man heute in der Sammlung anschauen. Die antike Architektur rückt in den Mittelpunkt des Interesses, und die Modelle werden zu Studienzwecken angefertigt.
Im zweiten Obergeschoss befinden sich die fürstlichen Wohnräume, mit Blick auf den Main. Vorzimmer, Empfangszimmer, Schlafzimmer – insgesamt acht Räume können Besucherinnen und Besucher durchlaufen. Die Räume sind mit viel Stuck gestaltet. Die Möbel stammen aus dem späten 18., frühen 19. Jahrhundert.
Offenlegung
Ich durfte Aschaffenburg im Rahmen der VDRJ-Jahrestagung 2024 ganz neu entdecken. Die Vereinigung Deutscher Reisejournalisten verfügt über einen Journalisten- und einen PR-Kreis, die sich einmal im Jahr an wechselnden Orten treffen, um die aktuellen Fragen rund um den Reisejournalismus zu diskutieren. Frühere Tagungen führten mich zum Beispiel ins Basecamp nach Bonn, nach Bremerhaven oder auf die wunderbare Vasco da Gama. In diesem Jahr war der Tourismusverband Franken zusammen mit Aschaffenburg Ausrichter der Veranstaltung. Ich danke sehr für die Gastfreundschaft und die spannenden Einblicke. Die beschriebenen Eindrücke sind meine eigenen.